Das Urteil zweiter Instanz

Das Urteil zweiter Instanz

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 174-182]

Oberkriegsgericht des Gouvernements der Residenz Berlin

Haftsache

Urteil

In der Untersuchungssache gegen den Armierungssoldaten Karl Liebknecht, zur Zeit in Untersuchungshaft in der Nördlichen Arrestanstalt Berlin, zuletzt vom Armierungsbataillon 118, wegen versuchten Kriegsverrats, erschwerten Ungehorsams und Widerstandes gegen die Staatsgewalt, hat das Oberkriegsgericht des Königlichen Gouvernements der Residenz Berlin in der Sitzung vom 23. August 1916, an welcher teilgenommen haben, und zwar als Richter: 1. Fregattenkapitän von Gohren, Vorsitzender, 2. Geh. und Oberkriegsgerichtsrat Dr. Glasewald, Verhandlungsführer, 3. Kriegsgerichtsrat K. A. Boeckh, 4. Major Graf von Kalkreuth, 5. Major Grieser, 6. Hauptmann Sobotta, 7. Oberleutnant Block; als Vertreter der Anklage: Militärhilfsrichter Zeitschel; als Militärgerichtsschreiber: Oberkriegsgerichtssekretär Westphal, für Recht erkannt:

Die Berufung des Angeklagten gegen das kriegsgerichtliche Urteil der Kommandantur der Residenz Berlin am 28. Juni 1916 wird verworfen; auf die Berufung des Gerichtsherrn gegen das genannte Urteil wird dasselbe bezüglich der erkannten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe aufgehoben; der Angeklagte wird wegen versuchten Kriegsverrats in Tateinheit mit erschwertem Ungehorsam im Felde sowie wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt mit 4 – vier – Jahren und 1 – einem – Monat Zuchthaus bestraft. Zugleich wird auf Entfernung aus dem Heere, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 6 – sechs – Jahren sowie auf Unbrauchbarmachung der Exemplare des Flugblatts: „Auf zur Maifeier!" und der zu deren Herstellung benutzten Platten und Formen erkannt.

Auf die erkannte Freiheitsstrafe wird 1 – ein – Monat der erlittenen Untersuchungshaft angerechnet.

Von Rechts wegen!

(Die Gründe dieses Urteils decken sich zum größten Teil mit denen des Kommandanturgerichts. Es genügt die Wiedergabe einiger Abschnitte.)

Die Verbreitung der Flugblätter: „Auf zur Maifeier!", die Verteilung der Handzettel, welche die Aufforderung zum Erscheinen auf dem Potsdamer Platze in Berlin am 1. Mai 1916, abends 8 Uhr, enthalten, und das Auftreten des Angeklagten daselbst bilden eine einheitliche Handlung. Es sollte die Verbreitung der Flugblätter den Anlass und die Zwecke der Maifeier bekanntmachen, die Verteilung der Handzettel das Zusammenströmen einer größeren Menge zu Demonstrationszwecken am gleichen Orte und zu derselben Stunde gewährleisten. Hier hat sodann der Angeklagte die in den Flugblättern niedergelegten Grundsätze, für welche er nach seiner eigenen Angabe die volle Verantwortung übernimmt, durch die wiederholt ausgestoßenen Rufe: „Nieder mit der Regierung! Nieder mit dem Kriege!" öffentlich kundgetan. Diese äußerlich gegebene Mehrheit von Akten stellt sich als ein in Wirklichkeit einheitlicher Willensakt in einem einheitlichen Vorsatze dar.

