Karl Liebknecht 19160800 II Vom Bonapartismus als Kriegsursache

Karl Liebknecht: Die sieben „Glossen" Liebknechts

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 197-200]

II

Vom Bonapartismus als KriegsursacheA

Die Verwendung des Kriegs, d. h. einer Handlung der äußeren Politik, zur Ablenkung der eigenen Bevölkerung von der inneren Misere, d. h. zu Zwecken der inneren Politik, findet sich in allen, auch den ältesten Klassengesellschaftsordnungen.

Den Sinn dieses Bonapartismus beschreibt Moltke in der Einleitung zu seiner Geschichte des Deutsch-Französischen Kriegs: „Ein Napoleon auf dem Thron von Frankreich hatte seinen Anspruch durch politische und militärische Erfolge zu rechtfertigen … Die liberale Strömung des Zeitalters lehnte sich auf gegen die Alleinherrschaft des Kaisers, er musste Bewilligungen zugestehen, seine Machtstellung im Innern war geschwächt, und eines Tages erfuhr die Nation ausdem Munde ihrer Vertreter, dass sie den Krieg mit Deutschland wolle!"1

Jetzt ist statt „liberal" zu setzen: „demokratisch und sozialistisch" und statt „Alleinherrschaft des Kaisers": „politische Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung der Massen durch die herrschenden Klassen".

Die umständlich verklausulierte und in den „Kreuz-Zeitungs"-Jargon übertragene Anwendung dieser lapidaren Sätze über das frühere Frankreich auf das heutige Deutschland lautet in Blumes Strategie (1912)2: Wenn der „Volksgeist" „krank", d. h., wenn „weite Kreise dem Staate und dessen Interessen gleichgültig oder gar feindselig gegenüberstehen", wenn das Volk „von politischen, sozialen oder religiösen Parteileidenschaften durchwühlt ist", wenn „das Offizierskorps nicht das höchste Ansehen und volles Vertrauen in allen Volkskreisen genießt" (S. 74, 75), sind „die Aussichten auf glücklichen Ausgang des Krieges trübe"; „besonders erschwerend wird ein schlimmer Volksgeist auch auf die Aufbringung der für die Kriegführung erforderlichen materiellen Mittel einwirken" (S. 129); dazu ist (S. 77) „opferfreudige Hingebung der Nation an die Sache des Vaterlandes" nötig (vgl. die aufgeregte Angst des Reichstags – Sitzung vom 8. 4. 16 – vor jedem Versuch, von den großzügigen Anleihegaunereien auch nur ein Zipfelchen aufzudecken!). Am Ende gibt's gar Dienstverweigerung „in größerem Umfange"! (S. 76); und „es ist keineswegs undenkbar, dass ein Staat selbst bei einem für ihn günstigen Verlauf des Waffenganges durch passiven oder aktiven Widerstand seiner Bevölkerung verhindert werden könnte, den Krieg zu gutem Ende zu führen" (S. 78).

Aber in einen Krieg, gegen den lebhaftes Widerstreben im Volke weit verbreitet ist, kann ein solcher Staat (mit allgemeiner Wehrpflicht) ohne schwere Bedenken doch nur dann eintreten, wenn begründete Hoffnung besteht, dass es gelingen werde, die überwiegende Mehrheit des Volkes mit fortzureißen und die widerstrebenden Elemente niederzuhalten. Eine starke, zielbewusste Regierung vermag in dieser Hinsicht mit Hilfe eines zuverlässigen stehenden Heeres viel." (S. 78.)

Die Gefahr einer so hochgradigen „Erkrankung des Volksgeistes", dass „die Aussichten trübe" werden usw., „wächst in langer ununterbrochener Friedenszeit, ein gerechter Krieg zur rechten Zeit ist unter Umständen allein imstande, es (das ,Volk') vor schnellem Verfall zu bewahren" (S. 45).

