Karl Liebknecht‎ > ‎1916‎ > ‎

Karl Liebknecht 19160909 An die Parteiorganisation des Wahlkreises Potsdam-Spandau-Osthavelland

Karl Liebknecht: An die Parteiorganisation des Wahlkreises Potsdam-Spandau-Osthavelland1

[Internationale Presse-Korrespondenz (Berlin), 8. Jg., Nr. 4, 13. Januar 1928, S. 76/77. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 308-310]

Berlin, den 9. September 1916

Liebe Genossen!

Eine Verringerung meiner Strafe halte ich für ausgeschlossen. Das Mandat wird also in einigen Wochen – etwa Mitte Oktober findet der letzte Termin statt – erledigt sein.

Sie werden einen neuen Kandidaten der gleichen proletarischen Richtung wie ich aufstellen. Das ist so sehr politische Ehrensache, dass ich jeden Zweifel daran als eine schwere Beleidigung der Genossen empfinden würde, mit denen ich so viele Jahre Schulter an Schulter gestanden habe und deren Vertrauen mich ins Parlament schickte.

Vielleicht erlauben Sie mir, Ihnen in diesem Augenblick, wo ich auf längere Zeit – nicht auf immer – von Ihnen Abschied nehme, meine Auffassung und meine Wünsche über die geeignetste Person zu sagen.

In erster Linie schlage ich Ihnen den Genossen Dr. Franz Mehring vor, den glänzenden Schriftsteller und Gelehrten, über dessen Qualitäten als Politiker es geschmacklos wäre, Ihnen auch nur ein Wort zu sagen. Mehring ist während der ganzen Dauer des Krieges nicht von der Fahne gewichen. Er vereinigt in seiner Persönlichkeit alles dasjenige, wessen der Kandidat des Hohenzollern-Kreises im Weltkriege und unter den besonderen Umständen bedarf, um die politische Bedeutung der Neuwahl in Deutschland und vor der ganzen Welt durch seinen bloßen Namen zum Ausdruck zu bringen.

Mehring sitzt seit Monatsfrist als „Schutzhäftling" des Herrn von Kessel, meines Gerichtsherrn, in der Berliner Stadtvogtei. Es steht ihm in wenigen Wochen die Hauptverhandlung in der Strafsache wegen des ersten Heftes der Zeitschrift „Internationale" bevor. Seine Aufstellung wird damit auch zu einer wichtigen Demonstration, zu einer Sympathiekundgebung für den tapferen greisen Kämpen und zu einem Protest gegen die Schändlichkeiten der Militärdiktatur. Ichgebe mich keiner Täuschung hin, dass die Neuwahl wenig aussichtsvoll für uns ist. Das bedeutet aber unter den jetzigen Verhältnissen alles andere als ein Unglück oder eine Blamage. Nur die Aufstellung eines Kandidaten nach dem Herzen des Parteivorstandes und der Regierung, d. h. nur schändliche Fahnenflucht, könnte den Kreis sicher retten. Das hieße aber, ihn retten nicht für den Sozialismus, den auch heute unwandelbar internationalen, völkerbefreienden, revolutionären, trotz alledem!, sondern für den deutschen Imperialismus, den völkerzerfleischenden, völkerunterdrückenden, völkerausraubenden, und für die Hundedemut dazu.

Alle kleinlich-praktischen Erwägungen über die Möglichkeit, den Kreis für uns zu erhalten, haben heute mehr denn je zurückzutreten. Ich erwarte von den Genossen des Hohenzollern-Kreises den Mut und den Stolz zu einer ruhmvollen Niederlage.

In zweiter Linie – z. B. falls Mehring ablehnen sollte (meines Erachtens ausgeschlossen; braucht man ihn heute überhaupt zu fragen? Es geht sehr wohl zu machen, falls für nötig gehalten!) – empfehle ich den Genossen A. Thalheimer, Redakteur des Braunschweiger „Volksfreund"2, der zu den besten Köpfen und schneidigsten Federn der jüngsten Parteigeneration zählt und sein Blatt während des Krieges musterhaft wie kein anderes in der Partei geleitet hat. Ich kann für ihn, seine Fähigkeiten und Kenntnisse und seinen politischen Charakter in jeder Hinsicht bürgen. Die Braunschweiger werden Ihnen seine vorzüglichen Leistungen bestätigen.

Ich hoffe, dass unsere Auffassungen sich begegnen, wünsche Glück auf! für die schweren, ernsten Kämpfe der Zukunft, an denen ich bald wieder teilzunehmen gedenke, danke allen Freunden und Genossen und begrüße Sie auf das herzlichste. Auf Wiedersehen!

Mit sozialdemokratischem Gruß

Ihr K. Liebknecht

Ich bitte, diesen Brief in geeigneter Weise – unter Diskretion vorläufig! – den Vorständen, Konferenzen usw. bekanntzugeben (möglichst in Abschrift).

1 Einer Vorbemerkung der Redaktion der „Internationalen Presse-Korrespondenz" zufolge wurde ihr das Original des Briefes von Sophie Liebknecht zur Verfügung gestellt. Die Red.

2 In der Quelle irrtümlich „Braunschweiger Volksstimme". Die Red.

Kommentare