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Karl Liebknecht 19171231 Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

Karl Liebknecht: Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

[IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 85; IML, ZPA, NL 1/73; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 317/318; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 158/159; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 109/110; IML, ZPA, NL 1/73; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 118; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 42 f.; IML, ZPA, NL 1/25, Bl. 300/301; IML, ZPA, NL 1/73; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 273/274; IML, ZPA, NL 1/25, Bl. 291-296. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 376-384]

Taktischer Kopfsturz

Wir können Frieden nicht erzwingen — also — rasen wir kriegerisch mit.

Ich kann dir keine wirksame Medizin geben — folglich — gebe ich dir Gift.

Ich kann dich, den Frieden, nicht aus den würgenden Händen Molochs retten - folglich - geselle ich mich zu Moloch u. würge dich mit.

Taktischer Richtpunkt (Richtpunkt für die Taktik)

Das politische Verhalten in Propaganda, Organisation, Aktionen ist stets so einzurichten, dass es die Gesamtbewegung zum Endziel so wirksam wie möglich (am wirksamsten) fördert.

Das Geschrei nach Einigkeit der Partei ist nichts weniger als ein Ausdruck des Verlangens nach höchster Machtentfaltung des Proletariats.

Äußere Einigkeit ohne innere Einigkeit ist nicht Stärke, sondern Schwäche, gegenseitige Fesselung und Aufhebung, nicht Lösung u. Summierung der Kräfte.

Jenes Geschrei fordert nicht wirkliche Machtentfaltung der Massen, sondern die Vortäuschung einer in Wirklichkeit nicht vorhandenen Macht. Überflüssig, zu bemerken, dass sich mit dieser Vortäuschung keine ernsten Erfolge erzielen lassen, dass sie auch in Zukunft bei der ersten besten Probe ebenso blamabel aufgedeckt werden würden wie bei Ausbruch des Kriegs, dass sie den Gegnern des Prol. nicht schadet, aber dem Proletariat selbst verderblich wird, indem sie es vom einzigen Weg zur Macht auf einen Irrweg lenkt, es abhält, den richtigen Weg zur wirklichen Macht zu suchen u. zu finden.

Von den bürgerl. Parteien — ihr Wesen

I. Allen bürgerl. Parteien ist der Gegensatz gegen das Proletariat gemeinsam, wenn auch mit verschiedenen Nuancen — z. B. je nach der besonderen Kategorie des Proletariats, mit dem die für ihre Politik maßgebenden Schichten am intensivsten in unmittelbarem sozialem Kampf stehen (z. B. Land- u. Stadtproletarier) usw.

II. Unterschiede bestehen zwischen den bürgerl. Parteien vor allem, insofern sie verschiedene Schichten der besitz. Klassen mit verschiedenen Interessen, verschiedene Kategorien des Kapitals vertreten, als verschiedene Fraktionen des Kapitals. Und jeweils auch eine Kategorie der staatl., kirchl. u. privaten Bürokratie — die infolge ähnlicher Lebenslage (Lebenshaltung) einer oder der andren kapitalistischen Kategorie zuneigt —, ähnlich auch wirtschaftlich ti. sozial absterbende — mehr oder weniger außer Kurs gesetzte Schichten (Mittelstand) u. eine entsprechende Gruppe von Ideologen (die auch einander ausbeuten u. unterdrücken, jedenfalls in verschiedenem Grade an Ausbeutung u. Herrschaft teilnehmen).

III. Beispiele:

1. Die Deutschkonservativen werden vor allem charakterisiert

a) durch den Gegensatz zum beweglichen Kapital, u. zw. um so größeren Gegensatz, je beweglicher; daher auch bes. antisemitische u. Anti-Börsenkapital-Tendenz – aus Bedingungen der Landwirtschaft fließend;

b) durch eine Psychologie der Vergangenheit (Zurückgebliebenheit) – auch aus den Bedingungen der Landwirtsch. fließend (Abgeschiedenheit, Arbeitsweise etc.). t

Zu a) u. b) berührt sich die Landwirtschaft mit dem Mittelstand u. andren Zurückgebliebenen gepresster, gedrückter Schichten. Dazu c) die Gouvernementalkonservativen u. d) die dar anhängenden Ideologen.

