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Karl Liebknecht 19180615 Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

Karl Liebknecht: Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

[Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 20; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 182/183; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 298/299; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 150/151; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 145/146; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 156; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 153/154; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 148; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 105; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 103, 103a, 104; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 126 f., 114; IML, ZPA, NL 1/24, Bl. 58/59; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 116 f., 117-119, 121; Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 19; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 112 f.; 113 f.; Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 23; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 113, 114 f., 115 f.; IML, ZPA, NL 1/24, Bl. 44, 46; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 119, 119. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 524-544]

Die „Tür nach Russland"

Die baltischen Provinzen sind die Tür zu Russland. Folglich müssen sie bei Russland bleiben; dem Hausbewohner gebührt die Tür zum Haus. Aber der „Baltenabend", Berlin, vom 29. 5. 18, folgert anders: Weil die baltischen Provinzen die Tür zu Russland sind, müssen sie – in deutsche Gewalt kommen! Weil nämlich Nordrussland und Sibirien für Deutschland (d. h. den deutschen Imperialismus) „wirtschaftlich so notwendig" sind.

Der Dieb fordert, dass ihm die Tür des Hauses überantwortet werde, damit sie seinen Diebesgelüsten nicht vor der Nase zugeschlagen und verschlossen werden kann!

Verhältnis der Mittelmächte zu ihren Protegé-Regierungen in Ukraine, Finnland usw. Interesse an ihrer Existenz – aber nicht an ihrer Kraft, sondern an ihrer Schwäche.

Die Bourgeoisregierungen in der Ukraine, Finnland usw., auch in Rumänien, Polen etc. sind Kreaturen der Mittelmächte – made in Germany –, u. zw. als Instrument gegen die eignen Massen der Bevölkerung dieser Länder u. gegen Russland. – Aber darum haben die Mittelmächte keineswegs ein Interesse an ihrer Kraft, sondern am Gegenteil.

Je schwächer die Position dieser „Regierungen" im eignen Land u. nach außen – um so besser für die Mittelmächte, die natürlich nicht wünschen u. erstreben, dass die von ihnen anerkannten Regierungen dieser „selbständigen", „unabhängigen" Länder stark sind, sie vielmehr so schwach brauchen und erhalten, dass sie auf die deutsche Intervention u. sonstige Hilfe angewiesen bleiben u. damit de facto dem deutschen Einfluss in allen ihren inneren u. äußeren Angelegenheiten unterworfen sind (werden): Das ist (so sieht aus) das deutsche Interesse an diesen Staaten.

Je mehr diese „Regierungen" nicht nur in ihrer Entstehung, sondern in ihrer Aufrechterhaltung dauernd deutsche Schöpfungen (Kreaturen), ohne genügende eigne Stütze im eignen Land; je weniger sie ohne deutschen Rückhalt bestehen (aufrechterhalten [werden]) können – um so erwünschter u. praktischer für die deutsche Politik ihrer Beeinflussung, ihrer De-facto-Beherrschung (dieser „Randstaaten"): Je mehr dies der Fall, um so mehr ist die deutsche Regierung die De-facto-Regierung dieser „Randstaaten" u. möglichst auch ihrer Hinterländer – ihre eigne „Regierung" (die deutsche Kreatur) nur deren Kulisse (Wandschirm).

Mitte 1918.

Zum Gegensatz Öst.-Bulgarien u. der daraus resultierende Teil des deutsch-öster. Gegensatzes

1. Öst. will Serbien (wie Montenegro] u. Albanien) unter dem Schleier der Wiederherstellung annektieren – vgl. die Puhl, der „Gazeta Wieczorna" (Frühj. 17) u. Kaiser Karls Brief1 etc. – nicht, auch nicht einen nennenswerten Teil an Bulg. lassen, das Mazedonien/Morawa etc. schlechtweg beansprucht u. von Deutschl, im Bündnisvertrag 1915 zugesagt bekommen hat.2

2. Öst. will Kawala, Saloniki, Drama, Seres3 (auch von Deutschl, versprochen!) usw. nicht an Bulg. fallen lassen, sondern bei Griechenland lassen, das es als Gegengewicht gegen Bulg. nicht zu schwach werden lassen will u. weil Kompensationen für Griechenland in Albanien usw., die auch ins Auge gefasst, ihm bei der Adriakonkurrenz unerträglich sind: Griechenland von der Adria ablenken, nicht hin lenken ist öst. Politik; andrerseits Nachbarverhältnis zu Griechenland nicht ohne Not erschweren – je günstiger Griechenland gestimmt, um so eher österr. Einfluss, öst. Durchdringung zugänglich. Bulg. auch als Mittelmeermacht nicht zu stark.

3. Auch im Punkt Donauschifffahrt/Donaupolitik/ u. Donaumündung/Kondominialgebiet/ – hier übrigens auch Bulgarien (wie auch Österreich) mit Deutschland – vgl. Kühlmanns4 Rede mit Drohbemerkung (Deutsche Gesellschaft für Bahn Czernawod – Konstanza).

4. Auch Bulg. als Mittelmeermacht nicht zu groß!!

5. Im allgemeinen: Österr. will unbedingte Vormacht auf Balkan (wie in Adria) sein. Bulgarien darf nicht zu mächtig sein.

