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Karl Liebknecht 19161231 Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

Karl Liebknecht: Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

[IML, ZPA, NL 1/25, Bl. 186; IML, ZPA, NL 1/13, Bl. 28/29; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 17/18; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 306; IML, ZPA, NL 1/25, Bl. 249. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 328-332]

Preußische Treue

Polen hat sie kennen u. fühlen gelernt (am bittersten 1792); u. ihr klassisches Denkmal ist Erbärmlichkeit von Schönbrunn.1

Ein Nachspiel

Im „Spartacus" waren Mitte September 1916 die Schriftsätze L.s vom 3. u. 8. Mai veröffentlicht worden. Alsbald leitete das Kommandanturgericht ein hochnotpeinliches Verfahren zur Ermittlung des Übeltäters ein, in dem L. – das 1. Mal noch vor dem Erlöschen seiner Immunität; zum zweiten Male am 17. November – und sein Verteidiger2 als – Zeugen vernommen wurden. Dabei wurde ermittelt, dass der Verteidiger seine Handakten auf Anweisung L.s an dessen Bruder u. Vertreter, Rechtsanwalt Wilhelm Liebkn., ausgehändigt hatte. Am 28. Nov. schrieb L. an das Komm. Ger.: In der Strafsache gegen „Unbekannt" betone ich zu meiner gestrigen Vernehmung:

1. Das Verfahren ist unter allen Umständen auch gegen mich gerichtet. Gleichviel, welche rechtliche und sachliche und persönliche (oder unpersönliche) Spitze man ihm geben mag, jedenfalls komme ich als Mittäter in Frage.

2. Die Rubrizierung „gegen Unbekannt" ist nur Finte nach verrufenem Muster.

Ihr Zweck ist, ungesetzliche Zeugnisse zu erlangen und gesetzliche Hemmnisse zu umgehen.

3. Ihr besonderer Zweck ist, meinen an der Sache offenbar völlig unbeteiligten Anwalt zur pflichtwidrigen Verletzung seines Berufsgeheimnisses zu bestimmen u. wenigstens nachträglich fühlen zu lassen, wie unerwünscht den militärischen Instanzen sein Eingreifen als mein Verteidiger war.

4. Diese Zwecke liegen um so klarer, als es sich bei der fraglichen Veröffentlichung um Schriftsätze handelt, die nicht „geheim" sind, die sich mit den ganzen Akten in zahlreichen Händen befunden haben, die im Reichstag durch Einsicht u. wortgetreues Verlesen einer unbegrenzten Personenzahl zugängig waren usw.

5. Dass man jetzt – unter Ausnutzung meiner Unfreiheit – sogar den Handakten meines Anwalts nachspürt, die mein gesetzliches Eigentum sind und über die nach meinen Anweisungen zu verfügen mein Anwalt schlechthin verpflichtet war, setzt allem die Krone auf. Auch diese Exzesse einer übermütigen Militärgewalt, die, trunken vom Glück des Belagerungszustands, Gefühl u. Achtung für Gesetz ü. Recht vollends verloren hat, werden zur gehörigen Zeit ihre gehörige Sühne finden.

K. Liebknecht

Was aus einem Sozialdemokraten werden kann

Wir sprechen nicht von den Scheidemann und Legien und Lensch und Müller und wie sie heißen. Sondern nur von dem bescheidenen Herrn Calwer, der in einer „Denkschrift", „Richtlehre für die Übergangswirtschaft"3, sich heftig gegen die „zwangsläufige" Wirtschaftsweise wendet, die Höchstpreise bekämpft und den gar nicht zwangsläufigen Kriegswucher als den natürlichen und heilsamen Regulator des Verbrauchs, des Angebots und der Nachfrage in den Himmel hebt, wofür er – noblesse oblige! – von der „Deutschen Tageszeitung" in den Himmel gehoben wird. Calwer ist, wenn wir nicht irren, noch heute Hauptlehrer an der Berliner Gewerkschaftsschule. Und jene verruchte „zwangsläufige" Wirtschaft, hieß sie nicht einst im Mehrheitsjargon, in den Gewerkschaftsorganen vor allem, „Sozialismus, wohin wir blicken"?