Die Vorschubleistung einer feindlichen Macht im Sinne des § 89 RStGB ist – wie die Vorinstanz schon zutreffend dargelegt hat – nicht nur die Förderung der Kriegsmacht des Feindes. Der Begriff der feindlichen Macht ist vielmehr, wie sich gerade daraus ergibt, dass bei der zweiten Alternative der Ausdruck „Kriegsmacht des Deutschen Reiches" gebraucht ist, im weiteren Sinne zu verstehen und bedeutet nicht nur die eigentliche Kriegsmacht des Feindes, d. h. nicht nur dasjenige, was der Feind als unmittelbare Kampfmittel dem Deutschen Reiche gegenüberstellt, sondern sämtliche dem Feinde zu Gebote stehende Mittel zur Durchführung der Niederwerfung seines Gegners. So fällt unter eine Vorschubleistung im Sinne des § 89 RStGB die Stärkung der finanziellen Mittel der feindlichen Macht – wie in Anwendung des §69 des früheren preußischen Strafgesetzbuches von 1851, des Vorbildes des § 89 RStGB, das preußische Obertribunal bei Zeichnung der französischen Kriegsanleihe 1870 seitens preußischer Staatsangehöriger angenommen hat – und überhaupt jede Handlung, die auch auf nicht materiellen Gebieten der feindlichen Macht Vorschub leistet. Also genügt es hierfür, dass die feindliche Staatsgewalt durch Handlungen gestärkt wird, welche bei den Angehörigen der feindlichen Macht das Beharren im Widerstande während des Krieges fördern. – Vgl. Köhler: Hochverrat und Landesverrat, in Goldtdammers Archiv, Bd.51, S.280; Hollweg: Kriegsverrat, S.46ff.; Epstein: Landesverrat, S. 37; v. Liszt: Lehrbuch, 20. Aufl., S. 556; Goldtdammers Archiv, Bd. 19, S. 396 ff.

So wird also in dem Flugblatt dargelegt, der Krieg werde nur zu dem Zwecke geführt, den Besitzenden unter völliger Ausbeutung der arbeitenden Klassen materielle Vorteile zuzuwenden, es wird der Klassenhass geschürt und zur Erhebung des deutschen Volkes gegen seine Regierung als geschäftsführender Ausschuss deutscher Junker und deutscher Kapitalisten als Todfeinde jeglicher Freiheit aufgefordert, während behauptet wird, nicht das französische, russische oder englische Volk seien die Feinde der Deutschen. Dem entsprechen auch die wiederholten Rufe des Angeklagten am 1. Mai „Nieder mit dem Kriege! Nieder mit der Regierung!" in der zur Maifeier infolge der Verteilung der Handzettel versammelten Menge.

Dass der Inhalt der Flugblätter und die Vorgänge auf dem Potsdamer Platz am 1. Mai 1916 auch in die ausländische Presse gelangt sind, ergeben die von dem Angeklagten inhaltlich zugestandenen, vorher angeführten Berichte. Das Oberkriegsgericht ist der Überzeugung, dass die zum Mindesten hierdurch, aber auch sonst durch andere mündliche oder schriftliche Mitteilungen, die nach der allgemeinen Erfahrung als geschehen festgestellt sind, verbreitete Kenntnis der Flugblätter und der Demonstration dazu diente, den Eindruck zu erwecken, in dem Deutschen Reiche stehe die Regierung infolge Kriegsmüdigkeit eines erheblichen Teiles der Bevölkerung größeren inneren Schwierigkeiten gegenüber, und somit bei der feindlichen Staatsgewalt die Vorstellung hervorzurufen geeignet ist, das Deutsche Reich werde bei dieser Sachlage infolge innerer Zwistigkeiten den Krieg nicht mehr lange durchhalten können, im Volke selbst werde nicht die Bevölkerung der mit dem Deutschen Reiche Krieg führenden Staaten, sondern die deutsche Regierung selbst als Todfeind betrachtet. Das Oberkriegsgericht ist demgemäß der Überzeugung, dass die so geschehene Verbreitung des Flugblattes, die Aufforderung zu der Demonstration auf dem Potsdamer Platz, diese selbst und die öffentlichen Ausrufe des Angeklagten bei dieser geeignet waren, das feindliche Ausland im Vertrauen auf eine daraus für das Deutsche Reich sich ergebende Notwendigkeit eines vorzeitigen, ungünstigen Friedensschlusses zum weiteren Widerstande zu ermuntern und zu stärken und daher den dem Deutschen Reiche und seinen Bundesgenossen feindlichen Mächten Vorschub zu leisten.

