Vor dem 2. Dezember

Vor dem 2. Dezember

An den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

Berlin

Berlin, den 12. November 1914

Werte Genossen!

Im heutigen „Vorwärts" befindet sich eine offenbar von Ihnen ausgehende Mitteilung über die bevorstehende Reichstags„session". Danach wird geplant, das vorliegende Arbeitspensum in zwei sich aneinanderschließenden Sitzungen zu erledigen, das heißt den 4. August zu kopieren. Ferner soll die Vorlage in einer „freien Kommission" beraten werden, deren Verhandlungen „streng geheim" und den nicht zur Kommission gehörigen Abgeordneten unzugänglich sein sollen. Nach der Fassung der Notiz in Verbindung mit Nachrichten bürgerlicher Blätter wird der Eindruck erweckt, dass Sie sich mit einem solchen Verfahren bereits einverstanden erklärt haben.

Ich möchte nicht verfehlen, schon jetzt meinen Widerspruch gegen den geschilderten Plan zu erheben. Wir müssen auf eine gründliche Beratung dringen, die uns die Möglichkeit gibt, unsere Auffassung zur politischen Lage nach allen wesentlichen Richtungen hin öffentlich darzulegen. Wir haben hier die Möglichkeit, alles das zu sagen, was uns in Presse und Versammlungen die Militärdiktatur verbietet. Wenn wir diese Gelegenheit vorübergehen lassen, so wird daraus mit Recht gefolgert werden, dass uns die Militärzensur kein Hemmnis der freien Meinungsäußerung war. Wir billigen dann sowohl die Existenz des Belagerungszustandes wie seine Handhabung und machen uns selbst verantwortlich für das, wofür sonst der Militärdiktatur die Verantwortung zugeschoben werden könnte. Dass wir – von der Bewilligungsfrage abgesehen – bei dieser Gelegenheit die Vernachlässigung der sozialen Pflichten, die Aufrechterhaltung der Ausnahmegesetze und des Wahlunrechts, die Einseitigkeit des sogenannten Burgfriedens zu kennzeichnen, sozialistischen Protest gegen den Krieg zu erheben, sein Wesen scharf zu charakterisieren, gegen die Verletzung der belgischen und luxemburgischen Neutralität und die Annexionstreiber nachdrücklich Verwahrung einzulegen und die internationale Solidarität zu bekennen sowie einen Aufruf an die Regierungen und das Proletariat aller kriegführenden Länder für Beendigung des Krieges zu erlassen haben, dürfte selbstverständlich sein.

Mit Parteigruß Karl Liebknecht

Fraktionssitzungen vom 29. November 1914 bis 2. Dezember 1914

Am 29. November 1914 trat die Fraktion zur Vorbereitung der Reichstagssitzung vom 2. Dezember 1914 zusammen, in der über den zweiten Fünf-Milliarden-Kredit zu entscheiden war. Die Kreditdebatte gestaltete sich sehr lebhaft und beanspruchte fast zwei Tage.

Die Anhänger der Kreditbewilligung entwarfen nach angeblich authentischen Informationen ein düsteres Bild von der militärischen Lage Deutschlands, die viel ungünstiger sei als am 4. August; die Gründe, die für die Bewilligung vom 4. August maßgebend gewesen seien, beständen verstärkt fort. Die Anregung von bürgerlicher Seite (Erzberger), eine Erklärung, die u. a. der tapferen Helden der „Emden" und von Tsingtau rühmend gedenken sollte, gemeinsam mit allen anderen Parteien abzugeben oder ohne jede Erklärung zu votieren, wurde zwar von verschiedenen Seiten durch Zurufe sympathisch begrüßt, aber nicht zur Abstimmung gestellt, da sie der Auffassung der großen Mehrheit offensichtlich zuwiderlief. Die Vertreter der Kreditverweigerung meinten, die seit dem 4. August verflossenen Monate hätten die Richtigkeit ihres Standpunktes doppelt bestätigt.

