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Karl Liebknecht 19160423 Die Aufgaben der proletarischen Jugendbewegung

Karl Liebknecht: Die Aufgaben der proletarischen Jugendbewegung

Resolution, angenommen auf der Jugendkonferenz in Jena

23. und 24. April 19161

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, NL-1/9. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 608-612]

I

Die Tendenz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die Ausbeutung auch des jugendlichen Proletariats zu steigern, hat sich im Weltkrieg gewaltig verschärft. Diese Verschärfung erstreckt sich sowohl auf die unmittelbar wirtschaftliche Ausbeutung im kapitalistischen Betriebe wie auf die militärische Ausbeutung als Kanonenfutter im Krieg und in der Ausbildung dazu (militärische Jugenderziehung usw.). Hand in Hand damit geht eine Verstärkung des politischen Drucks auf die Arbeiterjugend, eine Bedrohung und teilweise Entziehung ihrer elementarsten Rechte (Beschränkung der Freizügigkeit, Sparzwang, der der Arbeiterjugend und ihren Angehörigen die sauer verdienten Groschen für die Kriegsanleihen abpresst usw.). Diese Umstände, die die klassengesellschaftliche Folge einer rapide erhöhten Bedeutung der Arbeiterjugend für die kapitalistische Gesellschaftsordnung darstellen, peitschen die Arbeiterjugend zur verschärften Beteiligung am wirtschaftlichen und politischen und besonders am antimilitaristischen Klassenkampf.

In voller Würdigung der verschiedenen Formen, in denen sie ihre Aufgabe in den verschiedenen Altersklassen der proletarischen Jugend zu erfüllen hat, ist es die geschichtliche Mission der Arbeiterjugend, in der allgemeinen sozialistischen Bewegung die besonderen Klasseninteressen der proletarischen Jugend zu verfechten, durch Erziehung der Arbeiterjugend zum Klassenbewusstsein und zur ökonomischen und politischen Aktionsbereitschaft und durch Mitwirkung bei der sozialistischen Propaganda in den arbeitenden Massen die Gesamtbewegung der Arbeiterklasse zu fördern und an ihren Aktionen teilzunehmen, wo immer die Möglichkeit vorliegt.

Die deutsche Jugendkonferenz bekennt sich heute während des Weltkrieges mit besonderem Nachdruck zum Antimilitarismus im Sinne der Beschlüsse der internationalen Jugendkonferenzen von Stuttgart (1907), Kopenhagen (1910), Bern (1915). Heute, während des Weltkrieges, ist es die vornehmste Aufgabe auch der proletarischen Jugendbewegung, mit allen Kräften und Mitteln den Krieg zu bekämpfen und die durch ihn geschaffenen Verhältnisse auszunutzen, um den Zusammenbruch der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.

Scharfe Abgrenzung gegen alle opportunistischen Neigungen in Prinzip, Taktik und Aktion, auch wo sie unter der Flagge der Opposition gegen die offizielle Instanzenpolitik segeln, und dauernde scharfe Kritik aller Unentschiedenheit und Halbheit ist dringend geboten. Die Konferenz verwirft alle Bestrebungen, die darauf abzielen, unter Verwischung oder Zurückstellung wesentlicher Gegensätze, auf Grund einer unklaren Parole möglichst schnell eine große Anhängerschaft zu sammeln, auf die in entscheidenden Momenten kein Verlass wäre. Erst Klarheit und dann Mehrheit! Keine Sammlung ohne Einheit der Anschauungen!

Die Konferenz betrachtet es als dringendes Erfordernis der proletarischen Bewegung, alle ernsten prinzipiellen und taktischen Differenzen auch zwischen den verschiedenen Richtungen der Opposition vor die proletarischen Massen zu tragen, um in Verwirklichung des demokratischen Wesens der Organisation und zur Förderung der Aktionsfähigkeit und Initiative der Massen die Entscheidung auch darüber in die Hände der Massen zu legen.

Die Konferenz verwirft die Verwirrungsphrase von der Landesverteidigungspflicht und die Lüge von der nationalen Klassenharmonie während des Krieges und stellt die Pflicht zur internationalen Solidarität und zum Klassenkampf vor alle anderen Pflichten.

Sie erklärt es für die Schuldigkeit jedes klassenbewussten Arbeiters, alles zu tun, um die Macht des Klassenstaates und der herrschenden Klassen zu untergraben, jede Unterstützung für den Krieg unter grundsätzlicher sozialistischer Begründung zu verwerfen, den parlamentarischen Burgfrieden zu zerstören, der Politik des 4. August, die die arbeitenden Massen dem Imperialismus ausliefert, rücksichtslose Offensive entgegenzusetzen, die Parteiinstanzen, die die heiligsten Grundsätze des Sozialismus seit Jahr und Tag mit Füßen treten und die Organisation der Partei durch Staatsstreich auf Staatsstreich in Scherben schlagen, unerbittlich als Verräter und Usurpatoren ihrer Ämter und Mandate öffentlich zu entlarven, so den Parteikonflikt zuzuspitzen und zur raschen und gründlichen Entscheidung zu treiben.

Sie spricht den offiziellen Instanzen der deutschen Jugendbewegung, die sich der Verräterpolitik des Parteivorstandes und der Generalkommission verschrieben haben, jedes Recht zur Vertretung der Arbeiterjugend ab und sagt auch ihnen die schroffste Fehde an.