Der Krieg wird nicht beendet werden, außer durch eine Massenemeute, außer durch den Willen, durch die Tat des internationalen Proletariats – bei der das deutsche Proletariat voranzugehen oder doch die entscheidende Rolle zu spielen hat.

1. Wie Sieg des Dreiklassenwahlrechts [?], so Sieg des Schutzzoll- u. indirekten Steuersystems.

2. In Zeiten, wo nackte Gewalt solche Orgien u. Triumphe feiert, wird man [sich], wie im Krieg auf die Militärgewalt, so im Frieden auf die Polizei u. Militärgewalt stützen, sich auf diese Stütze verlassen, nicht auf Sentimentalitäten von Gerechtigkeit etc.

Täuscht euch nicht! So wie man im Krieg die weichlichen, verschwommenen Hirngespinste/Sentimentalitäten/der Internationalität u. Humanität verhöhnt, mit Stacheln gegeißelt hat, so wird man im Frieden die Hirngespinste der Gleichberechtigung, des sozialen Friedens, des Sozialismus mit Stacheln geißeln. Diese Hirngespinste gehören zusammen als Pendants für Kriegs- u. Friedenszeit – das gilt's nicht zu vergessen.

Jenes dem Hohn u. der Missachtung ausliefern, dieses aber mit überschwänglicher oder selbstbewusster, ernster Gebärde schützen wollen, ist triste, stumpfe Narrheit, Narrheit ohne selbst den Reiz der Schellenkappen.

3. Die Konsequenzen der Inkonsequenz, des Prinzipverrats – Reichstagsfraktion vom Juni4 –; die Missdeutbarkeit u. verdiente Verdächtigkeit der ganzen offiz. Politik der Partei, auch die Reue infolge der Politik des 4. August etc. Auch der Fluch der bösen Tat, deren Konsequenzen verteufelt ernst u. verzweifelt sind.

4. Davids Standpunkt (vgl. Lok[al-]Anz. ca. 10. 7.): Deutschland darf nur als siegreiches Friedensbereitschaft zeigen. Vorwurf an ausländ. Genossen, die dann nicht einschlagen. Ja, aber müssen die Genossen in den nicht siegreichen Ländern nach Davids Logik [nicht] Frieden ablehnen? Circulus vitiosus. Krieg u. Mord in Schraube ohne Ende – nur eine Rettung: internationaler Standpunkt.

5. Aussicht auf Dreibund Deutschl., Österr., Russland.

Aus Frankfurt zurückgeschickte Manuskripte geben lassen!5 Unten in Brosch. anfügen:

a) Zukunft des deutschen Prol. bei deutscher Weltherrschaft; vgl. die Lage des engl. Prol. bei engl. Weltherrschaft.

b) Solidarität der prolet. Interessen – vgl. französ. u. engl. Arbeiter gegen belgische.

1 1792 – polnischer Aufstand gegen russische Intervention. Preußen, das Polen durch Vertrag verpflichtet war, stellte sich auf die Seite Russlands; 1793 zweite Teilung Polens. 15. Dezember 1805 – Vertrag von Schönbrunn zwischen Frankreich und Preußen, obwohl Preußen erst am 3. November 1805 einen Bündnisvertrag mit Russland gegen Frankreich geschlossen hatte. Die Red.

2 Otto Bracke, Verteidiger Karl Liebknechts. Die Red.

3 Richtlehre für die Übergangswirtschaft Hrsg. vom Wirtschaftsstatistischen Büro von Richard Calwer. – Diese „Denkschrift" wurde 1916 als hektographiertes Material herausgegeben. – Richard Calwer, der in der deutschen Arbeiterbewegung revisionistische Anschauungen vertreten hatte, war 1909 aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ausgetreten. Die Red.

4 In der Sitzung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion vom 5. Juni 1916 wurde mit 64 gegen 23 Stimmen erneut die Bewilligung der Kriegskredite beschlossen. Die Red.

5 Welche Manuskripte oder Arbeiten gemeint sind, konnte nicht festgestellt werden. Die Red.

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