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Karl Liebknecht 19160115 Unter Zensur sechsfachen Grades

Karl Liebknecht: Unter Zensur sechsfachen Grades

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 506, Berlin 1916, S. 675, 706, 759-760, 760 und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 442-447]

Reden zur Geschäftsordnung im Deutschen Reichstag

I

15. Januar 1916

Meine Herren, durch den Schluss der Debatte ist es mir, dem einzigen, der noch auf der Rednerliste stand, unmöglich gemacht, seinen Widerspruch dagegen zu erheben, dass ein an und für sich außerordentlich trauriger Fall1 zum Zweck der Völkerverhetzung ausgenutzt wird – – –

(Andauerndes Läuten der Glocke. – Lebhafte Rufe: „Ruhe! Ruhe! Ruhe!" – Redner versucht vergeblich, weiterzusprechen; er verlässt die Tribüne.)

II

17. Januar 1916

Meine Herren, dass ich unter Zensur sechsfachen Grades gestellt worden bin, ist bekannt.

(Zurufe: „Von Ihrer Partei!" Heiterkeit.)

Von meiner Partei? Diese Fraktion ist nicht meine Fraktion mehr.

(Heiterkeit. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Sie haben lediglich das Wort zur Geschäftsordnung!

Liebknecht: Meine Herren, dass ich unter sechsfacher Zensur stehe, dass man meine Anfragen verhindert, dass man dem Herrn Präsidenten ein diskretionäres Recht –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, das gehört nicht zur Geschäftsordnung!

Liebknecht: Schön

(Glocke.)

Präsident: Einen Augenblick! Ich muss Sie bitten, sich genau daran zu halten und genau nach meinen Worten zu richten.

Liebknecht: Dass man mich bereits früher nicht einmal zur Geschäftsordnung hat sprechen lassen, dass man mir das Wort zur Sache hier im Hause systematisch abschneidet und dass mir heute nicht nur das Wort zur Sache wiederum abgeschnitten worden ist,

(Glocke des Präsidenten.)

dass mir heute der Herr Präsident auch das Wort zur Geschäftsordnung versagt hat – –

(Andauerndes Läuten der Glocke. – Rufe: „Ruhe! Ruhe!")

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, diese Kritik lasse ich nicht gelten. Ich habe das Recht, das Wort zur Geschäftsordnung zu geben wann ich will.

(Lebhafte Zustimmung.)

Von diesem Rechte habe ich Gebrauch gemacht, und daran lasse ich absolut nicht rütteln.

(Lebhafter Beifall.)

Liebknecht: Meine Herren, Sie haben sich demaskiert

(Lachen und Zurufe.)

in Ihrer Angst vor der Wahrheit.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Sie haben zur Geschäftsordnung zu sprechen! Derartige Angriffe gehören nicht in eine Rede zur Geschäftsordnung.

(„Sehr richtig!")

Ich muss Sie bitten, sich streng an die Geschäftsordnung zu halten, widrigenfalls ich nicht in der Lage bin, Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung weiter zu geben.

(„Bravo!")

Liebknecht: Meine Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Neumann-Hofer hat dunkle Andeutungen über den Grund gemacht, der zu dem Beschluss des Hauses geführt habe. Ich weiß, welcher Grund es ist: Ihr böses Gewissen und Ihre Angst vor der Wahrheit.

(Lachen. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, wenn ich die Glocke schwinge, haben Sie zu schweigen! – Ich rufe Sie zunächst zur Ordnung

(Lebhafter Beifall.)

und ich gebe Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung nicht weiter.

(Erneuter lebhafter Beifall. – Abgeordneter Dr. Liebknecht versucht vergeblich zu sprechen. – Andauerndes Läuten der Glocke. – Lachen und Zurufe.)

III

18. Januar 1916

Meine Herren, ich habe mich bereits gestern zu dieser Debatte zum Worte gemeldet, und zwar vor den Herren Abgeordneten Spahn, Waldstein, Heine und einer ganzen Anzahl anderer, die heute gesprochen haben. Es haben sich auch erst nach mir zum Worte gemeldet die Herren Bassermann und Dr. Werner, die jetzt noch auf der Rednerliste stehen und denen durch Ihren Schlussantrag außer mir das Wort abgeschnitten worden ist.

(Abgeordneter Dittmann: „Auch mir!")

Auch dem Herrn Abgeordneten Dittmann!

Meine Herren, dem Herrn Abgeordneten Bassermann ist diese Prozedur dadurch erleichtert worden, dass man ihm die Möglichkeit gegeben hat, in einer Geschäftsordnungsbemerkung das Wesentliche dessen vorzubringen, was er auszuführen beabsichtigte.

(Zuruf von den Nationalliberalen.)

Meine Herren, es ist ganz klar und geht aus den Mitteilungen, die mir offiziös vom Büro gemacht worden sind – ich glaube nicht, dass ich damit irgendwie indiskret bin –, deutlich hervor, dass dieser Schlussantrag nach der Gepflogenheit dieses Hauses bezweckte, wieder gerade mir das Wort abzuschneiden.