2. Freikonservative: Misch-, Zwitter-, Zwischenform zwischen mobilem u. immobilem Kapital.

a) Das schwerindustrielle Kapit.

b) Die Agrarier, die zugleich Großindustrielle etc. sind (Kardorf).

c) Dazu Gouvernementale – u. zw. bes. starker Einschlag –, wie dann auch [die] zu a) u, b) an u. für sich mehr gouvernemental, Anhänger, Vertreter einer starken, zentralisierten, rücksichtslosen Staatsgewalt sind als die mehr einer gewissen Dezentralisation zuneigenden Deutschkonservativen: Export-u. Import-, überhaupt Weltwirtschaftsinteressen – mehr als die Deutschkonservativen (im Krieg modifiziert! Interessengemeinschaft: Phosphor! Briey-Longwy, Düngemittel, Öle etc.; so auch Export-u. Importinteressen). Moderne großkapitalist.-imperialistische Psychologie.

d) Dazu Ideologen des Imperialismus u. der starken Zentralstaatsgewalt. Schärfster Gegensatz gegen das Industrieproletariat! Daher „Scharfmacher".

Zur Beurteilung der Kühlmann u. andrer Staatsmänner Erzberger-Scheidemannscher Couleur. Gewiss bestehen Gegensätze innerhalb der Regierung u. innerhalb der bürgerlichen Parteien – sehr schroffe u. ernste Gegensätze. Aber gegenüber der/im Verhältnis zur/Arbeiterklasse, dem Sozialismus sind Regierung u. bürgerl. Parteien dennoch eine einzige geschlossene Phalanx, deren verschiedene Teile nur verschiedene Operationen ausführen – Operationen zum gleichen, gemeinsamen Zwecke; im Verhältnis zum revol. Sozialismus sind alle jene Faktoren nur verschiedene Figuren, ihre Gegensätze u. deren Austragung nur verschiedene Schachzüge im gleichen Spiel – Spiel mit verteilten Rollen. Mögen dabei auch sehr erbitterte Kämpfe geführt, sehr viele Opfer gebracht werden: Das ist's, worauf es für die Orientierung der proletarischen Taktik, für unser Urteil allein ankommt.

Der Weg zum Sieg

Stets auf Erfolg vertrauen u. stets auf Misserfolg gerüstet sein – das ist die Zauberformel, die den Sieg verbürgt!

Je schlimmer der Ausgang dieses Kriegs sein wird, um so größer wird die Aufgabe sein, die uns obliegt, um so notwendiger unsere Arbeit, um so heiliger unsere Pflicht, um so gebieterischer der Ruf an jeden einzelnen, bis zum letzten Atemzug auf seinem Posten zu bleiben.

Privatkapital und Staat im Kriege

Eine bisher kaum beachtete Wirkung der Kriegsanleihe-Wirtschaft verdient ernsteste Aufmerksamkeit: die rapide Zunahme der unmittelbaren Abhängigkeit des Staates von dem großen Privatkapital, hervorgerufen durch den Riesenbesitz der privatkapitalistischen Großunternehmungen (Schwerindustrie, Banken usw.) an Kriegsanleihe. Am intensivsten ist diese Steigerung eingetreten bei der Rüstungsindustrie, die ja – so ist das – besonders stark Kriegsanleihe hat zeichnen müssen (als Gegenleistung für die fetten Aufträge zu Wucherpreisen), aber auch gern gezeichnet hat – nicht nur wegen der Riesenprofite, von denen die Bilanzen zeugen, sondern auch eben wegen der damit verbundenen Vergrößerung und Befestigung ihres Einflusses auf den Staat – für die Zeit nach dem Kriege in der inneren und äußeren Politik nicht nur, sondern auch während des Krieges, wenn eine solche Steigerung überhaupt noch möglich war. Wie damit die Kriegspolitik des Staates, vor allem seine Kriegszielpolitik, immer unmittelbarer in die Hände des Großkapitals aller Fraktionen gespielt und die Regierung immer nackter zum bloßen Kommis und Prokuristen des Großkapitals geworden ist, wie die ungeheure staatliche Gewinnbeteiligung des Rüstungskapitals am Kriege damit auch den Einfluss der kriegsverlängernden Tendenz des Rüstungskapitals noch weiter gehoben hat, springt in die Augen. Auf diese besonders gefährlichen Zusammenhänge kann nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden: eine Wirkung und – zum Teil auch ein Zweck der deutschen Kriegsfinanzpolitik.

Die sehr zielbewussten und daher sehr willensstarken großkapitalistischen Großgläubiger des Reiches werden ihre Macht wohl und erfolgreich auszuüben wissen; sie halten die Schlinge der Schuldknechtschaft, die um den Hals des Reiches liegt, fest in der Hand und werden sie erpresserisch zuziehen oder lockern, je wie es ihrem Interesse passt.

