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Karl Liebknecht 19160319 Die Aufgaben der deutschen Opposition

Karl Liebknecht: Die Aufgaben der deutschen Opposition

Materialien über die Reichskonferenz der Gruppe Internationale 19. März 1916

[I: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, NL-36. II: Spartakusbriefe. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Dietz Verlag, Berlin 1958, S. 139-141. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 547-553]

I

Stenographische Notizen1 über das Referat Karl Liebknechts

Die Internationale ist zusammengebrochen. Weshalb? Weil die einzelnen Sektionen zusammengebrochen sind. In erster Linie die deutsche. Es ist zusammengebrochen die grundsätzliche Haltung der deutschen Sozialdemokratie. Die Führer haben die Prinzipien verraten. Aber auch die Masse hat versagt. Die ganze Organisation hat die Massen zu hilflosen Haufen gemacht, die ohne Leithammel nicht auskommen. In dem Zusammenbruch der deutschen Partei sind auch die ganzen Fehler klar geworden. Resümee aus den Sünden der Vergangenheit der Partei. Dasjenige, was vor dem 4. August gewesen ist, ist ganz in den Hintergrund des Gedächtnisses gerutscht, dass wir uns nur mühselig der Fehler erinnern, die früher gemacht worden sind. Daraus ergeben sich für uns die Konsequenzen.

Wir haben uns zunächst klarzumachen, dass die Aktionsfähigkeit einer Partei nicht in irgendeiner Weise von der Zahlengröße ihrer Anhänger abhängig ist, dass sie im Verhältnis steht zu dem Maß an Übereinstimmung der Gedanken, der prinzipiellen Auffassung, der taktischen Bestrebungen und im direkten Verhältnis zu der Energie, dem festen Willen, die den Massen selbst anerzogen ist. Daraus erkennen wir unsere Aufgabe für die weitere Zukunft.

Die Schwäche unserer Partei liegt darin, dass man immer fünf hat gerade sein lassen. Einigkeit war die Hauptsache, und faktisch war es nichts weiter als der tiefste Krebsschaden. Das Brandmal der Schwäche war diese Einigkeit und nicht ein Anlass zum Triumph. Daraus müssen wir entnehmen, die Pflicht in den Vordergrund der Aufgaben zu stellen, die scharfe Klärung der Grundsätze, dass sie nicht, von Autoritätsglauben erfüllt, Einzelnen folgt, sondern jeder Einzelne selbst denkt, selbst überlegt und selbst handelt aus eigenem Entschluss.

Wir haben ein Programm. Es ist nicht klar, es wird anders ausgelegt. Die Frage, wie man sich zur Landesverteidigung zu stellen hat, nirgends festgelegt. Infolgedessen ist es eine Notwendigkeit, dass wir in den taktischen Problemen unsere Grundsätze festlegen. Die „Leitsätze" sollen die Anwendung des Erfurter Programms sein auf die Probleme, die uns im Kriege gegenübergetreten sind. Diese Festlegung ist notwendig, damit wir die Haltung des Proletariats festlegen. Es ist infolgedessen meine Bitte, dass wir über die „Leitsätze" abstimmen.

Die Klarheit der Grundsätze ist nicht das Einzige. Es bedarf der Klarheit auch für uns darüber, wie wir diese Grundsätze im Einzelnen anzuwenden haben, und da ergibt sich, dass wir dieselben Fragen zu beantworten haben in Deutschland wie in Bezug auf Zimmerwald. Sie haben sich bereits darauf festgelegt. 1. Frage der Landesverteidigung. Nur mit diesen können wir zusammenarbeiten. Wie steht es in Deutschland. Deutschland ist doch nur ein Teil der Internationale. Es kann nicht anders sein, als dass für Deutschland auch dieselben Grundsätze gelten, dieselben Scheidelinien gelten. Daraus ergibt sich für uns sofort, dass wir mit Leuten, die auf dem Boden der Landesverteidigung stehen, nicht zusammenarbeiten können. Unsere Taktik im Kriege ist nur denkbar als eine internationale Taktik. Es muss also eine Taktik sein, die für alle Fälle anwendbar ist. Die Voraussetzungen der Haltung dürfen nicht solche sein, dass nicht hier für und dort gegen den Krieg eingetreten werden kann, gleichviel wie die Kriegslage. Genauso hier wie in jedem anderen Teil der Internationale. Es ergibt also die Notwendigkeit eines Schnittes.

Niemals ist es notwendiger, klare Richtlinien zu schaffen, als in der Zeit des Krieges. Sollen wir jetzt etwa Milch- und Wassersuppen kochen oder Limonade trinken? Es ist vollkommen klar, dass wir eine scharfe Linie zu ziehen haben.