Bezüglich der zweiten Alternative des § 89 RStGB, der Zufügung von Nachteil gegenüber der Kriegsmacht des Deutschen Reichs oder dessen Bundesgenossen, handelt es sich um die Kriegsmacht im engeren Sinne, nämlich die militärische Macht des Deutschen Reiches, also das deutsche Heer und die deutsche Marine. Hier ist ebenfalls unter Nachteilszufügung nicht etwa nur die unmittelbare materielle Schädigung zu verstehen. Sie betrifft auch vielmehr solche Handlungen, die lediglich von psychologischem Einflüsse sind, indem sie das Vertrauen zur Führung und dadurch die freudige Hingabe des einzelnen bis zu endlichem ehrenvollen Frieden lähmend beeinflussen und so der Aufrechterhaltung des Geistes der Disziplin im Heere entgegenwirken. Die verhetzenden, bei Würdigung der ersten Alternative § 89 RStGB vorgetragenen Redewendungen des Flugblattes sind hierzu geeignet, falls es zur Kenntnis von Soldaten kommt. Dies ist bei der in erheblichem Umfange geschehenen Verbreitung schon aus der Sachlage selbst in Übereinstimmung mit der Vorinstanz als erwiesen angesehen. Mut und Kampfesfreudigkeit werden niedergedrückt, wenn die Kämpfer als Opfer der Gewinnsucht einzelner Klassen der Bevölkerung dargestellt werden, zu deren allgemeinem Vorteil sie ihr Leben hingeben sollen wie Schafe, die zur Schlachtbank getrieben werden, und die eigene Regierung als eigentlicher Feind des deutschen Volkes bezeichnet wird. Insbesondere ist ferner dieser Inhalt des Flugblattes auch dazu angetan, willige Arbeiter, die mit Lieferungen für den Heeresbedarf wie an Herstellung von Munition oder von Gegenständen zur Ausrüstung oder Ernährung des Heeres beschäftigt sind, zu veranlassen, in der Überzeugung von dem tatsächlichen Vorhandensein der von dem Angeklagten behaupteten Übelstände die Arbeit niederzulegen oder sie zum mindesten lässiger oder unsorgfältiger auszuführen und hierdurch eine erhebliche Schädigung der Kriegsmacht infolge nicht rechtzeitiger oder minderwertiger Heereslieferungen zu bewirken.

Der Erreichung derartiger Zwecke diente bei Soldaten, die nach eigener Angabe des Angeklagten auch Zeugen der Vorgänge auf dem Potsdamer Platze gewesen sind, wie bei den dort anwesenden Bürgern auch diese Demonstration und das Auftreten des Angeklagten am Abend des 1. Mai 1916 ebenda. Denn dass unter den letzteren auch mit derartigen Arbeiten für das Heer beschäftigte Leute waren, kann zur Zeit infolge des großen Bedarfs an Arbeiten für militärische Zwecke nicht zweifelhaft sein.

Der Angeklagte hat vorsätzlich gehandelt. Der Vorsatz besteht in der Voraussicht des Erfolges. Es kommt nicht darauf an, ob diese Voraussicht der Beweggrund seines Handelns war. Ebenso wie derjenige vorsätzlichen Landesverrat begeht, welcher weiß, dass eine Beteiligung an der Zeichnung der feindlichen Kriegsanleihe die Widerstandskraft des Feindes erhöhen werde, auch wenn es ihm selbst dabei nur um seinen persönlichen Gewinn zu tun war, so macht sich auch derjenige des vorsätzlichen Landesverrats bzw. Kriegsverrats schuldig, welcher weiß, dass durch sein Handeln der feindlichen Macht Vorschub geleistet wird oder der Kriegsmacht des Deutschen Reiches oder seiner Bundesgenossen Nachteil zugefügt wird, mag er auch selbst damit für sich persönlich oder für eine bestimmte politische Partei eines Landes oder eine internationale Verbindung besondere Zwecke verfolgen. Der Angeklagte hat die Vorschubleistung der feindlichen Macht als Wirkung seines Handelns vorausgesehen. Bezüglich der Zufügung von Nachteil für die Kriegsmacht des Deutschen Reiches hat er diese nach seiner eigenen Angabe bewusst und absichtlich mit äußersten Kräften in erster Linie schwächen und brechen wollen. Er hat es als die höchste sozialistische Aufgabe und damit als sein eigenes Ziel bezeichnet, auch die proletarischen Soldaten zu dem hunderttausendfältigen trotzigen Rufe zu bringen: „Wir werden nicht schießen!" weil diesen die Pflichten der internationalen Solidarität und des Klassenkampfes über alle militärischen Befehle gehen müssten. Aus welchen Beweggründen er im Übrigen gehandelt hat, ist unerheblich, ebenso wenig kommt es darauf an, ob in anderen mit dem Deutschen Reiche kriegführenden Ländern Vertreter der gleichen politischen Anschauungen ein ähnliches Vorgehen gegen ihre Regierung auch auf Grund sozialistischer internationaler Propaganda zum Ziel haben, zumal der Angeklagte vor dem Oberkriegsgericht angegeben hat, er habe es weit von sich gewiesen, selbst im feindlichen Auslande in derselben Weise, wie er es im Deutschen Reiche getan hat, gegen die dortigen Regierungen zu wirken.