Die Gewinnbeteiligung des Kapitals am Kriege durch die Kriegsanleihe-Wirtschaft ist sehr reell. Ganz im Gegensatz zu der der kleinen Sparer, denen in schwindelhafter und erpresserischer Weise der letzte Heller abgelockt wurde und denen ein böses Erwachen droht.

Zu: ökon. Wirkungen des Kriegs (Wirtschaft nach dem Krieg)

A.

Ad vocem: „Verminderung der menschl. Arbeitskräfte" :

I. Die darin liegende Verminderung der Produktivkraft ist größer als die damit verbundene Verminderung des Konsumbedürfnisses; mindestens um die durchschnittliche Ausbeutungsrate; aber sogar über diese hinaus, da es sich um überdurchschnittlich wichtige Arbeitskräfte handelt, die der Regel nach auch überdurchschnittlich ausgebeutet werden.

II. Das absolute Zuviel als relatives Zuwenig. In der Übergangswirtschaft kann die absolute Verminderung der Arbeitskräfte zeitweilig in manchen Ländern u. gewissen Wirtschaftszweigen in der paradoxen Form der Arbeitslosigkeit, des Arbeiterüberschusses in Erscheinung treten: richtiger – trotz Verminderung der Arbeitskräfte ein Zuviel an Arbeitern eintreten. Aus vielen Gründen! Die Proportionen zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen u. ihrem Bedarf, ihre [?] gegenseitigen Abhängigkeiten sind vielfach gestört, es fehlen Rohstoffe oder Arbeitsmittel usw., ohne die die Produktion nicht aufgenommen oder voll entfaltet werden kann. Auch die Konsumkraft muss proportional wiederhergestellt werden. Bis die gehörigen Proportionen wiedergewonnen sind, bleibt der Bedarf an Arb.kräften aus technischen Gründen gedrückt. Bei der Umschaltung der Wirtsch. aus Kriegs- in Friedenszustand ist das Problem der Verteilung/Einordnung/der Arbeitskräfte u. der Arbeitslosigkeit besonders schwierig!

B

(zu viel Arbeitskräfte!)

Es sind mehr unqualifizierte Arbeitskräfte vorhanden: nicht nur, dass die langjährige Militärzeit vorhandene Qualifikation verringert hat: die Frauen u. viele proletarisierte Angehörige des Mittelstands sind auf den Arbeitsmarkt getreten u. werden zum großen Teil dauernd dort zu bleiben versuchen: das gilt für alle am Krieg direkt oder indirekt beteiligten kapitalistischen Länder. Dazu kommt, dass die Mobilisation Asiens (Mongolen u. Inder), Afrikas u. Polynesiens auch unabsehbare Mengen Menschenfleisch auf den Weltmarkt der Arbeit werfen wird, deren Absperrung von den kapitalist. Ländern neue Kriegsgefahr bedeutet (vgl. China – Japan).

Die Arbeiterfrage wird dem Kapitalismus schon insofern Probleme stellen, die er nicht, sondern nur die Arbeiterklasse selbst zu lösen vermag u., wenn nicht vorher, unter dem Druck der Arbeitslosigkeit lösen wird durch die soz. Rev.

Kann dieser Krieg die Kriegsursache aus der Welt schaffen, d. h. die Konkurrenz der imperialistischen Systeme (Komplexe!) um die Naturschätze, die Arbeitskräfte, die Absatzmärkte der Erde?

Unmöglich! Der jetzige Krieg besagt, dass heute bereits die Erde für die imper. Konkurrenten zu klein ist, so zwar, dass sie auf Leben u. Tod darum kämpfen müssen vom imper. Standpunkt aus, entweder du oder ich – inkompatibel!

Nach dem Krieg wird die menschl. Wirtschaft noch viel mehr als bisher Weltwirtschaft sein, die Produktion noch mehr Weltproduktion u. noch mehr der Rohstoffe u. Arbeitskräfte der ganzen Welt bedürftig, der Handel noch viel mehr Welthandel – in Einfuhr u. Ausfuhr (Einkauf u. Absatz) sein. Das heißt aber: die Erde wird noch enger werden für die Konkurrenten – noch unzureichender. Die imper. Gegensätze noch schärfer, d. h. aber, die Kriegsursachen noch stärker!

Durch den Krieg ist der Weltmarkt an Konsumartikeln, Lebensmitteln im weitesten Sinn u. den dazugehörigen Rohstoffen (unmittelbaren), enger geworden – infolge der verringerten Konsumkraft der Massen, der verringerten Durchschnittskonsumkraft der gesamten Menschheit.

