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Karl Liebknecht 19160111 Der Anfragenfeldzug

Karl Liebknecht: Der Anfragenfeldzug

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 306, Berlin 1916, S. 512-513 und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 438-441]

Kleine Anfragen im Deutschen Reichstag

Liebknecht:

Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, dass während des jetzigen Krieges im verbündeten türkischen Reiche die armenische Bevölkerung zu Hunderttausenden aus ihren Wohnsitzen vertrieben und niedergemacht worden ist?

Welche Schritte hat der Herr Reichskanzler bei der verbündeten türkischen Regierung unternommen, um die gebotene Sühne herbeizuführen, die Lage des Bestes der armenischen Bevölkerung in der Türkei menschenwürdig zu gestalten und die Wiederholung ähnlicher Gräuel zu verhindern?

Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat das Wort der Dirigent der politischen Abteilung im Auswärtigen Amte, Kaiserliche Gesandte Herr Dr. von Stumm.

von Stumm, Kaiserlicher Gesandter, Dirigent der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Kommissar des Bundesrats: Dem Herrn Reichskanzler ist bekannt, dass die Pforte vor einiger Zeit, durch aufrührerische Umtriebe unserer Gegner veranlasst, die armenische Bevölkerung bestimmter Gebietsteile des türkischen Reiches ausgesiedelt und ihr neue Wohnstätten angewiesen hat. Wegen gewisser Rückwirkungen dieser Maßnahme findet zwischen der deutschen und der türkischen Regierung ein Gedankenaustausch statt. Nähere Einzelheiten können nicht mitgeteilt werden.

Liebknecht: Ich bitte ums Wort zur Ergänzung der Anfrage!

(Heiterkeit.)

Präsident: Zur Ergänzung der Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, dass Professor Lepsius geradezu von einer Ausrottung der türkischen Armenier gesprochen – –

(Glocke des Präsidenten. – Redner versucht weiterzusprechen. – Rufe: „Ruhe! Ruhe!")

Präsident: Herr Abgeordneter, das ist eine neue Anfrage, die ich nicht zulassen kann.

Liebknecht: Herr Präsident, zur Geschäftsordnung!

Präsident: Bitte, zur Geschäftsordnung.

Liebknecht: Ehe der Herr Präsident noch die Anfrage zu Ende gehört hat, wird er nicht in der Lage sein, zu beurteilen,

(Heiterkeit.)

ob es sich um eine neue Anfrage handelt oder nicht. Im Übrigen hebe ich hervor, dass der Herr Präsident nicht aus eigenem Antrieb

(Lebhafte Rufe: „Oho!")

zu der Auffassung, dass eine neue Anfrage vorliege, gelangte, sondern das ihm aus dem Hause erst zugerufen wurde.

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, diese Kritik meiner Geschäftsführung muss ich mir verbitten.

(Lebhaftes „Bravo!")

Wir kommen zur

Anfrage Nr. 13 (Nr. 188 der Drucksachen).

Das Wort zur Verlesung hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Ist die Regierung bereit, dem Reichstag schleunigst das Material vorzulegen über die Lage der Bevölkerung in den von Deutschland besetzten fremden Gebieten, ihre Versorgung mit Lebensmitteln (Nahrung, Kleidung, Unterkunft), ihren Gesundheitszustand, ihre Rechtslage, über Zahl, Art und Grund der gegen sie von den deutschen Behörden verhängten Strafen und Vergeltungsmaßregeln, über den Umfang der an ihr vollzogenen militärischen Requisitionen und die dabei befolgten Grundsätze sowie über die Höhe der ihr, besonders der belgischen Bevölkerung, auferlegten Kontributionen?

Präsident: Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Ministerialdirektor Dr. Lewald.

Lewald, Direktor im Reichsamt des Innern, stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat: Der Herr Reichskanzler ist nicht bereit, das von dem Herrn Abgeordneten Liebknecht gewünschte Material dem Reichstag vorzulegen, wird aber, wie bisher, über die Tätigkeit der Zivilverwaltungen in den besetzten Gebietsteilen auf Wunsch dem Ausschuss für den Reichshaushalt Auskunft erteilen lassen.

(„Bravo!")

Liebknecht: Ich bitte ums Wort zur Ergänzung!

(Heiterkeit.)

Präsident: Zur Ergänzung der Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Wie viele Orte und Gebäude sind von den deutschen Militärbehörden in Feindesland seit Beginn des Krieges zum Zwecke der Vergeltung zerstört – –

(Andauerndes Läuten der Glocke.)

Präsident: Herr Abgeordneter, das ist keine Ergänzung, sondern eine ganz neue Anfrage, die ich nicht zulassen kann.

Wir kommen zur Anfrage Nr. 14 (Nr. 189 der Drucksachen).

Zur Verlesung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Ist die Regierung bereit, dem Reichstag unverzüglich das Material vorzulegen:

a) über die von den deutschen Militär- und Zivilbehörden während des Kriegs auf Grund des Belagerungszustandes getroffenen allgemeinen und besonderen Maßregeln zur Aufhebung des Vereins- und Versammlungsrechts und der persönlichen Freiheit (Versammlungsverbote, Vereinsauflösungen, Eingriffe in das Briefgeheimnis, polizeiliche Überwachung des Telefonverkehrs, Verhaftungen, Haussuchungen usw.); insbesondere über die Zahl der während des Kriegs ohne gerichtliches Verfahren in militärische und polizeiliche Haft (cachot) verbrachten Zivilpersonen, über Grund und Dauer dieser Haft;

b) über Zahl, Höhe und Grund der während des Kriegs gegen Angehörige der Armee erkannten Strafen und über den Gefangenenbestand der Militärgefängnisse seit Beginn des Kriegs?

Präsident: Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Ministerialdirektor Dr. Lewald.

Lewald: Der Herr Reichskanzler ist nicht bereit, das von dem Herrn Abgeordneten Liebknecht gewünschte Material dem Reichstag vorzulegen.

(„Bravo!")

Liebknecht: Das ist bezeichnend genug! Ich bitte ums Wort zur Ergänzung.

(Heiterkeit.)

Präsident: Ich möchte bemerken, dass Ihre soeben getane Bemerkung: „Das ist bezeichnend genug!" den Gebräuchen des Hauses und der Geschäftsordnung nicht entspricht.

(„Bravo!")

Ich bitte, nunmehr zur Ergänzung das Wort zu nehmen.

Liebknecht: Weiß der Herr Reichskanzler, dass in Deutschland von den Militär- und Polizeibehörden fast allenthalben „schwarze Kabinette" eingerichtet sind,

(Heiterkeit.)

in denen die Korrespondenz – –

(Glocke des Präsidenten. – Redner versucht weiterzusprechen. – Andauerndes Läuten der Glocke. – Lebhafte Rufe: „Ruhe! Ruhe!" – Zuruf von den Sozialdemokraten: „Halten Sie doch Ruhe!" – Heiterkeit.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, das ist keine Ergänzung der Anfrage, sondern eine neue Anfrage, die ich nicht zulassen kann.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Liebknecht.)

Ich bitte Sie, sich meinen Anordnungen zu fügen.

Liebknecht: Ich protestiere gegen diese Vergewaltigung der Geschäftsordnung durch den Herrn Präsidenten!

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, wegen dieser Äußerung rufe ich Sie zur Ordnung!

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