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Karl Liebknecht 19181221 Die Toten mahnen

Karl Liebknecht: Die Toten mahnen

Reden anlässlich der Beisetzung ermordeter Demonstranten1

21. Dezember 1918

[Die Rote Fahne (Berlin), Nr. 37, 22. Dezember 1918. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 647 f.]

Vor dem Reichskanzlerpalais

Zur selben Stunde, wo die Opfer niedergestreckt worden sind, die wir zu Grabe geleiten, stand vor diesem Hause eine Schar dieser missbrauchten Soldaten und rief Ebert zum Präsidenten der Republik aus. Ebert, dessen Diktatur gestern von dem gefälschten Rätekongress beschlossen worden ist und der sich gerühmt hat, dass er die Massen hinter sich habe; heute ziehen die Berliner Arbeiter an ihm vorüber, um kundzugeben, dass sie in ihm die Verkörperung aller Gegenrevolution erblicken, dass sie tiefes Misstrauen und tiefen Hass gegen ihn hegen. Wenn die Wunden des Opfers sich beim Nahen des Mörders wieder öffnen, so müssten sie hier sich öffnen, wo alle Fäden der Machenschaften zusammenliefen, als deren Opfer sie fielen. Dieser Zug ist eine Mahnung und eine Warnung an die Ebert-Scheidemann. Sie, die da meinen, dass sie ihre Macht auf die Dauer befestigt haben, werden bald erkennen, dass sie nur eine Eintagsmacht ist. Wenn sie heute sich noch sicher fühlen, so wird diese Macht morgen zusammenbrechen unter den wuchtigen Schlägen des Proletariats.

II

Vor der Kommandantur

Die Spuren des Blutes, das in der Chausseestraße vergossen wurde, sie führen über die Wilhelmstraße hierher, zur Kommandantur. Diese sind nicht die ersten Opfer von Wels. Schon Mitte November protestierten zwei mächtige Versammlungen gegen Wels, dem die Schießerei am Polizeipräsidium zur Last fällt, und verlangten seine Absetzung. Dann folgte der 6. Dezember, wo Wels die Bereitstellung der Soldaten anordnete, die Abriegelung befahl, dieser Wels, an dessen Händen das Blut unserer 14 Toten klebt. Das ganze Berliner Proletariat empörte sich gegen seine Gewalttat. Und dennoch ist er immer noch an der Macht. Auch darin zeigt sich die Schwäche der Revolution wie in einem Sinnbild, ihre bisherige Machtlosigkeit. Daraus entspringt die Aufgabe der Berliner Arbeiter: die revolutionäre Macht zu stärken, so dass die Schlacht der wirklichen sozialistischen Revolution siegreich werde geschlagen werden können. Einer der ersten ihrer Triumphe wird sein, wenn es heißt: Er ist fort, der Schuldige am Blutvergießen des 6. Dezember, er ist fort, der Wels!

III

Am Grabe im Friedrichshain

Vierzehn Särge werden in die Erde gesenkt, vierzehn heiße Herzen, die glühten vor Begeisterung für den sozialistischen Befreiungskampf, vierzehn Ankläger gegen die gegenrevolutionären Mächte, gegen die Unaufgeklärtheit eines Teils der Arbeiter- und Soldatenmassen; aber auch vierzehn Zeugen für die Notwendigkeit der internationalen Solidarität. Russische Genossen waren es, die sich den Werkzeugen des Wels entgegen warfen und weiteres Blutvergießen verhinderten. Ein junger dänischer Genosse liegt hier im Grabe, der kurz vor der Revolution nach Deutschland kam, um mitzukämpfen. Ein italienischer Genosse brachte die Grüße des italienischen Proletariats, russische, polnische, englische Genossen wohnen der Trauerfeier bei. Kämpfende Arbeiter aller Länder sind heute bei der Demonstration. So ist das Begräbnis ein Appell zur Erfüllung der internationalen Pflichten, die heute nicht mehr nur ein theoretischer Gedanke sind, sondern lebendige Tat werden müssen.

1 Organisiert vom sozialdemokratischen Stadtkommandanten Otto Wels, war am 6. Dezember 1918 in Berlin ein Putschversuch unternommen worden. Von reaktionären Offizieren geführte Truppenteile hatten den Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte verhaftet, die Redaktion der „Roten Fahne" besetzt und Friedrich Ebert zum Präsidenten der Republik ausgerufen. Bei ihrem brutalen Vorgehen gegen eine unbewaffnete Demonstration waren von den Truppen 14 Personen getötet und mehr als 30 verwundet worden.

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