Als Haase die Kreditbewilligung eine Zertrümmerung unserer Parteigrundsätze nannte, entgegnete David: dann hätten sich ja auch die Vierzehn der Fraktionsminderheit, die sich am 4. August im Plenum der Mehrheit unterworfen hätten, an der Zertrümmerung der Parteigrundsätze beteiligt. Ein Zwischenruf Liebknechts: die Konsequenz dieser Bemerkung Davids führe zur öffentlichen Abgabe eines Minderheitsvotums im Plenum, löste lebhafte Bewegung aus. Cohen, der für die Bewilligung eintrat, richtete Vorwürfe gegen Haase, weil er, der am 4. August die Fraktionserklärung verlesen habe, die Mehrheit so heftig angreife; bei diesem Standpunkte habe Haase die Erklärung nicht verlesen dürfen. Es entwickelte sich eine stürmische Szene; auf erregte Zurufe, dass die Fraktion Haase zur Abgabe der Erklärung genötigt habe, bemerkte Cohen: Haase hätte sich durch nichts zwingen lassen dürfen; in einem solchen Falle gebe es keinen Zwang! Ein Genosse1 schlug vor, die Aufhebung des Belagerungszustandes und eine Zusicherung der Regierung zu verlangen, dass sie den Krieg nur zur Verteidigung Deutschlands, zur Niederwerfung des Zarismus und zur Befreiung der vom Zarismus unterdrückten Völker führe; nur bei Erfüllung dieser und einiger anderer Forderungen komme die Kreditbewilligung für ihn in Frage; es handele sich um keine prinzipielle, sondern um eine Zweckmäßigkeitsfrage. Dieser Vorschlag wurde als utopisch und inkonsequent bekämpft; die etwaige – aber ausgeschlossene – Aufhebung des Belagerungszustandes würde seine Wiederverhängung nicht verhindern; eine etwaige – aber ausgeschlossene – Zusicherung der verlangten Art würde vollkommen wertlos sein. Der Regierung, die am 3. und 4. August die Fraktion, den Reichstag und das ganze Volk im Punkt des belgischen Neutralitätsbruchs so schnöde getäuscht habe, der Regierung des verfassungswidrigen Belagerungszustandes könne kein Vertrauen geschenkt werden. Wer sei übrigens jetzt die Regierung? Der Reichskanzler schwerlich! Vor allem aber sei es widersinnig, den Charakter des Krieges in die Disposition der Regierung stellen zu wollen; der objektive geschichtliche Charakter des Krieges dürfe allein die Haltung zu ihm bestimmen, nicht eine Zusicherung oder eine Auffassung der Regierung über diesen Charakter.

Liebknecht, der wegen seiner angeblichen Wühlereien in der Partei schwer angegriffen wurde, aber diese Vorwürfe als haltlos zurückwies, legte dar, dass die Kreditbewilligung gegen das Programm, die Beschlüsse der Parteitage, besonders der von Lübeck, Hamburg und Magdeburg, und die Beschlüsse der internationalen Kongresse von Stuttgart und Basel verstoße: Das Parteiprogramm schließe es aus, für kriegerische Eroberungen einzutreten, der imperialistische Zweck des jetzigen Krieges aber sei militärische Vergewaltigung und Annexion anderer Länder, und zwar ganz unabhängig von der jeweiligen militärischen Lage. Bewilligung der Kredite heiße Bewilligung der Mittel zur Unterdrückung Belgiens und Nordostfrankreichs. Die Parteitagsbeschlüsse verbieten die Annahme des Budgets. Die Kreditbewilligung aber sei schlimmer als die Budgetbewilligung, da sie der jedes Vertrauens unwürdigen Regierung Blankovollmacht, und zwar in unerhörtem Umfange, gewähre, d. h. ein weit höheres Vertrauen schenke als jede Budgetbewilligung, und da sie ausschließlich militärische Ausgaben betreffe, d. h. Ausgaben, deren Ablehnung ausdrücklich durch internationale Kongressbeschlüsse und Programm geboten sei und deren Vorhandensein im Budget einen der wesentlichsten Gründe für die Statuierung der Budgetverweigerungspflicht gebildet habe. Dass Wehrvorlagen nach Programm und Parteibeschlüssen abzulehnen sind, wagte bisher niemand zu bezweifeln; die Kreditvorlage aber ist nichts anderes als eine riesenhafte Wehrvorlage, nur eine durch den Blankocharakter des Kredits und die Aktualität des Mordzweckes besonders bösartige. Die internationalen Kongressbeschlüsse schreiben die Ablehnung nicht nur aller Militärausgaben nachdrücklich vor, sondern auch die Anwendung aller wirksamen Mittel zur Verhinderung des Krieges; nach Kriegsausbruch die Kredite bewilligen, heißt aber: den Kampf gegen den Krieg vor Kriegsausbruch zu einer Farce machen, seine Kraft von vornherein zerbrechen, ja geradezu zum Kriege einladen und für die Zukunft jede Opposition gegen Kriegshetzereien der Wirkungslosigkeit und berechtigten Nichtachtung überliefern. Die Kongressbeschlüsse geben weiter auf, nach Kriegsausbruch alles für schleunige Beendigung des Krieges einzusetzen. Zugleich die Kriegskredite bewilligen und für den Frieden reden, das heiße aber: mit der Linken die Friedenspalme schwingen, während man mit der Rechten dem Militarismus das Schwert in die Hand drückt. Die Kongressbeschlüsse fordern schließlich Ausnützung der durch den Krieg hervorgerufenen Lage zur Aufrüttelung der Massen, d. h. zum Klassenkampf. Der internationale Klassenkampf gegen den Krieg sei damit als die einzig mögliche Politik des Proletariats gegen den jetzt ausgebrochenen imperialistischen Krieg erkannt, da jede andere Politik eine positive Unterstützung der Massenmetzelei zu Ehr und Nutz des Imperialismus bedeute. Wer aber wage zu behaupten, dass die in der Partei jetzt zumeist betriebene Politik dieser Parole des verschärften Klassenkampfes entspreche? Und dass die Kreditbewilligung mit einem solchen Klassenkampfe vereinbar sei?