Zu 1-4: Wenn auch Deutschl, keineswegs ein allzu starkes Bulgarien brauchen kann u. z. T. die Gegensätze zwischen] Bulg. und Österr. genutzt [?] hat, so doch gerade ein so starkes, um Österr. in Schach halten oder doch wirksam dagegen ausspielen5 zu können – keine österr. Marionette. Auch abgesehen von den Bindungen Deutschl.s im Bündnisvertrag Bulg.-Deutschl. – also der öst.-bulg. Gegensatz auch in hohem Maße ein deutsch-öster. Gegensatz.

Weiteres zum deutsch-öster. Gegensatz Abgesehen von den sonstigen Gegensätzen, die schon erörtert, u. von dem aus dem öst.-bulgar. Gegensatz (in Bezug auf serbische, montenegr., alban., griech. Politik) fließenden Gegensatz auch die Konkurrenz in der Donaupolitik! Desgl. aus der öster. Nationalitätenpolitik – Autonomie u. Expansion. Innere u. nach außen. Slawisierungstendenz.

Deutsch-bulgar. Gegensatz

1. Bulgar. zwar stark genug, um es gegen Österr. u. Rumänien/„Gleichgewicht"/ausspielen zu können, aber nicht stark genug, um selbständig zu sein/es übermütig werden zu lassen/.

2. In Donau- u. Rumän.- (Kondominium!) u. Schwarze-Meer-Politik – auch Mittelmeer!!-Politik Gegensatz.

3. Auch in griechischer Politik u. 4. in türk. Politik (Grenzstreit) Deutschl, mindestens hypothetisch nicht völlig = bulgarienorientiert.

Mitte 1918.

Zur öst.-ung. Gefahr

Vgl. die sehr contre-coeur-Konzessionen Deutschl.s gegen Öst.-U. im rumän. Frieden u. in der Ernähr.frage (Ukraine, Lebensmittelabgabe etc.), zu denen Deutschland] genötigt ist, um Öst.-U. bei der Stange zu halten.

Auch die Befestigung u. der Ausbau des Bündnisses wird von Berlin u. Wien sehr verschieden betont u. ausgedeutet – vgl. die offiziellen Meldungen u. die offiziösen Kommentare:

Der Stillstand im Westen u. die andren Rückschläge (im Osten – Ukraine; engl. Seeoperationen) machen sich sofort bemerkbar.

Die mimosenhafte Empfindlichkeit des d.-ö. Verhältnisses macht sich jeden Augenblick – bald im günstigen, bald im ungünstigen Sinn bemerkbar.

[An den Rand geschrieben:]

u. Böhmen (Anschluss an Deutschl, wirtschaftlich) wie Ungarn? (Burian6): bes. Zettel.

Mitte 1918.

Zur öster.-ung. (auch Ungarn! nur in Punkt innerer Reaktion Deutschl.-Preußen verwandter u. wegen Gegensatz zu Österr.!) Gefahr.

Im Übrigen vgl. ,,D[eutsche] Tgsztg.", 14. 5. 18: Czernin7 hatte für Deutschl.s Zustimmung zu den Annexionen in Rumänien Deutschland freie Hand gegen Polen zugesichert (für Annexionen).

Burian soll „hinsichtlich Rumäniens der gleichen Ansicht sein, hinsichtlich Polens aber der entgegengesetzten", „so dass Ö.-U. in Rum. die reichen Früchte der ihm vom Deutschen] R[eich] zugesicherten freien Hand …8 unter Dach gebracht hätte u. nunmehr beanspruchte, auch in Polen die dem D. R. zugesicherte freie Hand selbst zu übernehmen" usw.

Deutschland: „operam et oleum perdidi." Dann wäre der Reinfall gründlich. Burian hieße nach Regen die Traufe. Das ungar. Interesse au Polen-Frage ist bekannt.

Der Wiener Kommentar 15. 5. (K[aiserlich-]k[önigliches] Tel[egrafen]-Büro) zur Verlängerung u. zum Ausbau des Bündnisses (zur Defensive, kein Gegensatz zur Entente etc.) wie kalte Dusche auf die zur Stimmungsmache bestimmte deutsche Meldung.

(Dazu „T. U.", Wien, 14. 5.: ähnliche Abmachungen auch mit Bulg. u. Türkei in Aussicht; Entscheidungen über Waffenhilfe Ö.-U.s an Westfront u. Zustimmung D.s zur austro-poln. Lösung. Das wieder dementiert]

Reventlow9 (;;D. Tgsztg.", 17. 5. 18 ff.) will Ausbau im Sinn österr. Bindung u. Unterwerfung unter deutsch. Einfluss.

Mitte 1918.

Österreichs Versagen?

Gefahr für Vierbund – Gefahr vor allem für Deutschland! Eine Gefahr, die sich ständig steigert.

Wichtiger Faktor bei Prognose! Zumal bei türkischer Schwäche!

Mitte 1918.

Österr. „Gefahr"

Deutschl. Imper. auf Gelegenheit zur Intervention lauernd?

Ach, sie sind längst bei der Intervention – nur in besonderer Form.

Vgl. auch die intrigante Verbindung (Durchstechereien) mit Deutsch-Böhmen: „Wirtschaftsgemeinschaft". Deutsche Nahrungsmittellieferung als Bestechung – zur Anwerbung Druck gegen Doppelmonarchie – Intervention eigener (besonderer) Art.

Mitte 1918.

Zur österreichischen Gefahr

Bei Verteilung des ukrain. Raubs wurde Österreich bevorzugt – um seinen Abfall zu verhindern, um die Position der österr. Regierung in Österreich für die Fortsetzung der ihr mehr oder weniger von Deutschl, aufgezwungenen Kriegspolitik zu stärken.