(Heiterkeit und „Sehr richtig!" bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren, ich stelle fest, dass mir aus dem Hause entgegen tönt: „Sehr richtig!"

(„Sehr richtig!" bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren, ich habe heute ganz besondere Veranlassung, diese Art der Behandlung zu kennzeichnen – wenn ich mich auch nicht darüber wundere –, weil Sie gerade bei der Debatte über die Zensur, gegen die Sie allerhand Klagen vorbringen, durch den Debatteschluss eine Zensur über ein Mitglied des Hauses üben, skandalöser als die Zensur, die draußen geübt wird.

(Heiterkeit und Zurufe. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, wegen dieses Ausdrucks rufe ich Sie zur Ordnung. Im übrigen bitte ich Sie, im Rahmen einer Bemerkung zur Geschäftsordnung zu bleiben.

Liebknecht: Meine Herren, zu dieser systematischen Zensurierung und Mundtotmachung, die mir gegenüber vorgenommen wird, möchte ich wiederholen, was ich bereits gestern bemerkte: Sie sollten vor dem englischen, französischen, italienischen Parlament und selbst vor der russischen Duma erröten – –

(Schallende Heiterkeit. Andauerndes Läuten der Glocke. Lebhafte Rufe: „Ruhe! Ruhe!")

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, wegen dieser Äußerung rufe ich Sie zur Ordnung! Diese Ausführungen kann ich nicht zulassen; sie gehen auch über den Rahmen der Geschäftsordnungsbemerkung hinaus.

Liebknecht: Meine Herren, meine Absicht war unter anderem, mich energisch gegen gewisse Ausführungen der Herren Abgeordneten Heine und Noske – vom Sonnabend – zu wenden.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Sie können im Rahmen einer Bemerkung zur Geschäftsordnung sachlich nicht debattieren: Dazu ist die Bemerkung zur Geschäftsordnung nicht da. Die sachliche Debatte ist geschlossen. Ich kann Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung nicht weiter geben, wenn Sie sich nicht streng an die Bemerkung zur Geschäftsordnung halten.

Liebknecht: Meine Herren, selbst im preußischen Abgeordnetenhause wird in dieser Beziehung eine größere Bewegungsfreiheit gegeben als hier im Reichstag!

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich kann Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung nicht weiter geben.

Liebknecht: Herr Präsident, ich bitte noch einmal um das Wort zur Geschäftsordnung.

Präsident: Jawohl! Aber ich bitte, bei der Geschäftsordnung zu bleiben!

Liebknecht: Ich bleibe bei der „Geschäftsordnung".

(Heiterkeit.)

Meine Herren, Sie wissen, dass der Herr Präsident mir schon bei verschiedenen Gelegenheiten selbst das Wort zur Geschäftsordnung versagt hat, wenn ich dagegen protestieren wollte, dass man mir das Wort zur Sache abgeschnitten hatte. Heute hat der Herr Präsident mir allerdings, nachdem mir das Wort zur Sache abgeschnitten ist, das Wort zur Geschäftsordnung gegeben, er bemüht sich aber, mich in meinen Bemerkungen unerträglich einzuschränken.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich verbitte mir diese Kritik meiner Geschäftsführung! Das gehört hier nicht zur Geschäftsordnung. Ich kann Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung nicht weiter erteilen, nachdem Sie sich wiederholt von Bemerkungen zur Geschäftsordnung entfernt haben.

Liebknecht: Das ist eine Vergewaltigung!

(Glocke. Zurufe.)

IV

Persönliche Bemerkung

18. Januar 1916

Meine Herren, man hat mir heute wie gestern aus dem Hause mehrfach entgegengerufen: Sie arbeiten im Dienste des Auslandes, Sie sind ein Landesverräter.

(„Sehr richtig!" links.)

Meine Herren, ich betone, dass mir soeben wieder „Sehr richtig!" zugerufen wird –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich muss hervorheben, dass hier am Tische des Büros die von Ihnen erwähnte Bemerkung nicht gehört worden ist. Wenn sie gehört worden wäre, würde auch eine entsprechende Rüge eingetreten sein.

(„Sehr gut!")

Liebknecht: Ich stelle fest, dass mehrere Herren eben wieder „Sehr richtig!" gerufen haben

(Widerspruch.)

eben wieder „Sehr richtig!" gerufen haben. Meine Herren, ich ziehe vor, von Ihnen Landesverräter und wer weiß was sonst gescholten zu werden als Ihren Beifall zu finden, wie gewisse Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion.

(Stürmische Heiterkeit. – Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, die letzte Bemerkung war nicht mehr persönlich!

Liebknecht: Meine Herren, durch Ihr Verhalten beweisen Sie nur, dass Sie die Wahrheit scheuen – –

(Glocke des Präsidenten. – Große Unruhe und Lachen.)

1 Am 19. August 1915 versenkte der britische Hilfskreuzer „Baralong" ein deutsches U-Boot. Entgegen dem herrschenden Kriegsrecht wurde dabei die schilfbrüchige Besatzung getötet.

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