Auch die Produktivkraft der Welt ist vermindert, infolge der Zerstörung von Arbeitsmitteln u. Rohstoffen u. Arbeitskräften, eine Zerstörung, die durch neue Erfindungen u. sparende Arbeitsmethoden erst allmählich wettgemacht (aufgehoben) werden kann. Auch die Kaufkraft in Bezug auf die Produkt.mittel verringert?

Der Bedarf an Konsummitteln ist – trotz der Verminderung an Konsumenten (Menschen) – gewachsen: infolge der Vernichtung u. des Verzehrs der letzten Reserven an Konsummitteln, die wieder aufgefüllt werden müssen, wenn die künftigen Geschlechter nicht ähnlich wie wir heute, während des Kriegs, von der Hand zum Mund leben sollen, also in dauernder Gefährdung ihrer primitivsten Existenzvoraussetzung, in dauernder Hungersnot u. Gefahr.

Der Bedarf an Produktionsmitteln u. den dazugehörigen Rohstoffen u. Kräften (die dem Konsum nur indirekt dienen) ist ins Riesenhafte gesteigert: Deren ungeheuerliche Verschwendung, Verwüstung ist die wichtigste wirtschaftliche Signatur des Kriegs der Maschinen.

Die ungeheuren Lücken, die hier in die laufend nötigen Bestände, die dauernd in den Zirkulationsprozess bei Aufrechterhaltung der Wirtschaft à la Vorkriegszeit eingehen würden, u. in die Reserven gerissen sind, wieder aufzufüllen, ist die Voraussetzung für die Möglichkeit, den Konsummarkt auf die frühere Höhe u. darüber hinaus zu heben. Auf dem Gebiet der Produktionsmittelproduktion (wozu auch die Wiederumstellung/Zurückleitung/ der auf die Kriegsprod. gestellten Betriebe in die Friedensproduktion gehört) wird eine große Hausse eintreten – trotz des im Ganzen geschwächten Weltmarktes wird hier die Möglichkeit solcher rapiden Steigerung gegeben sein; z. T. werden die Rohstoffe – für einzelne Produktionsgebiete – im Wege des Kriegs erraubt (vgl. Mittelmächte): Das ist freilich nur eine (lokale) Verschiebung dieser Rohstoffe (als Prod.grundlage) von einem Produzenten zum andern; allgemein aber wird die Ausbeutung von Erde, Wasser, Luft, Lebewesen (auch Menschen als Arbeitskräfte) zur Gewinnung von Rohstoffen u. Kräften intensiver werden; die technischen Verbesserungen, Erfindungen u. Entdeckungen (auch neuer Rohstoffe u. neuer Verwendungsmöglichkeiten u. neuer Vorkommen) von bisher schon verwandten Rohstoffen (Erzlager, Kali usw.) werden die Produktionsergebnisse u. die Prod.möglichkeiten rascher wieder heben als sonst möglich; u. was die kapitalistische Voraussetzung betrifft: Der Krieg hat eine so gewaltige Konzentration (Anhäufung) von Reichtum gerade in den Händen des Großkapitals, der Großunternehmer, der Kapitalisten, in deren Händen die Rohproduktion, Halb- u. Fertigfabrikation von Arbeitsmitteln etc. (von diesen Mitteln der indirekten Wirtschaft) liegt, vollbracht, dass hier eine Stockung infolge Kapitalmangels nicht eintreten [wird], sondern nur durch Zentralisation beschleunigter Übergang zum Größtbetrieb, weitere Steigerung der Produktion zu gewärtigen ist.

Der Krieg um die Rohstoffe der Erde u. um den Weltmarkt hat also zwar Rohstoffe u. Weltmarkt verwüstet, es besteht aber die Aussicht, dass diese Verwüstung infolge verbesserter u. intensivierter Wirtschaft zunächst im Gebiet der Produktionsmittel, sodann im Gebiet des Konsums viel rascher wieder gutgemacht wird, als bei Zugrundelegung des wirtschaftlichen Zustands der Vorkriegszeit anzunehmen.

Das alles aber nur unter einer kolossalen Steigerung der kapitalistischen Weltkonkurrenz um die Rohstoffe u. Arbeitskräfte der Erde. Das heißt unter Verschärfung der imperialistischen Gegensätze, d. h. wiederum, nach dem verhängnisvollen kapitalistischen Zirkel, Verschärfung der Kriegsgefahren. Aus diesem Zirkel nur Rettung im Soz.

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