Liebknecht beantragte, die Fraktion möge am 2. Dezember folgende

Erklärung

abgeben: Wir haben zu der Vorlage zu erklären:

Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, und zwar besonders auch auf deutscher Seite mit dem Ziel von Eroberungen großen Stils. Es handelt sich vom Gesichtspunkt des Wettrüstens aus bestenfalls um einen von der deutschen und österreichischen Kriegspartei gemeinsam im Dunkel des Halbabsolutismus und der Geheimdiplomatie hervorgerufenen Präventivkrieg, zu dem die Gelegenheit günstig schien, als die große deutsche Wehrvorlage verabschiedet und ein technischer Vorsprung gewonnen war. Es handelt sich auch um ein bonapartistisches Unternehmen zur Zertrümmerung und Demoralisation der rapide anwachsenden revolutionären Arbeiterbewegung. Das Attentat von Sarajevo wurde als demagogischer Vorwand ausersehen. Das österreichische Ultimatum an Serbien vom 23. Juli war der Krieg, der gewollte Krieg. Alle späteren Friedensbemühungen waren nur Dekoration und diplomatische Winkelzüge, gleichviel, ob sie von einzelnen Mitwirkenden ernst gemeint wurden oder nicht. Alles das haben die letzten vier Monate mit steigender Deutlichkeit gelehrt.

Dieser Krieg ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen Volkes entbrannt. Er ist kein deutscher Verteidigungskrieg und kein deutscher Freiheitskrieg. Er ist kein Krieg für eine höhere „Kultur" – die größten europäischen Staaten gleicher „Kultur" bekämpfen einander, und zwar gerade, weil sie Staaten der gleichen, d. h. der kapitalistischen, „Kultur" sind. Unter der trügerischen Flagge eines Nationalitäten- und Rassenkrieges wird ein Krieg geführt, bei dem in beiden Lagern das bunteste Nationalitäten- und Rassengemisch aufgeboten ist. Die Parole „Gegen den Zarismus" diente nur dem Zweck, die edelsten Instinkte des deutschen Volkes, seine revolutionären Überlieferungen, für den Kriegszweck, für den Völkerhass zu mobilisieren. Deutschland ist der Mitschuldige des Zarismus bis zum heutigen Tage. Deutschland, dessen Regierung zur militärischen Hilfe für den Blutzaren gegen die große russische Revolution bereitstand, Deutschland, in dem die Masse des Volkes wirtschaftlich ausgebeutet, politisch unterdrückt ist, wo nationale Minderheiten durch Ausnahmegesetze drangsaliert werden, hat keinen Beruf zum Völkerbefreier. Die Befreiung des russischen Volkes muss dessen eigene Sache sein, so wie die Befreiung des deutschen Volkes nicht das Ergebnis von Beglückungsversuchen anderer Staaten, sondern nur sein eigenes Werk sein kann.