Der Stuttgarter Kongress hat uns zur Aufgabe gemacht, wenn der Krieg doch ausgebrochen ist, die im Krieg entwickelnden Verhältnisse auszunutzen, um das Proletariat auszunutzen, für den Frieden zu kämpfen und die bürgerliche Gesellschaft zu erschüttern. Man kann nicht in der Dunkelkammer die Politik gegen den Krieg machen. Wir müssen ihn bei jeder Gelegenheit führen. Wir haben wenig Gelegenheit. Wir müssen durch geheime Zusammenkünfte usw. wirken.

Wir müssen jede Gelegenheit, alle Gelegenheiten nutzen. Im Parlament gilt es zunächst die Gelegenheit auszunutzen. Wenn man später einmal die Geschichte der Fraktion liest, wird man sich schämen, dass so wenige sich als Organe der Massen auch in dieser Zeit bewährt haben.

Die Kleinen Anfragen! Wer hat mit gehindert? Ledebour. Man will keine Konflikte mit der Fraktionsmehrheit. Burschen wie Noske und Heine züchtigen und peitschen, daran hindert uns die Opposition. Meyer usw.

Die Tat vom 21. 12. usw. und die Erklärung. Es konnte aus der Aktion etwas werden, wenn sich daran geknüpft hätte ein energischer Kampf. Es ist vollkommen klar, dass diese Halbheit, dass diese Schwäche in Bezug auf die Prinzipien, die Taktik gegenüber dieser Opposition so bedenklich wie möglich machen muss. Wir dürfen mit diesen Leuten nicht zusammenarbeiten, da sie uns erdrücken würden. Es ist im Interesse der gesunden Entwicklung der Partei notwendig, dass wir unseren geraden Weg gehen, selbst auf die Gefahr hin, dass wir vorübergehend unter den Schlitten kommen sollten.

Was hat unsere gesamte Taktik gegenwärtig zu bestimmen? Der Krieg ist der schärfste Ausdruck der Klassenherrschaft und des Imperialismus. Der Krieg ist ein Vorgang, der sich erstreckt auf alles, auf die ganze Welt. Für uns eine besondere kriegerische Lage geschaffen. Danach ist unsere Taktik vollkommen eindeutig und klar. Schärfster Kampf.

Aber nicht nur an die Parteigenossen, sondern an alle Indifferenten müssen wir uns wenden. In welcher Form denken wir uns die Einwirkung nach dem Stuttgarter Kongress? Massenaktionen. Wir können sie aber nicht herbeiführen. Butterkrawalle sind Symptome. Wir haben alles zu tun, Massenaktionen zu unterstützen, ihnen ein Ziel zu setzen. Wir haben weiter durch unsere Agitation den Boden nach Kräften zu ebnen, auf dem die Stimmung erwächst, aus der solche Aktionen heraus stürmen. Es ist die besondere Aufgabe von uns, aufrüttelnd auf die Massen zu wirken. Es ist nicht das Wichtigste, Scheidemann oder andere abzusägen. Es handelt sich um etwas ganz anderes. Unsere Parole ist Klärung der Massen nach unseren Grundsätzen, sie zu Aktionen erziehen, Aktionen, die vorhanden sind, zu unterstützen und so die gegenwärtige Epoche zu einer revolutionären zu gestalten. Aus einer Konterrevolution wäre eine revolutionäre Aktion zu machen. Wenn es trotz der Arbeit nicht gelingt, dann haben wir unsere Arbeit getan. Ohne alle Rücksicht auf opportunistische Neigungen unsere taktischen, politischen Pflichten zu erfüllen im Sinne des internationalen revolutionären Klassenkampfes. Nur wenn wir hier unsere Schuldigkeit tun, sowohl während des Krieges das Möglichste erzielen können, auch nach dem Kriege den nötigen Kredit. Wenn wir uns darauf beschränken, während des Krieges zu schweigen, dann werden wir nachher ausgelacht werden. (Vorgang aus der Landtagsfraktion. Misstrauensvotum.)

II

Resolution

Die deutsche Sozialdemokratie, deren Zusammenbruch nur die Feststellung ihrer längst bestehenden Schwäche war, muss eine völlige innere Umwandlung erfahren, wenn sie befähigt werden soll, die proletarische Masse in ihrer geschichtlichen Mission zu leiten.

Ihre Entwicklung zu einer aktionsfähigen revolutionären Macht kann nicht durch bloße Programme und Manifeste erzielt werden, nicht durch mechanische Disziplin oder tote organisatorische Formen, sondern nur durch Ausbreitung lebendigen Klassenbewusstseins und entschlossener Initiative in den Massen.

Voraussetzung dafür ist die Umgestaltung des bürokratischen Systems der Partei- und Gewerkschaftsorganisation, das die Entschluss- und Tatkraft der Massen im Wust der Instanzen erstickt, in ein demokratisches System, wo die Funktionäre Werkzeuge der Massen sind. Gegenüber der Verräterei und Obstruktion, die heute von Partei- und Gewerkschaftsinstanzen unter Missbrauch der Losungen „Disziplin" und „Einigkeit" und unter Ausnutzung des Organisationsapparates betrieben wird, um die Arbeiterschaft den Zwecken der imperialistischen Klassen dienstbar zu machen, ist der zielklare sozialistische Wille der proletarischen Massen bei jeder Gelegenheit von unten auf rücksichtslos durchzusetzen, um die Organisation ihrem Berufe wieder zuzuführen: als schneidige Waffe des Klassenkampfes zu dienen.