Die Internationale der „Ordnung" manifestierte sich 1871 nicht nur in der „loyalen Unterstützung", die das deutsche Heer der französischen Bourgeoisie gegen die Kommune leistete, sondern auch nach der Maischlacht: Die französische Regierung Adolphe Thiers' hätte die fünf Milliarden sofort sicherstellen und damit der Besetzung ein Ende machen können; aber sie hütete sich davor, „da die deutsche Okkupation ihr half, die Versammlung und ihre Parteien lenksamer zu machen"10.

Mitte 1918.

Internationale Kooperation

Zur Kinetik der intern. Koop.

Muss der Massenstreik international gleichmäßig sein, damit sich überall die gleiche intern. Wirkung durchsetze, damit die für soz. Entwicklung beste Wirkung eintrete?

Nein!

Es muss allenthalben möglichst (aber doch nach Entwicklungsgrad u. internat. Wichtigkeit auch Verschiedenheiten möglich, ja ev. nötig!) gleich starker Druck (gleich starker Druck – gleich stark im Verhältnis zur imperialistischen Macht u. imperialistischen/antisozialistischen/ Gefährlichkeit der Machthaber/ auf die Machthaber jedes Landes geübt werden. Ob aber durch Massenstreik oder auf andre Weise – das ist gleich!

Wo die Massen einen stärkeren unmittelbaren Einfluss auf Exekutive haben, kann Massenstreik etc. Druck geringer sein. Die revolutionäre Kraft im Heere kann das entscheidende Mittel sein; ebenso gut wie die revolutionäre im Wirtschaftsleben, in Produktion, Handel, Verkehr, die im Massenstreik zum Ausdruck kommt. Wo das Volk so weit revolutioniert u. selbständig aktionsfähig ist, dass eine Armee gegen ein revolutionäres Land (Volk) nicht geführt werden könnte, nicht marschieren würde, da bedarf es keines Massenstreiks mehr zur Verhinderung solcher Machenschaften; freilich noch zur Niederwerfung des Imperialismus, zur sozialen Revolution.

Im zurückgebliebeneren Land, in dem die Armee am bedingungslosesten gehorcht u. sich ohne Federlesen leichthin zu Interventionen in anderen Ländern im Bürgerkrieg gebrauchen lässt, da ist Massenstreik am nötigsten, u. da muss er propagiert u. geführt werden ohne ängstliches Schielen nach anderen Ländern, ob da die Parallelaktion auch ja nicht ausbleibt nach den Parallelaktionen in den anderen Ländern.

Was auch immer in solchen revolutionär-rückständigen Ländern an Aktion vollführt werden mag, es wird stets im Verhältnis zu den andren, fortgeschritteneren Ländern nur wenig, nie zu viel sein. In dieser Lage aber ist Deutschland!

Sorge man erst einmal für eine wirklich große, durchschlagende Aktion u. revolutionäre Dauerbewegung in Deutschland – alles andre (übrige) findet sich dann von selbst!

Vorher aber rede man nicht von andren Ländern, die bisher – wie (außer Russland) Italien, Engl., Frankreich – eher schon zu weit vorangegangen sind.

Aus dem Karikaturenkabinett des Weltkrieges

In keinem Lande nehmen die Bemühungen, Freiheitsbestrebungen im Feindeslande auszuschlachten, so groteske Formen an wie in Deutschland, wo die Gewalthaber von Freiheit soviel verstehen wie der Esel vom Lautenschlagen.

Die deutsch-irische Gesellschaft ist gewiss so niederträchtig gemein wie möglich und hat manch Unheil angerichtet. Und doch kann man sich der überwältigenden Komik nicht entziehen, die diese alldeutsche Gründung ausstrahlt. Einst (stolze Vergangenheit!) gehörte zur deutsch-irischen Gesellschaft auch – ein Ire, wenigstens wurde er bei ihren Veranstaltungen dann und wann feierlich produziert. Auch diesen Renommier-Iren hat sie verloren. In ihren Vorstand gehörte einst ein Erzberger, ein Richthofen.

Seit Anfang 1918 sind sie ausgeschieden, durch den früheren Landwirtschaftsminister von Schorlemer und den Kruppschen Kommerzienrat Goldschmidt (Essen) ersetzt, während gleichzeitig in den Verwaltungsrat u. a. gewählt wurden ein Kirdorf und Graf Preysing. Der Generalversammlung vom 28. 2. 1918 präsidierte – Graf Westarp. Man telegraphierte – Hertling und – Hindenburg für ein „freies Irland" an und erfuhr von letzterem, dass er hoffe, „der deutsche Sieg werde auch Irland nützen". Im Mai 1918 ist als würdiges Pendant in Berlin ein Bund der Freunde Indiens entstanden, „dem auch eine ganze Reihe von Kennern des Landes, besonders aus der Marine, der Industrie, dem Handel und der Gelehrsamkeit, angehört". Bei seinem ersten öffentlichen Auftreten, über das man die ,,D[eutsche] Tgsztg." vom 10. Mai nachlesen mag, waren „auch einige Inder" erschienen. Den Vorsitz führte Konteradmiral z. D. Recke. Ein deutscher Großindustrieller bewies die Notwendigkeit einer Landverbindung Berlin – Bagdad-Indien zur Befreiung von – Indien, Persien, Afghanistan. Natürlich geben sie sich mit der Kleinigkeit einer Befreiung des deutschen Volkes nicht ab. „Nachtigall, ich hör' dich laufen!"

