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Karl Liebknecht 19161001 Brief an Sophie Liebknecht

Karl Liebknecht: Brief an Sophie Liebknecht

[IML, ZPA, NL 1/65, Bl. 82/83. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 317-319]

Liebstes!

1. Ich vertrage Kritik und will Kritik. Siehst Du nicht, dass Vorenthalten der Kritik ein gefährlicher Betrug – optima mente! – werden könnte? Und gerade, wenn man so abgeschlossen ist und damit schon in gesteigerter Gefahr, den praktisch-nötigen Maßstab zu verlieren – obwohl ich (Du magst lächeln) fast zu viel Selbstkritik, Selbstzweifel in mir trage, ein ewiger Kontrast zwischen der universalen Auffassung u. der konkreten Einzelfunktion; und auch da noch zwischen dem für richtig Erkannten u. Gewollten und dem Gekonnten. Ich wäre viel unruhiger u. unsicherer, wenn ich meinen würde, Ihr scheutet Euch, mir Eure wahre Meinung zu sagen; ich sei zu schwach, sie zu vertragen, oder Ihr hieltet mich doch für zu schwach dazu.

2. Sofort wieder 2 Beweise der Selbstkritik: Zu dem Verhandlungsbericht1 2 Korrekturen: a) statt Neige soll stehen „Nagelprobe" (bei Schweigegebot-Verhandlung: „Leeren Sie das Gefäß der Blamage bis auf die Nagelprobe"). b) Im letzten Satz meines letzten Plädoyers soll stehen: „Wenn der Vorhang des Trugs gefallen (oder ,zerrissen', wie Du willst) sein wird" ( statt „Schleier" usw.).

3. Ich gab Dir bereits am Sonnabend einen kleinen Zettel, in das zuerst gegebene Röllchen nachträglich gesteckt. Darin bat ich Dich um Brief zur Bestätigung des Empfangs. Der Brief ist ausgeblieben. Du hast diesen Zettel also jedenfalls nicht gesehen Ich wiederhole daher: Im Verhandlungsbericht – u. zw. wiederum im letzten oder vorletzten Satz meines letzten Plädoyers (wie zu 2b) – soll stehen: „auf der andren Seite ich allein oder einer meiner Freunde".

Kapiert? Wenn ja, so schreib bitte unterstrichenen Gruß, sofort. Aber wirklich, mach's auch. Und sorge, dass alle Manuskripte wirklich korrekt sind.

4. O. Bracke2 ist nicht gefährdet. Soweit nötig, nehme ich's auf mich, denn ich hab' nichts zu verlieren. Du hast gar nichts auf Dich zu nehmen, mein Kerlchen. Da die Publikation doch nun keinesfalls mehr vor Rechtskraft u. Parlament zustande kommt, werden die Gerichtsakten noch in vielen Händen sein; und auch meine .Handakten, in denen doch alles steckt, kommen heraus – in Deine Hände. Und Du darfst sie natürlich dritten zeigen – das ist erlaubt! Das ist ja noch keine Veröffentlichung. Und ebenso kann jeder andre, ohne strafbar zu sein, andren Mitteilung machen, abschreiben, Abschriften geben usw. Auch sonst gibt's massenhaft Menschen, die die Akten kennen. Also verweise Du darauf, dass von den Akten doch sehr viele Menschen Kenntnis haben. Auf die Frage, ob Du die Publik. bewirkt hast, erkläre : Ich bestreite.

Wegen des Berichts über die Hauptverhandlung selbst bestreite für Dich („Ich habe mit seiner Entstehung nichts zu tun") u. verweigere jede Auskunft. Dass der Verteidiger etwas damit zu tun hat, erkläre nach Deiner bestimmten Überzeugung für ausgeschlossen. Ich werde erklären, dass ich den Bericht gemacht habe. Wie ich und an wen ich ihn herausgebracht habe, darüber verweigere ich die Auskunft. Ich verweise darauf, dass ja schon einmal ein Zettel von mir bei Mehr. gefunden.3 Ebenso oder ähnlich gelang's mit dem Bericht.

Kurz: Es muss unklar bleiben, von wem die Publikation ausgeht.

Die Verhandlungsberichte nehme ich auf mich. So ist O. Br. gedeckt.

Übrigens: Die Niederschrift der Verhandl.berichte ist nicht etwa strafbar! Also „opfere" ich mich nicht etwa bei dieser Prozedur.

5. Das Hinausschmuggeln von Papieren ist nun ja doch bekannt! Also braucht darauf überhaupt kein Gewicht mehr gelegt zu werden. Schon darum könnte ruhig sofort publiziert werden!

6. Die Anklageschrift gib mir doch zurück. Das nächste Mal. Wir sind jetzt sehr ungeniert. Bei Coerrens4 wird's wieder eklig.

7. Kleiner Meyer (Lexikon! nicht Ernst).

8. Joghurt. Nur solche Flaschen zum Schmuggeln brauchbar, die bis ganz oben gefüllt. Man kann öffnen, auffüllen u. wieder schließen. Je dicker u. fester die Milch, um so besser. In 1 Woche Generalprobe: Bring dann 8a, Nessus!!

9. Fehlt mit den andern denn die Verbindung? Mit Rosa kann doch punktiert werden!5 Punktiert ihr, was ich ihr schrieb usw. Wird's mit Mathildes6 „Verdächtigkeit" nicht besser, so muss ein andrer ran – ev. Martha7; aber sie muss sich präparieren.

1 Bezieht sich – wie auch die folgenden Punkte – auf „Das Zuchthausurteil gegen Karl Liebknecht".

2 Otto Bracke, Verteidiger Karl Liebknechts. Die Red.

3 Franz Mehring wurde am 15. August 1916 von den deutschen Militärbehörden trotz hohen Alters und Krankheit in „militärische Schutzhaft" genommen. Offenbar kam bei der damit verbundenen Haussuchung der Zettel zutage. Die Red.

4 Dr. Coerrens, Kriegsgerichtsrat, Anklagevertreter im Prozess gegen Karl Liebknecht. Die Red.

5 Eine Methode Karl Liebknechts, geheime Nachrichten aus dem Zuchthaus zu schmuggeln. Sophie Liebknecht bemerkte dazu: „Mein Mann schickte entweder die ,Deutsche Tageszeitung' oder die Beilage zu dieser Zeitung an uns zurück und punktierte mit Bleistift auf einer verabredeten Seite nach einem bestimmten System (nach welchem, weiß ich nicht mehr). Besonders geschickt im Entziffern war Karls kleine Tochter Vera (damals 11 bis 12 Jahre alt), die sich immer nach Empfang der Zeitungen sofort auf ihren Platz begab und zu entziffern begann." (IML, ZPA, NL 1/65, Bl. 162/163.)

6 Mathilde Jacob, Sekretärin und Freundin Rosa Luxemburgs. Die Red.

7 Wer damit gemeint ist, konnte nicht festgestellt werden. Die Red.

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