Junius Alter widmet den innerpolitischen und sozialen Kalamitäten vor dem Kriege, dem Krupp- und Kieler Werftprozess3, der Wahlrechts- und Wehrbeitragsfrage, dem Fall Zabern4 und dem Anwachsen der Sozialdemokratie, bewegte Worte, macht dem Kanzler zum Vorwurf, im Jahre 1909, als bei der Reichsfinanzreform die „Reichsverdrossenheit zum sicheren Ausdruck kam", keine Vereinigung der Nationalliberalen mit den Parteien der Rechten herbeigeführt zu haben, und fährt fort: „Dieses Ziel wäre natürlich am leichtesten zu erreichen gewesen, wenn Herr von Bethmann Hollweg das Volk vor irgendeine große, es im tiefsten Innern berührende nationale Aufgabe gestellt hätte, welche die feindlichen Brüder (Konservative und Nationalliberale) ganz von selbst wieder zusammenführen musste –; ja, es steht außer Zweifel, dass eine solche Aufgabe, nach der das Volk (!!!) förmlich lechzte, sogar weit über diese enge Wirkung hinaus imstande gewesen wäre, eine Gesundung unseres gesamten innerpolitischen Lebens herbeizuführen. Aber Herr von Bethmann Hollweg hat dem Volke ein solches einigendes und empor reißendes Ziel nicht nur nicht gezeigt, sondern er hat im Gegenteil jeden Versuch, aus dem Volke heraus (!!) irgendein Hochziel aufzurichten, im Keim zu ersticken getrachtet."

Damit wird deutlich auf die bereits im „Klassenkampf", S. 83, erwähnten Pläne angespielt.

Kjellen: „Die politischen Probleme des Weltkrieges", gibt offen zu, der Weltkrieg sei überall als ein Mittel angesehen worden, um den inneren sozialen Krieg zu vermeiden.

A Ich beschränke mich hier in der Regel auf Erwähnung von Junius Alter, mit dem Kapp, Reventlow und überhaupt die Tirpitzianer übereinstimmen und der kein beliebiger Grünschnabel oder Zaungast, sondern sehr eingeweiht und bis ins einzelne für die „Fronde" typisch ist.

1 Helmuth von Moltke: Geschichte des deutsch-französischen Krieges von 1870-71, Zweite Auflage, Berlin 1891, S. 2. Die Red.

2 Wilhelm von Blume: Strategie, ihre Aufgaben und Mittel. Dritte, erweiterte und umgearbeitete Auflage, Berlin 1912. Alle folgenden nach Blume angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die gleiche Quelle. Die Red.

3 Zum Krupp-Prozess siehe Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften, Bd. VI, Berlin 1964, S. 371 bis 382.

Der Kieler Werftprozess fand im November/Dezember 1909 vor dem Schwurgericht in Kiel wegen Riesenunterschlagungen auf der Kieler Werft statt. Angeklagt waren Magazindirektoren, Aufseher, Beamte u. a. Personen wegen Unterschlagungen, Fälschungen und Bestechungen. Die Geschworenen verneinten jedoch alle Schuldfragen und erkannten auf Freispruch.

4 Im November 1913 war es in dem elsässischen Städtchen Zabern zu schweren Ausschreitungen des preußischen Militärs gegenüber den Einwohnern gekommen, die gegen die Beschimpfung der Elsässer durch einen Leutnant der Garnison protestiert hatten. Der Regimentskommandeur, Oberst von Reuter, maßte sich aus eigener Machtvollkommenheit die polizeiliche Exekutivgewalt an, ließ die Demonstrationen der Bevölkerung mit Waffengewalt auseinanderjagen und 27 Personen verhaften. Obwohl diese Vorgänge in ganz Deutschland und selbst bei Teilen des Bürgertums einen Entrüstungssturm gegen die Militärkamarilla auslösten und der Reichstag nach heftigen Debatten die Stellung der Regierung, die die Vorgänge zu bagatellisieren versuchte, mit 293 gegen 54 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen missbilligte, wurde Oberst von Reuter von einem Kriegsgericht in Straßburg von aller Schuld freigesprochen und im Januar 1914 vom deutschen Kaiser demonstrativ mit einem Orden dekoriert. Bereits während des Wütens der Soldateska in Zabern hatte der Kronprinz von Preußen an von Reuter telegraphiert: „Immer feste druff!" Der Berliner Polizeipräsident von Jagow hatte sich in einem Artikel in der „Kreuz-Zeitung" vom 22. Dezember 1913 ebenfalls vorbehaltlos auf die Seite des Militärs gestellt und gefordert, den Leutnant Forstner, einen der Hauptschuldigen an den Ausschreitungen in Zabern, straffrei ausgehen zu lassen.

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