Die Kriegführung im Dienste der monarchischen Legende

Zu den innerpolitischen Gesichtspunkten der Strategie und zu den innerpolitischen Kriegszielen gehört auch die Förderung der monarchistischen Legende. „Kaiserschlachten" werden inszeniert, ahnungslose Prinzen zu Feldherrn drapiert, besonders Kronprinzen. Mit Barnumschen Mitteln11 soll der deutsche Kronprinz zum großen siegreichen Schlachtenlenker gemanagt werden, zur höheren Ehre des Hauses Hohenzollern, zur Festigung des „monarchischen Prinzips" und „Prestiges". Nie war es leichter, Feldherrn zu „machen", als heute, wo die Leitung der Kriegsoperationen der öffentlichen Beobachtung noch weit mehr entzogen ist als früher. Aber die Völker werden mit dem Nebel der Lüge, in den sie seit nun vier Jahren gehüllt sind, auch den Nebel der monarchischen Legende zerblasen.

Neue Nationen werden entdeckt – neue Staaten wie Semmeln (Schrippen, Brezeln) gebacken (das geht wie's Katzen …12).

Lettgallen" (Polnisch-Livland) – „früheres Ordensgebiet"; am 26. 4. 18 „Landesrat" u. „Kreisamt" („Landtag"), d. h., ein paar Barone u. Statisten proklamieren die „Unabhängigkeit Lettgallens" u. beschließen Anschluss an Livl. u. Kurland u. Hertling13 um Unterstützung zu bitten.

Dazu ,,D[eutsche] Tagesztg.", 27. 5.18: „Lettgallen wird von katholischen Letten bewohnt; Großgrundbesitz ist in den Händen von Balten, Polen u. einigen Letten. Lettgallen gehört zu dem Gebiet, das uns Russl. gegenüber militärisch eine sichere Grenze geben soll."

Dazu: Weißrussl., Sibirien („Murmanrepublik").

Dieses Fabrikationsvergnügen wird den Fabrikanten noch über den Kopf wachsen; es ist schon darüber gewachsen – ob nicht manchem schon Angst u. Bange wird? Zauberlehrlinge!!

Der Imperialismus als qualifizierter Kapitalismus

Die Ausbeutung ganzer Staaten und Völker, die – zur Klassenausbeutung hinzugefügt – den Kapitalismus zum Imperialismus qualifiziert, ist nicht neueren Ursprungs, sondern weit älter als die kapitalistische Klassenausbeutung, eine Erscheinung bereits der primitivsten Gesellschaftszustände und kaum einer der bisherigen Entwicklungsphasen fehlend. Ob und in welchem Umfange sie praktisch wurde, hing jeweils davon ab, ob und welches Ausbeutungsbedürfnis bestand, ob geeignete Ausbeutungsobjekte erreichbar waren (äußere Möglichkeit) und ob die zur Ausbeutung erforderliche Einwirkung auf das Objekt nach den vorhandenen Mitteln (an Menschen, Sachgütern, Werkzeugen, Waffen, Technik) durchgeführt werden konnte (innere Möglichkeit), das heißt, von drei Momenten, die wesentlich von der wirtschaftlichen Struktur der Gesellschaft bestimmt werden.

Die besondere Intensität der „ursprünglichen Akkumulation" seit dem Ausgang des Mittelalters wie die Universalität und elementare, beherrschende Macht des heutigen imperialistischen Antriebs erklärt sich aus dem Zusammentreffen eines hochgradigen Bedürfnisses der maßgebenden Gesellschaftsfaktoren mit äußeren und inneren Möglichkeiten besonderer Gunst.

Zur Doppelspirale der Expansion

Objekte der imperialistischen Expansion sind

a) Land,

b) Produkte menschlicher Arbeit,

c) menschliche Arbeitskraft.

Zu a: Land wird erstrebt

1. nur als ein Stück Erdoberfläche infolge seiner besonderen Lage (z. B. aus strategischen Gründen) oder

2. sofern es Machtposition eines konkurrierenden (zu verdrängenden) Staates ist oder

3. wegen seiner Oberflächenbeschaffenheit (in oro-, hydrographischer usw. Hinsicht), d. h. wegen militärischer, politischer, wirtschaftlicher Vorteile dieser Beschaffenheit;

4. wegen der chemisch-physikalischen Kräfte des Erdbodens selbst und des Klimas (vor allem Fruchtbarkeit) und wegen der bereits vorhandenen Erzeugnisse dieser Naturkräfte (Pflanzen, Tiere), die nicht vom Menschen produziert (angeeignet usw.) sind;

5. wegen solcher im Erdboden enthaltenen nutzbaren Stoffe (Mineralien), die ihm anders als durch Produktion von Organismen zu entnehmen sind (Bodenschätze im engeren Sinn).

3 (soweit wirtschaftliche Vorteile), 4 und 5 bilden zusammen „den natürlichen Reichtum" des Landes.

Zu b: Umfasst auch die bloß durch Aneignung erworbenen Naturerzeugnisse – vgl. z. B. Kopra, unverarbeitetes Gold, Edelsteine usw. Vor allem aber die durch Bearbeitung spezifizierten Sachgüter.

Menschliche Arbeit der Vergangenheit im Unterschied von c: der menschlichen Arbeit der Zukunft.