Er hat in der Hauptverhandlung im Anschluss hieran mit besonderer Betonung erklärt, ehe er so etwas laut werden lasse, sich „lieber die Zunge auszureißen".

Im Übrigen würde auch ein solches Vorgehen des Angeklagten selbst oder ein gleichartiges Handeln anderer auf seine Veranlassung in den mit dem Deutschen Reiche im Kriege befindlichen Staaten dem bei ihm vorhandenen Vorsatze der Vorschubleistung der feindlichen Macht und der Zufügung von Nachteil für die Kriegsmacht des Deutschen Reiches und des infolge hiervon auch tatsächlich möglichen Erfolges nicht entgegenstehen. Dies vorsätzliche Handeln des Angeklagten ist, wie aus seinen eigenen Angaben hervorgeht, im bewussten Auflehnen gegen Gesetz und Ordnung geschehen; er war sich der Rechtswidrigkeit und der gesetzlichen Strafbarkeit seines Handelns voll bewusst.

Ob durch das dargelegte Verhalten des Angeklagten der Vorteil für die feindlichen Mächte bzw. der Nachteil für die Kriegsmacht des Deutschen Reiches eingetreten ist, d. h., ob die kriegerische Lage der Gegner hierdurch eine günstigere oder die der deutschen Kriegsmacht eine ungünstigere geworden ist, ist nicht zu erweisen. Ein zur Vollendung gekommenes Verbrechen des Angeklagten liegt mangels des Nachweises des Eintritts solcher Folgen demnach nicht vor. Feststellbar ist nur, dass der Angeklagte das ihm zur Last gelegte Verbrechen versucht hat. Sein Verhalten bei Verbreitung der Flugblätter sowie der Handzettel mit der Aufforderung zum Erscheinen auf dem Potsdamer Platz und sein dortiges Auftreten stellen Handlungen dar, welche einen Anfang der Ausführung des beabsichtigten Verbrechens enthalten. Denn durch sie sollte der beabsichtigte Erfolg unmittelbar herbeigeführt werden, und schon in der Verbreitung der Flugblätter lag der Beginn der zum gesetzlichen Tatbestände des beabsichtigten Verbrechens gehörenden Handlungen – vgl. Rüdorff-Stenglein: Kommentar zum RStGB, 4. Aufl., Anm. 6 zu §89 Nachtrag, Olshausen, Anm. 18 zu § 43 RStGB.

Der Angeklagte hat sich daher des versuchten Landesverrats im Sinne des § 89 RStGB schuldig gemacht, und zwar als Soldat und im Felde gemäß § 92, 57 MStGB, da er diesen in Gebieten begangen hat, in denen durch Kaiserliche Verordnung vom 31. Juli 1914 der Kriegszustand erklärt war, was dem Angeklagten bei Begehung der Tat auch bekannt und bewusst war.

Aus der Hauptverhandlung hat das Oberkriegsgericht die Überzeugung von der vollen Verhandlungsfähigkeit und der vollen Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Zeit der von ihm begangenen Straftaten gewonnen. Bezüglich der Festsetzung der Strafen war diejenige wegen versuchten Kriegsverrats in Tateinheit mit erschwertem Ungehorsam im Felde nach § 73 RStGB aus § 58 MStGB §§ 43, 44, 45 RStGB zu entnehmen.