Auf die Betätigung der Frauen, die im Kriege zu einer besonders bedeutsamen politischen Rolle berufen sind, und der Jugendlichen muss stärkstes Gewicht gelegt werden. Die Verselbständigung der Jugendbewegung ist nachdrücklich zu unterstützen.

Die Propaganda hat sich in erster Linie an die organisierte Arbeiterschaft zu wenden; sie muss aber darüber hinaus mit erhöhtem Eifer noch nicht Organisierte zu ergreifen trachten, die unter dem Einflüsse des Weltkrieges zu einem überaus günstigen Rekrutierungsfeld für den Sozialismus geworden sind.

Klärung der Grundsätze, Festigkeit in der prinzipiellen und taktischen Haltung, schroffe Durchführung des Klassenkampfes im Sinne des proletarischen Internationalismus ist gerade im Krieg eine Lebensfrage des Sozialismus. Scharfe Abgrenzung gegen alle opportunistischen Neigungen in Prinzip, Taktik und Aktion ist geboten, auch wo sie unter der Flagge der Opposition gegen die offizielle Instanzenpolitik segeln.

Die Tatsache des Weltkrieges beherrscht und bestimmt heute die gesamte außer- und innerpolitische und wirtschaftliche Lage.

Die Politik der Arbeiterklasse muss sich allenthalben an dieser Tatsache orientieren und gegen den Weltkrieg als die gewaltigste und verderblichste Betätigung der kapitalistischen Klassenherrschaft richten. In diesem Kampf muss die sozialistische Bewegung ihre Existenzberechtigung erweisen. Der Klassenkampf gegen den Krieg verleiht dem Klassenkampf im Frieden Kraft und geschichtliche Bedeutung. Jener bildet die wichtigste revolutionäre Schule für diesen. Den Krieg und die durch ihn geschaffenen Verhältnisse zur Aufrüttelung der Masse zu benutzen, um so den Frieden zu erzwingen und die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft zu beschleunigen, ist – entsprechend dem Beschluss des Stuttgarter Kongresses – die Aufgabe der sozialistischen Bewegung während des Weltkrieges, nachdem sie ihn nicht verhindert hat.

Der Regierung des Belagerungszustandes, der sozialen Pflichtvergessenheit, des Lebensmittelwuchers, des Volksbetrugs und der Massenentrechtung, der Regierung des imperialistischen Kriegs ist jede materielle und moralische Unterstützung zu versagen. Während des Kriegs dient jede Steuer, die an sich „gerecht" oder „ungerecht", dem Krieg und seiner Verlängerung; Verweigerung aller Kriegssteuern, Sperrung aller finanziellen Mittel ist ein Gebot des Kriegs gegen den Krieg, der die Untergrabung der Regierungsmacht auf allen Gebieten fordert.

Auf der ganzen Linie ist zum Angriff überzugehen. Die politischen und sozialen Wirkungen des Kriegs auf die proletarischen Klasseninteressen (Lebensmittelversorgung, Sozialpolitik, Steuerwesen, Vereins-, Versammlungs-, Pressrecht, Freizügigkeit, persönliche Freiheit, Justiz, Erziehung usw.) sind unablässig den Massen zu denunzieren und durch verschärfte Geltendmachung der sozialistischen Programmforderungen zu beantworten. Dem Militarismus des Weltkriegs ist die Losung der Abschaffung des stehenden Heeres, dem Absolutismus des Belagerungszustandes und der Geheimdiplomatie sind die Losungen der Republik, der Demokratie in der inneren und äußeren Politik, der Entscheidung des Volkes über Krieg und Frieden entgegenzusetzen.

Auf Schritt und Tritt inner- und außerhalb der Parlamente ist der Belagerungszustand zu durchbrechen, der Burgfriede, die Lüge von der nationalen Klassenharmonie während des Kriegs, zu zerstören, die Verwirrungsphrase von der Landesverteidigungspflicht zu zerreißen, die internationale Interessengemeinschaft des Proletariats, die im Krieg nicht aufgehoben, sondern zum höchsten Grad gesteigert ist, als politische Maxime zu proklamieren.

Die Regungen der politischen und sozialen Unzufriedenheiten und Empörung sind mit allen Mitteln der Agitation und Demonstration zu verstärken.

Das Ziel der gesamten Propaganda muss sein, die Voraussetzungen für revolutionäre Massenaktionen großen Stils zu entwickeln, Massenaktionen, wo sie entstehen, mit politischem Inhalt und Ziel zu erfüllen, voranzutreiben und zu bewussten Auseinandersetzungen mit dem Krieg und der kapitalistischen Klassenherrschaft zu gestalten.

1 Angefertigt von Fritz Ohlhoff.

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