In a heißt Raum zunächst, ohne Rücksicht auf Menschen; ja, die Menschen im Bereich der räumlichen Expansion können dem Imperialismus, als Erschwernisse rücksichtsloser Ausnutzung des Landes, so lästig sein, dass ihre Vernichtung, Evakuation usw. erstrebt wird. Nicht selten freilich braucht der Imperialismus die Bewohner – als Arbeitskräfte : Kombination von a und c.

Auch bei b sind Menschen als Besitzer der erstrebten Produkte lästig, nur als Arbeitskräfte unter Umständen erwünscht oder nötig. Bei c wiederum ist der Raum an sich unwesentlich. Die Arbeitskräfte werden an den Verwendungsplatz geschoben, der auch ihr bisheriges Wohngebiet sein kann. Kombination von a und c, auch b ist die Regel.

In a, b und c kann die Expansion das Objekt unmittelbar oder mittelbar, vollständig oder teilweise, unbedingt oder eingeschränkt ergreifen. Vollständige Aneignung des Erstrebten, ohne Gegenleistung und Bedingung, ist das Extrem, nackter Raub. Äußerlich gemilderte Formen, größte Elastizität sind die Methoden der Ägyptisierung und der kapitalistischen Durchdringung, kapitalistische und proletarische Wanderung, Kauf, „normaler" Handel sind die verstecktesten, mittelbarsten Formen.

Die Expansion vollzieht sich in Bezug auf den Raum der Erde selbst in sich ständig erweiternder Spirale, dabei handelt sich's um die innere, engere Spirale, deren Lauf vom kapitalistischen Produzenteninteresse bestimmt.

Die Expansion vollzieht sich auch in Bezug auf die Menschen in sich ständig erweiternder Spirale, die aber hier die doppelte ist: soweit sie die Menschen als Arbeitskräfte erfasst, also vom kapitalistischen Produzenteninteresse beherrscht ist, die engere; soweit sie die Menschen als Konsumenten (Abnehmer, Käufer) erfasst, also vom kapitalistischen Absatzinteresse beherrscht ist, die weitere, die zuerst an die Mauer der Unmöglichkeit stößt.

Japan und die Entente

Die jüngsten Bemerkungen des Ministerpräsidenten Graf Terauchi (Mai) und des jetzigen wie des früheren Außenministers Baron Goto und Kato zeigen die japanische „Geschäftspolitik" in zynischer Betonung. Die Herren sind „weder prodeutsch noch antibritisch", spielen Entente und Vierbund und die einzelnen Ententemächte gerissen gegeneinander aus und heimsen täglich mit vollen Schaufeln ein. Über ein kleines, und die mongolische Welt ist ein selbständiger imperialistischer Komplex ersten Ranges – und zeigt den Konkurrenten die Zähne.

Zu „Klassengegensatz über Staatengegensatz“

Einige Belege: 1. aus der Vergangenheit: „Österreichs Abgeneigtheit (vor 1866), in der außerösterreichischen Presse den freiheitlichen Zug zu unterstützen" (obwohl dies Unterstützung der großdeutschen, Österreich-freundlichen Kreise bedeutet hätte), „seine Bereitwilligkeit, mit den reaktionären Kräften der Länder" (gleichviel, ob sie preußenfreundlich, Österreich-feindlich waren) „in Bund zu treten" (vgl. Wuttke, Zeitschriften, 2. Auflage, S. 150)14;

2. aus der Gegenwart: „Kriegschronik" vom 31. Mai 1918 (Mosler, aus den Sturmtagen der russischen Revolution):

,Wenn nur die Deutschen nach Petersburg kämen', seufzte (in einer Petersburger Gesellschaft, der Mosler im Winter 1917/18 beiwohnt) eine der (russischen) Offiziersdamen, ,auf den Knien würden wir sie empfangen.' Da ich sie etwas verdutzt von der Seite ansah, fuhr sie fort: ,Ja, so weit ist es mit Russland gekommen, dass wir unseren Feinden danken würden, wenn sie uns nur wieder Ordnung ins Land brächten.'" „Daily Express" (nach ,,D[eutsche] Tgsztg.", 13. 6. 18) über Russland: Monarchisten und Bürgertum „sind bereit, einem Romanow oder Kaiser Wilhelm zu folgen, wenn sie nur von den Bolschewisten befreit werden".

Juni 1918.

Zur Entstehung des Krieges

Dass der Krieg ein deutscher und österreichischer Präventivkrieg sei, ist eine den Mittelmächten viel zu günstige Auffassung. Nur vom Gesichtspunkt des Weltrüstens aus mag es zutreffen. In Wahrheit handelt es sich, wie sich immer klarer herausstellt, in der Hauptsache um einen Expansionskrieg des deutschen Imperialismus, der sich auch Österreich-Ungarns nur als Werkzeug zur Inszenierung und Durchführung bedient hat. Unbezahlbar ist das jetzige Geständnis Wilhelms II., den mancher anfangs, so geschickt hatte er die „impulsive Natur" geschauspielert!, ein wenig zu exkulpieren geneigt war.

Er sei sich von vornherein über den Sinn des Weltkrieges im Klaren gewesen, so versicherte er am 15. Juni 1918: Wir buchen das. Er habe die Illusionen des deutschen Volkes darüber nie geteilt, fügt er hinzu. Das ist ein hanebüchenes Stück. Wer hat dem deutschen Volk diese Illusion beigebracht? Wer hat es raffiniert, systematisch, skrupellos verwirrt, verrückt und toll gemacht? Es gehört ein dickes Fell dazu, wenn der Betrüger sich so vor dem Betrogenen herausstreicht, weil er selbst seinen Schwindel nicht geglaubt hat.