Sie fordert die Jugendgenossen auf, auch an ihrem Teil dahin zu wirken, dass die Arbeiterorganisationen den pflichtvergessenen Partei- und Gewerkschaftsinstanzen jede Unterstützung versagen und die Mittel sperren, um alle Kraft und alle Mittel den sozialistischen Aufgaben zuzuführen.

II

Die rücksichtslose und vollkommene Verselbständigung, die Befreiung von aller Bevormundung, die organisatorische Loslösung von den von Partei und Gewerkschaften abhängigen offiziellen Jugendinstanzen ist eine Lebensfrage für die proletarische Jugendbewegung. Die deutsche Jugendkonferenz ersucht die Jugendgenossen, diese Forderung ohne Verzug durchzuführen, die „Arbeiter-Jugend" zu boykottieren und alles aufzubieten, um schleunigst ein eigenes Jugendorgan zu schaffen.

Die heute eingesetzte provisorische Zentrale hat die Aufgabe, die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen der freien Jugendbewegung herzustellen und zu befestigen, sie über alle wichtigen Vorgänge zu unterrichten und mit Material zu versorgen, die Verselbständigung immer weiterer Teile der Jugendbewegung zu propagieren, auf die Ausführung des Beschlusses über die Aufgaben der sozialistischen Jugendbewegung zu dringen, gemeinsame politische und wirtschaftliche Aktionen der proletarischen Jugend, vor allem im Kampf gegen den Krieg, anzuregen und vorzubereiten, dazu mit den Erwachsenen Fühlung zu nehmen, die internationalen Beziehungen aufrechtzuerhalten und zu entfalten. Sie erhält die besondere Anweisung zur baldigen Einberufung einer neuen deutschen Jugendkonferenz, der sie Rechenschaft abzulegen hat.

III

Die Internationale der Arbeiterjugend besteht ebenso wenig wie die Internationale der Arbeiterklasse überhaupt aus organisatorischen Einrichtungen und Instanzen, sondern aus den im gleichen sozialistischen Geist verbundenen und wirkenden Proletariern aller Länder, die dem internationalen Klassenkampf treu geblieben sind, die die Verwirrungsphrase von der Landesverteidigungspflicht und die Lüge von der nationalen Klassenharmonie während des Krieges verwerfen und die Pflichten der internationalen Solidarität und des Klassenkampfes allen anderen Pflichten voranstellen.

Sie entfaltet sich während des Krieges im antimilitaristischen Kampf, im internationalen Klassenkampf gegen den Krieg, den die Jugend des Proletariats als Teil der proletarischen Gesamtbewegung zu führen hat.

Die deutsche Jugendkonferenz bestätigt den Anschluss der deutschen Arbeiterjugendbewegung an das Internationale Jugend-Sekretariat.2

Sie begrüßt die Gesinnungsgenossen der anderen Länder, besonders in Belgien, Frankreich, England, Russland und den Balkanländern, in brüderlicher Herzlichkeit und ruft sie auf, im gemeinsamen Kampf gegen den Krieg alle Kräfte einzusetzen.

IV

Die Konferenz fordert die Delegierten auf, alles zu tun, damit in ihren Wirkungskreisen eine wirksame öffentliche Maidemonstration veranstaltet wird, und zwar so, dass der Gedanke der Maifeier als Friedensdemonstration klar zutage tritt.

Es lebe die proletarische Jugendinternationale!

Es lebe der Klassenkampf, der internationale Klassenkampf gegen den Krieg!

Es lebe die internationale Solidarität der Arbeiterklasse!

Nieder mit dem Imperialismus!

Ein Ende dem Völkermord!

1 Ostern 1916, am 23. und 24. April, fand in Jena eine illegale Konferenz von Vertretern der sozialistischen Jugend Deutschlands statt. Karl Liebknecht hielt das Referat und brachte eine Resolution ein, die prinzipielle und taktische Grundsätze für den Kampf der Arbeiterjugend gegen den Krieg und zur Bildung einer selbständigen revolutionären Jugendorganisation enthielt. Die Konferenz bestätigte den Anschluss an das Internationale Jugendsekretariat, das Anfang April 1915 auf der Internationalen Sozialistischen Jugendkonferenz in Bern (siehe Anmerkung 42) gebildet worden war. Es wählte eine provisorische Zentrale der Freien Jugendbewegung.

2 Vom 4. bis 6. April 1915 fand in Bern die Internationale Sozialistische Jugendkonferenz statt. Auf ihr waren Vertreter revolutionärer Jugendorganisationen aus zehn Ländern anwesend: aus Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Holland, Italien, Norwegen, Polen, Russland, Schweden und der Schweiz. Die deutschen Vertreter waren Notz (Stuttgart), Stürm (Göttingen) und Dietrich (Karlsruhe). Die Konferenz beschloss, alljährlich einen Internationalen Jugendtag durchzuführen und in allen Ländern einen Liebknecht-Fonds zu bilden; sie wählte das Internationale Büro der Sozialistischen Jugend (Internationales Jugendsekretariat), das, entsprechend einem weiteren Beschluss der Konferenz, die Zeitschrift „Jugend-Internationale" herauszugeben begann. (Den offiziellen Bericht über die Konferenz siehe Dokumente und Materialien, Reihe II, Bd. 1, S. 149-155.)

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