Berufungserklärung des Gerichtsherrn vom 1. Juli 1916

Berufungserklärung des Gerichtsherrn vom 1. Juli 1916

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 113]

Der stellvertretende Gerichtsherr des Kommandanturgerichts Berlin gab im heutigen Vortrage dem unterzeichneten richterlichen Militärjustizbeamten gegenüber die mündliche Erklärung ab, dass er gegen das Urteil vom 28. 6. 1916 wider den Armierungssoldaten Liebknecht Berufung einlege, und zwar mit folgender Begründung:

Die erkannten Einzelstrafen und damit die Gesamtstrafe sind zu gering bemessen. Dies gilt insbesondere von der wegen versuchten Kriegsverrats in Verbindung mit erschwertem Ungehorsam verhängten gesetzlichen Mindeststrafe. Die gesamten Tatumstände und die Größe des möglichen Nachteils für das Reich erfordern eine strengere Bestrafung.

Da der Angeklagte bewusst und gewollt zum Nachteil seines Vaterlandes zu einer Zeit aufgetreten ist, wo dieses sich in schwierigster Lage befand, entspringt sein Tun aus einer ehrlosen Gesinnung, weshalb die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte angezeigt erscheint.

Bei der Festsetzung der Strafe für den Widerstand gegen die Staatsgewalt ist die große Gefährlichkeit des Beginnens des Angeklagten inmitten einer aufgeregten Menschenmenge nicht hinreichend gewürdigt worden.

Berlin, den 1. Juli 1916

gez. Dr. Coerrens, Kriegsgerichtsrat

Die Richtigkeit der Abschrift beglaubigt:

(L.S.) gez. Dr. Coerrens Kriegsgerichtsrat

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