Was die militärische Vorbereitung für den Krieg anbelangt, so hebt der Korvettenkapitän von Selchow (vom Admiralstab der Marine) in seiner kürzlich erschienenen Propagandaschrift „Weltkrieg und Flotte" hervor: dass Deutschland in Bezug auf große, für Fernverwendung geeignete U-Boote „bei Kriegsbeginn an der Spitze aller Kriegsmarinen stand, sowohl was die Zahl der Boote wie auch was ihre Seetüchtigkeit betraf ".15

Krieg und Frauenarbeit

Die Differenziation der Frauenarbeit, deren umwälzende Bedeutung für die Gesellschaftsstruktur Müller-Lyer so energisch herausgearbeitet hat, ist durch den Krieg zu rasendem Tempo voran gepeitscht worden. Eine soziale Kriegserscheinung, die aber, wie viele soziale Erscheinungen und Wirkungen gerade dieses Krieges, mit Kriegsbeendigung nicht wieder verschwinden wird. Wenigstens in den Hauptzügen nicht. Riesenhaft an Größe und Zahl sind die Probleme, die sich daraus für die Gesellschaft ergeben, für beide Geschlechter, für fast alle Schichten der Gesellschaft. Für das Proletariat ist die soziale Differenziation der Frauenarbeit am wenigsten eine Neuigkeit, aber auch hier hat sie ein sehr verändertes Gesicht angenommen, nicht zuletzt für das männliche Proletariat. Auch das Bürgertum ist aufgescheucht; sucht der Frage, die auch für weite Kreise bürgerlicher Frauen immer mehr zur Schicksalsfrage geworden ist, ins Auge zu sehen und nach bürgerlicher Art zu begegnen. Beachtlich als ein Auftakt sind die Verhandlungen auf der gemeinsamen Tagung des Bundes deutscher Frauenvereine und des Ständigen Ausschusses zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen (vom 20./21. 6. 18). Das weibliche Proletariat wird allen bürgerlichen Umwerbungen zum Trotz auch weiter seinem sozialistischen Zeitstern folgen. Ihm hat der Krieg nur mit verhundertfachter Wucht das Bewusstsein eingehämmert: Die proletarische Frauenfrage ist und bleibt ein organischer Teil der einen und unteilbaren Frage der proletarischen Emanzipation, der Emanzipation des einen und unteilbaren Weltproletariats, die nur von beiden Geschlechtern, Schulter an Schulter, in sich immer mehr verschärfendem internationalem Klassenkampf, nur durch die soziale Revolution erkämpft werden kann.

Der Krieg ernährt den Krieg"

Der Krieg frisst Nahrung und Notdurft der Völker. Immer schwerer müssen sie fronden, immer bitterer hungern, um ihn, den Vernichter, zu erhalten. Zuweilen wollen sie zusammenbrechen, zuweilen an seiner Göttlichkeit zweifeln. Dann reckt er sich gewaltig, speit Feuer über die Länder, zerschlägt Natur- und Menschenwerk, verschlingt Zehntausende. Bis die Völker ihm wieder vertrauen, ihn bestaunen und mit ihren Eingeweiden füttern. So ist die Dialektik der Kriegführung im Dienste der Kriegsanleihepolitik. So führt der bonapartistische Zirkel von innerpolitischen Verbrechen zu außenpolitischen und von außenpolitischen Verbrechen zu innerpolitischen zurück. So bringt Zerstörung fortwährend Zerstörung hervor. Vernichtung erhält den Vernichter. So ernährt der Krieg heute den Krieg bis zum Selbstmord der Menschheit oder zum Erwachen der Völker.

Wirkung des Krieges auf die innerpolitische Freiheit der Volksmassen

Die besorgte Prophezeiung und spätere Feststellung, dass der Krieg allenthalben zerstörend, wenigstens schwer hemmend auf die innere Freiheit der Völker gewirkt habe, sind keineswegs überholt oder Lügen gestraft.

Allerdings wurde neuerdings in den meisten kriegführenden und manchen neutralen, aber unter dem Kriege leidenden Ländern eine Erweiterung der Volksrechte versprochen, hie und da auch schon in Angriff genommen und in England bereits durchgeführt. Aber für die Kriegszeit bleibt es, wenn auch in sehr verschiedenen Abstufungen, doch überall bei Belagerungszustand und Militärdiktatur, d. h. Volksrechtlosigkeit. Und jene Versprechungen oder Reformen sind nicht unmittelbare Wirkungen des Krieges, sondern die Folge von Gegenwirkungen gegen den Krieg, die Folge der Massenbewegung gegen den Krieg oder der Furcht, vor ihr, also ein Produkt des Gegensatzes gegen den Krieg (durch den sie auch die oft erwartete, vorübergehend ad hoc demokratisierende Wirkung gemeinsamer Gefahr realisiert). Kurz: Die antidemokratische Tendenz des Krieges ist geblieben, nur ist sie teilweise durch eine demokratische Gegentendenz der Kriegsgegnerschaft antagonistisch durchkreuzt und aufgehoben.

