Karl Liebknecht 19160729 Schriftsatz

Karl Liebknecht: Schriftsatz vom 29. Juli 1916 (das Urteil gegen Fryatt)

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 115 f.]

Soeben lese ich die amtliche Wolff-Meldung über das Urteil des Marinefeldgerichts zu Brügge vom 27. d. M. gegen den englischen Kapitän Charles Fryatt. Fryatt ist zum Tode verurteilt und – nach Bestätigung des Spruchs – sofort erschossen, weil er als Kapitän eines englischen Handelsschiffes, entsprechend der englischen Admiralitätsanweisung, am 28. März 1915 das deutsche U-Boot 33 zu rammen versucht hat. Die Tat ist begangen kurz vor der deutschen Untat an der „Lusitania"1 während des völkerrechtswidrigen „rücksichtslosen U-Boot-Kriegs". Die von Fryatt geübte Abwehrmethode wurde und wird nicht nur vom „feindlichen Ausland", sondern auch von der herrschenden Meinung des neutralen Auslandes und von allen objektiv und selbständig urteilenden Deutschen für zulässig erachtet. Die deutsche Regierung hat diesem Standpunkt in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten beträchtliche Zugeständnisse machen müssen, sie hat zudem laut Note und Denkschrift vom 9. Februar 1916 die (zur Abwehr) bewaffneten feindlichen Handelsschiffe, zu denen das Schiff Fryatts gehörte, in aller Form zu Kriegsschiffen proklamiert. Fryatt ist fünf Vierteljahre nach der Tat als Mitglied der Besatzung eines gekaperten englischen Handelsschiffes in deutsche Hände gefallen.

Das Feldgerichtsurteil vom 27. Juli ist ein Akt des Hasses und der Rachsucht gegen England, der um so unwürdiger dasteht, je feierlicher er sich in die Toga der Justiz hüllt; eine Ausgeburt jenes deutschen „Baralong"-Geistes2, der jetzt, im Zeichen der großen Verbandsoffensive und der Tirpitzianischen U-Boot-Propaganda, wieder mit aller Macht aufgepeitscht wird: „Gott strafe England!" (weil seine Krämerseelen den deutschen Krämerseelen im Wege stehen!) tönt wieder das deutsche Feldgeschrei („Deutsche Tageszeitung" vom 28. Juli).

Das Urteil von Brügge wird, wenn nicht alles trügt, zu neuem Wettlauf der Repressalien, zu neuem schonungslosem Wüten gegen Unbeteiligte und Wehrlose führen: Baralong zeugt Baralong!

Die Zensur verhindert in der Erbärmlichkeit des bösen Gewissens auch hier jede öffentliche Kritik.

Ich habe nicht nötig, jede Gemeinschaft mit den Verantwortlichen dieses Urteils und seiner Vollstreckung zurückzuweisen, die den deutschen Namen mit neuer Schmach bedeckt haben.

Armierungssoldat Liebknecht

1 Am 7. Mai 1915 wurde das englische Passagierschiff „Lusitania" von einem deutschen U-Boot ohne Warnung torpediert und versenkt. Dabei ertranken mehr als 1000 Menschen.

2 Am 19. August 1915 versenkte der britische Hilfskreuzer „Baralong" ein deutsches U-Boot. Die schiffbrüchige Besatzung wurde getötet. Diesen Vorfall nahmen deutsche Kriegspolitiker zum Anlass für eine verschärfte Hetze gegen England.

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