Zur Durchführung der gewissenlosen Regie, mit der der Krieg inszeniert wurde, zur Unterdrückung jeder Opposition, zur Vorspiegelung chauvinistischer Einmütigkeit des deutschen Volkes wurde der Belagerungszustand verhängt, die Press- und Versammlungsfreiheit vernichtet, das kämpfende Proletariat entwaffnet und zu einem höchst einseitigen „Burgfrieden" gezwungen, der – durch nebensächliche „Zugeständnisse" schlecht verbrämt – nur eine stilistische Umschreibung der politischen Kirchhofsruhe ist.

Umso geringere Energie wurde entfaltet zur Steuerung der bitteren Not, die den größten Teil der Bevölkerung heimgesucht hat. Selbst in dieser schweren Zeit konnte sich die Regierung nicht zu durchgreifenden Maßregeln entschließen ohne Rücksicht auf den Widerspruch derer, die ihren persönlichen Vorteil heute wie stets dem Wohl der Massen voranstellen.

Die Art der Kriegführung fordert unseren leidenschaftlichen Widerspruch heraus.

Die Proklamation des Grundsatzes „Not kennt kein Gebot" entzieht allem Völkerrecht den Boden.

Wir protestieren gegen die Missachtung der luxemburgischen und belgischen Neutralität, diesen Bruch feierlicher Verträge, gegen den Überfall auf ein friedliches Volk. Misslungen sind alle nachträglichen Beschönigungsversuche.

Wir verdammen die grausame Behandlung der Zivilbevölkerung auf den Kriegsschauplätzen. Die Verwüstung ganzer Ortschaften, die Festnahme und Exekution Unbeteiligter als Geiseln, die Niedermachung Wehrloser ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, die als Repressalien für Verzweiflungs- und Notwehrakte erfolgten, rechtfertigen die schwerste Anklage. Die gleiche Schuld anderer Armeen bildet keine Entlastung.

Wir bedauern die Missstände, die die Versorgung der Kriegsgefangenen noch in allen Ländern, Deutschland nicht ausgenommen, aufweist. Wir verlangen in dieser Frage wie für die Behandlung der zivilen Angehörigen feindlicher Staaten eine unverzügliche internationale Regelung im Geiste der Humanität und unter Kontrolle der Neutralen. Das Vergeltungsprinzip lehnen wir ab.

Wir bekämpfen jede Annexion grundsätzlich und entschieden, da sie gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker verstößt und nur kapitalistischen Interessen dient. Jeder Friede mit Eroberungen wird, weit entfernt, eine Friedenssicherung zu sein, eine Ära des verschärften Wettrüstens einleiten und einen Krieg im Schoße tragen.

Wir empfinden mit den Söhnen des Volkes, die im Felde Übermenschliches an Tapferkeit, Entbehrung, Aufopferung leisten. Wir empfinden mit ihnen als mit unserem eigenen Fleisch und Blut, für das wir, wenn die Zeit kommen wird, unerbittlich Rechenschaft heischen werden. Um so mehr verwerfen wir diesen Krieg, um so mehr gebietet uns die Pflicht gegenüber dem deutschen Volk und der ganzen Menschheit, gegenüber dem internationalen Proletariat, das dennoch unlöslich zusammengehört, mit allen unseren Kräften der Völkerzerfleischung entgegenzuwirken.

Wir erheben die Forderung eines schleunigen, für keinen Teil demütigenden Friedens. Wir danken unseren Freunden in den neutralen Staaten für ihre wertvolle Initiative in dieser Richtung und begrüßen die Friedensbemühungen der neutralen Mächte, deren Zurückweisung nur den Zielen der Annexionspolitik und dem an langer Kriegsdauer interessierten Rüstungskapital entgegenkommt.

Wir warnen die Regierungen und die herrschenden Klassen aller kriegführenden Länder vor der Fortsetzung des blutigen Gemetzels und rufen die arbeitenden Massen dieser Länder auf, seine Beendigung zu erkämpfen. Nur ein auf dem Boden der internationalen Solidarität erwachsener Friede kann ein gesicherter sein. Proletarier aller Länder, vereinigt euch wieder, trotz alledem!