Was aber diese Gegentendenz bisher gebracht hat, sind bestenfalls formale Rechte – Druckerschwärze! Papier ist geduldig, besonders in Kriegszeiten. Die Massen seien auf der Hut. Gelingt den herrschenden Klassen, gelingt dem Imperialismus der Massenbetrug, den diese mit den Demokratisierungen beabsichtigen, verhilft ihnen das demokratische Manöver zum Siege, so werden die Massen trotz aller papiernen Rechte materiell eher schwächer denn stärker als vor dem Kriege einer gigantisch gesteigerten Macht der herrschenden Klassen gegenüberstehen. Und selbst wenn die neuen papiernen „Volksrechte" formell nicht angetastet werden, wird es dann schwerster Kämpfe bedürfen, um eine wirkliche, materielle Demokratisierung zu erzwingen. Es wird dann weit schwererer Kämpfe dazu bedürfen als heute, während des Krieges. Jedem gegenwärtigen und künftigen Völkerrecht materiellen Inhalt zu geben, die Macht der Arbeiterklasse zu steigern, die Demokratie zu sichern, das Proletariat zu befreien, heute, während des Krieges, haben die Massen die unfehlbare Macht dazu in der Hand. Mögen sie sich endlich aufraffen, russisch zu handeln!

Regierendes oder regiertes Volk?

Weit mehr als bei uns … tragen naturgemäß derartige Vorkommnisse (Missstände in der Kriegswirtschaft) in England tiefe Missstimmung in weite Volksschichten …, weil das (englische) Volk weniger gewohnt ist, regiert zu werden (als das deutsche)" – bekennt der Admiralstabs-Kapitän von Selchow in seiner behördlich vertriebenen Propagandaschrift „Weltkrieg und Flotte" und trifft damit den Kern des deutschen Elends, das heute zugleich das Elend der ganzen Welt ist.

Wir dachten, bisher vergeblich, zu zeigen, dass das deutsche Volk ebenso gut und besser als andere Völker sich selbst regieren kann. Die Regierungssozialisten haben – bisher – gezeigt und werfen sich darob in die Brust, dass das deutsche Volk leichter regiert werden kann als andere Völker. Aber nur bisher. Oder wird das deutsche Volk in alle Ewigkeit ein regiertes und nie ein regierendes Volk sein?

Die Katz, die Katz ist gerettet"

Groß sind die Taten der Regierungssozialisten und wachsen täglich an Glanz. Stimmt euer Saitenspiel und singt ihr Lob über die Meere. Denn sie haben Kühlmann gerettet und der Welt den Schaumschläger der „Verständigung" erhalten; den Köder am Angelhaken Hertlings haben sie neu befestigt und den Mann von Brest und Bukarest wieder aufgerichtet.16

Sinket auf die Knie vor ihrer Herrlichkeit und betet an die Gewaltigen.

Kastratengekreisch

Im abhängigen Parteiausschuss17 (Sitzung vom 31. 5.) sprach Ebert über die Lage, die „durch das Vorgehen der Militärbehörden" (!!) im Osten geschaffen ist – d. h., er suchte nach bewährter Methode die Reichsregierung heraus zu lügen, um dann anzukündigen, „gegen diese Politik" der Militärbehörden, nicht etwa des Kanzlers!, „werde" die Fraktion „ganz energisch" „Front machen" „müssen"; jawohl – in der Budgetkommission des Reichstags – jawohl, Front machen zur Präsentation – des Budgets und der Kriegskredite.

Scheidemann schwindelte in der ihm geläufigen dreisten Manier des politischen Hochstaplers von internationaler Pflichterfüllung der deutschen Regierungssozialisten, die „heut noch" zur „Friedensresolution" vom 19. 7. 171 (d. h. zur deutschen Regierung) stehen.

An Kriegsreminiszenzen eines abgetriebenen Berliner Droschkengauls erinnert die Resolution Gradnauer18, nach der der P. A. „die Erwartung ausspricht" (nicht etwa fordert oder nur erwartet), „dass der Parteivorstand mit allen Kräften darauf hinwirkt, den Krieg zu beendigen" – der „Parteivorstand" wohlgemerkt! Wenn ein „Hinwirken" des „Parteivorstandes" nicht wirkt, was soll dann wirken? Was kann ein abhängiger Parteiausschuss mehr für den Frieden tun, als die Hoffnung auf ein solches „Hinwirken" des „Parteivorstandes" auszusprechen ?

Und dann geht's ans Wahlrecht und über die arme Regierung her, dass einem Hören und Sehen vergeht. Der Parteiausschuss „spricht ihr seine Missbilligung aus" – jawohl! –, und er „tadelt aufs Schärfste" – jawohl! –, und er „fordert aufs Dringlichste" – jawohl! –, oh, er ist nicht von Pappe! –, und er „bringt den Entschluss zum Ausdruck", „den Kampf bis zum vollen Erfolg durchzuführen", d. h. jeden ernsten Kampf zu hintertreiben, Budget und Kriegskredite zu bewilligen, zu Hofe zu gehen, Kühlmänner zu retten, kurz: eine Koppel demütiger, wenn auch zuweilen knurrender Regierungshunde zu bleiben.

Taktik der politischen Einnebelung

Es an Zweideutigkeit den zünftigen Diplomaten gleichzutun, ist ihr heißes Bemühen

Halbdunkel, Zwielicht, in dem sich gut munkeln lässt, ist der Beleuchtungszustand, in dem sie sich wohlfühlen u. in dem sie das ganze Gebiet der äußeren u. inneren Politik, besonders der Kriegs- u. Wahlrechtspolitik, für die proletarischen Massen künstlich einzunebeln suchen.

Können sie's außerdem bis zum Witz des Herrn Theodor Wolff19 bringen, so haben sie den Gipfel der Vollkommenheit erreicht.