Der Angeklagte ist, wie die Vorinstanz bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt hat, bereits wegen einer ähnlichen Tat der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens – mit einem Jahr sechs Monaten Festungshaft – vorbestraft. Er ist im Übrigen von guter Führung. Auch hat er, wie wenigstens nicht widerleglich erschienen ist, sich durch eine von ihm für richtig gehaltene Auffassung und Meinung leiten lassen, in die er sich verrannt hat. Nach seiner Versicherung, die er mit besonderem Nachdrucke und mit wiederholter Betonung abgegeben hat, ist er des Glaubens gewesen, eine Pflicht zu haben, so zu handeln, wie er es getan hat. Auch war in Betracht zu ziehen, dass er selbst und seine Familie durch eine Zuchthausstrafe und deren Folgen an sich schwer getroffen wird.

Aber er hat seiner Pflicht als Soldat und Staatsbürger in so hohem Grade uneingedenk und zuwidergehandelt, dass die vom Kriegsgericht verhängte Strafe für zu gering erachtet ist. Demgemäß erschien eine Zuchthausstrafe von vier Jahren angemessen.

Bezüglich des Widerstandes konnte das Oberkriegsgericht in Rücksicht darauf, dass dieser gelegentlich des Zusammenströmens einer großen Menschenmenge geleistet und daher anreizend auf die Massen zu wirken geeignet war, keinen Anlass sehen, dem Angeklagten mildernde Umstände zuzubilligen, und hat deshalb auf eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten erkannt, die nach § 21 RStGB in eine Zuchthausstrafe von einem Monat umzuwandeln war.

Die so erkannten beiden Einzelstrafen sind gemäß § 74 RStGB § 54 MStGB auf eine Gesamtstrafe von vier Jahren und einem Monat Zuchthaus zurückgeführt worden. Ferner hat das Oberkriegsgericht in Anwendung der §§ 32, 45 RStGB es für gerechtfertigt erachtet, gegen den Angeklagten auf den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen, wovon die Vorinstanz deshalb abgesehen hatte, weil der Angeklagte nicht aus ehrlosen Motiven heraus gehandelt habe.

Zu einer Zeit, in welcher der größte Teil seiner Mitbürger ohne Rücksicht auf Stand, Lebensstellung und Vermögen zur Verteidigung des Vaterlandes unter den Fahnen steht und bereit ist, dessen Schutze Leben und Gut zum Opfer zu bringen, hat der Angeklagte die Flugblätter, für deren Inhalt er die volle Verantwortung auf sich nimmt, zur Verteilung gebracht, in denen behauptet wird, die Feinde der Deutschen seien nicht das französische, russische oder englische Volk, sondern deutsche Junker, deutsche Kapitalisten und ihr geschäftsführender Ausschuss: die deutsche Regierung.

Wenn er sich dazu berufen fühlt, durch Vereinigung der sogenannten Proletarier aller Länder die Lage des Arbeitsstandes zu heben, ergibt sich für ihn noch keine Legitimation, durch so verwerfliche Mittel, wie sie die Verbreitung der Flugblätter mit einem solchen Inhalt darstellt, für seine Ideen zu agitieren. Gerade ihm als langjährigem Abgeordneten ist es am besten bekannt, an welchen Stellen das Volk durch seine Vertreter seine Wünsche vorbringen kann. Er hat jene Interessen, die er vertritt, über die des Vaterlandes gestellt und sich nicht gescheut, die Regierung des eigenen Staates, dessen staatsbürgerliche Vorteile er genießt, nicht nur herabzuwürdigen, sondern sogar ihren Sturz als erstrebenswertes Ziel öffentlich auszurufen.

Ein derartiges Handeln zum Nachteile des eigenen Vaterlandes, das Herabziehen von dessen Regierung als wahrem Feind des deutschen Volkes in der jetzigen Kriegszeit zeugt von einer jedes ehrliebenden Deutschen, geschweige denn eines deutschen Soldaten, dessen hoher Beruf der Schutz des Vaterlandes ist, unwürdigen und niedrigen Gesinnung, die es als ausgeschlossen erscheinen lässt, dem Angeklagten neben der nach dem Gesetze allein möglichen Bestrafung mit Zuchthaus die bürgerlichen Ehrenrechte zu belassen.

Die Dauer des Verlustes dieser Rechte ist aus den gleichen Erwägungen auf sechs Jahre bemessen worden.

Die Entfernung aus dem Heere war auf Grund des § 31,1 MStGB geboten.

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