Indem wir Protest erheben gegen den Krieg, seine Verantwortlichen und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die ihn heraufbeschwor, gegen die Annexionspläne, gegen den Bruch der belgischen Neutralität, gegen die Unmenschlichkeit der Kriegführung, gegen die Militärdiktatur, gegen die politische und soziale Pflichtvergessenheit, deren sich die herrschenden Klassen auch und gerade jetzt schuldig machen, lehnen wir die geforderten Kredite ab.


Gegen 17 Stimmen (den Vierzehn vom 5. August – außer Lensch, der sich diesmal zur Mehrheit schlug – und weiter Emmel, Stadthagen, Stolle, Baudert) wurde die Bewilligung beschlossen. Die Ausarbeitung der Erklärung wurde wieder einer Kommission übertragen, deren Werk am 30. November mit unerheblicher Änderung angenommen wurde. Ein zur Verlesung gebrachter Brief Viktor Adlers, der die Fraktion beschwor, eine energische Kundgebung für den Frieden und gegen den Bruch der belgischen Neutralität zu erlassen, blieb ohne Erfolg. Die Mehrheit erachtete jedes öffentliche Eintreten für den Frieden als eine Gefährdung der Interessen Deutschlands und begnügte sich mit der Wiederholung eines Satzes aus der Erklärung vom 4. August. Ein Protest gegen die Verletzung der belgischen Neutralität wurde abgelehnt und nur beschlossen, falls der Reichskanzler am 2. Dezember nach dem Willen der Kriegspartei eine Rechtfertigung dieses Völkerrechtsbruches unternehmen sollte, den Standpunkt des Reichskanzlers vom 4. August kurz aufrechtzuerhalten.

Henke beantragte, der Minderheit ausdrücklich zu gestatten, ihre abweichende Auffassung öffentlich im Plenum zu vertreten und zu begründen. Dagegen wandten sich u. a. Haase und Molkenbuhr. Letzterer berief sich auf einen Beschluss des Gothaer Parteitages von 1876, der einheitliche Fraktionsabstimmung vorschreibe. Der Antrag wurde darauf von Henke zurückgezogen, aber von Liebknecht aufgenommen und verteidigt. Er verfiel gegen sieben Stimmen der Ablehnung.

Wie am 3. August, so weigerte sich Haase auch am 30. November hartnäckig gegen die Verlesung der Mehrheitserklärung. Nach langem Drängen ließ er sich jedoch auch diesmal umstimmen.

Wie die am 3. August beschlossene Erklärung, so wurde auch die jetzige den bürgerlichen Parteien und der Regierung alsbald unterbreitet. Während die Regierung zunächst keine Einwendung erhob, drängten die bürgerlichen Parteien und schließlich auch die Regierung am 1. Dezember, an dem die Verhandlungen der glorreichen freien Kommission begannen, auf Streichung oder Abänderung der Sätze über den Belagerungszustand, die Annexionspolitik und die belgische Frage.

Staatssekretär Delbrück bemerkte dabei zu den Fraktionsvertretern: ihm hätten Fraktionsmitglieder gesagt, sie seien bereit, ohne jede Erklärung der Fraktion für die Kredite zu stimmen; und der Volksparteiler Payer: er wisse aus dem Munde von sozialdemokratischen Abgeordneten, dass sie keineswegs grundsätzlich Gegner von Eroberungen seien.

Eine in der Fraktionssitzung vom 2. Dezember ergangene Aufforderung, die betreffenden Genossen möchten sich melden, blieb erfolglos.

Als die auf Änderung der Erklärung gerichteten Machenschaften am Abend des 1. Dezember in der Fraktion bekannt wurden, versammelten sich auf Veranlassung Hochs etwa 20 bis 30 Fraktionsmitglieder und beschlossen feierlich, falls die Fraktionsmehrheit dem Willen der bürgerlichen Parteien und der Regierung nachgebe, sich dem öffentlich zu widersetzen und die am 30. November abgefasste Erklärung in der Plenarsitzung vom 2. Dezember als Minderheitsvotum vorzutragen. Es sollte jedoch beim guten Willen bleiben. Die Drohung genügte; die heroische Tat blieb der Weltgeschichte erspart.

1 Georg Ledebour.

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