Die Kinderklapper

Bei ihren – demagogischen – Bemühungen um dekorativen Scheineinfluss auf die Kriegspolitik ernten sie Götzische Antwort. Wahlrecht und andere Erfolge, die mehr als ein Pappenstiel wären, gibt's nicht – ein wenig Tand, ein wenig Lakaienputz, mehr fiel nicht ab. Sie waren's zufrieden. Die Massen weniger – die müssen abgelenkt, unterhalten werden. Kunststück! Es ist nicht einfach, in solchen Zeiten maitre de plaisir ungeduldiger Proletarier zu sein. Wieder ist eine Abwechslung, ein neuer Trick, ein neues Spielzeug vonnöten. Es ist gefunden: der Johann vom Reichskutschbock als Vizepräsident!20 Lieb Hindenburg, kannst ruhig sein!

Der Judaslohn

Vom Judasdienst und Judaslohn der Gewerkschaftsbeamten sprach der Abgeordnete Schirmer am 15. Juni im Reichstag: Die Zurückstellung der Gewerkschaftsbeamten vom Heeresdienst ist berechtigt, denn sie haben vielfach auch durch Aufklärungsarbeit wertvolle Dienste geleistet. (Dienste natürlich für den Imperialismus, „Aufklärung" zur Massenverdummung.)

1 Brief Kaiser Karls von Österreich an seinen Schwager Sixtus von Bourbon, in dem er diesen ersuchte, in Frankreich und England „das Terrain für eine Verständigung" vorzubereiten. Der Brief wurde am 31. März 1917 dem Präsidenten der Republik Frankreich, Poincaré, überreicht. In diesem Brief bot Karl an, sich für einen Verzicht Deutschlands auf Elsass-Lothringen einzusetzen.

2 Am 6. September 1915 schloss Bulgarien mit Deutschland und Österreich-Ungarn politisch-militärische Verträge, in denen es sich zur militärischen Hilfe verpflichtete. Auf Kosten der Türkei erhielt Bulgarien ein Gebiet an der Mariza, außerdem wurde ihm aus der serbischen Beute ganz Mazedonien und ein Teil Altserbiens versprochen. Am 21. September 1915 machte Bulgarien mobil, und am 5. Oktober 1915 trat es offen auf die Seite der Mittelmächte.

3 Städte in Mazedonien – Griechenland. Die Red.

4 Richard von Kühlmann (1873-1948), Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Die Red.

5 In der Quelle: ausgespielt werden. Die Red.

6 Stephan Graf Burian von Rajec (1851-1922), 1912 bis Dezember 1916 und April bis Oktober 1918 österreichischer Außenminister. Die Red.

7 Ottokar Graf Czernin von und zu Chudenitz (1872–1932), 1916 österreichischer Außenminister, war Leiter der österreichischen Delegation in Brest-Litowsk.

8 Punkte in der Quelle. Die Red.

9 Ernst Graf zu Reventlow (1869-1943), bis 1899 aktiver Seeoffizier, dann Schriftsteller, marinetechnischer Berater an einigen Zeitungen, z. B. „Berliner Tageblatt", „Kreuz-Zeitung", „Deutsche Tageszeitung"; trat während des ersten Weltkrieges für eine rücksichtslose Kriegführung mit allen Mitteln ein, besonders im U-Boot-Krieg; war Hauptvertreter eines annexionistischen Friedens. Die Red.

10 Oskar Jäger: Geschichte der neuesten Zeit. 1789-1.900, S. 691. Die Red.

11 Phineas Taylor Barnum (1810-1891), amerikanischer Spekulant und Zirkusunternehmer, genannt „König des Humbugs". Die Red.

12 Punkte in der Quelle. Die Red.

13 Georg Graf von Hertling (1843-1919), führender Vertreter des konservativen Flügels des Zentrums, Reichskanzler vom 1. November 1917 bis 30. September 1918. Die Red.

14 Heinrich Wuttke: Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen Meinung, Zweite Auflage, Leipzig 1875, S. 210/211. Die Red.

15 Bogislav von Selchow: Weltkrieg und Flotte, Berlin 1918, S. 20. Die Red,

16 Richard von Kühlmann (1873–1948), 1917/1918 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, schloss als Vertreter Deutschlands die Friedensverträge von Brest-Litowsk (3. 3. 1918) mit Sowjetrussland und von Bukarest (7. 5. 1918) mit Rumänien ab. Wegen seiner Rede am 24. Juni 1918 im Reichstag, in der er ausführte, dass ein Ende des Krieges durch rein militärische Entscheidungen allein, ohne diplomatische Verhandlungen kaum erwartet werden könne, musste er auf Druck Ludendorffs seinen Rücktritt erklären. Von den rechten Sozialdemokraten führte Gustav Noske aus, dass Herr von Kühlmann „nur der Sack ist, der geprügelt wird, während die Schläge nach einer ganz anderen Richtung treffen sollen".

17 Seit der Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei USPD wurde die Mehrheits-SPD auch oft als Abhängige Sozialdemokraten verspottet, es ist also der MSPD-Parteiausschuss gemeint.

18 Georg Gradnauer (1866-1946), Redakteur der sozialdemokratischen „Dresdner Volkszeitung", bis 1918 Mitglied des Reichstags. Die Red.

19 Chefredakteur des „Berliner Tageblattes". Die Red.

20 Gemeint ist Philipp Scheidemann. Die Red.

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