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Karl Liebknecht 19190101 Über die Verhandlungen mit den revolutionären Obleuten

Karl Liebknecht: Über die Verhandlungen mit den revolutionären Obleuten

Berichterstattung

1. Januar 1919

[Bericht über den Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919, o. O. u. J., S. 45-48. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 668-671.]

Genosse Liebknecht teilt mit, dass die Verhandlungen mit den revolutionären Obleuten noch nicht abgeschlossen seien. Es sei vorgeschlagen worden, die Verhandlungen morgen fortzusetzen. Die Angelegenheit ist wichtig genug, und ich schlage daher vor, dass der Parteitag morgen Vormittag um elf Uhr noch eine Sitzung abhält, um das Ergebnis der Verhandlungen entgegenzunehmen und zu besprechen.

Die Verhandlungen wurden von uns gestern Abend zunächst mit einer Kommission von sieben Mitgliedern geführt. Ihr gehörten u. a. die Genossen Ledebour, Däumig, Richard Müller und Nowakowski1 an. Wir nahmen zunächst an, dass die Wahlbeteiligung der größte Differenzpunkt mit den revolutionären Obleuten sei. Es wurde uns aber erklärt, das treffe nicht zu, denn auch sie wollten sich an der Nationalversammlungswahl nicht beteiligen. Genosse Ledebour widersprach jedoch und erklärte, dass er unter allen Umständen an der Wahlbeteiligung festhalte. Da größere Meinungsverschiedenheiten prinzipieller und taktischer Natur nicht zu bestehen schienen, wurde von uns der Vorschlag gemacht, die revolutionären Obleute sollten fünf Mitglieder zu der von der Konferenz gewählten Programm- und Organisationskommission delegieren. Damit würde die Konferenz zweifellos einverstanden sein, wenngleich dadurch die Zahl der Berliner Kommissionsmitglieder unverhältnismäßig groß sein würde. Bei der Erörterung dieses Vorschlages erhob sich jedoch plötzlich der Genosse Richard Müller und erklärte, in erster Linie müsse verlangt werden, dass wir unsere fortgesetzte Putschistentaktik aufgeben. Ich erwiderte ihm sofort, er scheine ein Vertreter des „Vorwärts" zu sein. Seine Bemerkung sei um so deplatzierter, als es sich bei allen bisherigen Aktionen, die der Spartakusbund unternommen habe, um Aktionen gehandelt habe, die von den revolutionären Obleuten selbst beschlossen und durchgeführt worden seien. Nach diesem Zwischenfall tat sich anscheinend ein großer prinzipieller und taktischer Gegensatz auf. Die Kommission forderte Wahrung völliger Parität bei der Besetzung der Programmkommission. Dagegen wandten wir uns selbstverständlich. Es müsse doch bedacht werden, dass die Konferenz, die die Kommission gewählt habe, eine Reichskonferenz sei. Es sei auch nach unserer Ansicht ausgeschlossen, dass die Konferenz den Beschluss wegen der Wahlbeteiligung aufhebe. Um aber zu zeigen, dass es uns nicht am guten Willen zur Einigung fehle und dass wir die Arbeit und den Einfluss der revolutionären Obleute außerordentlich hoch einschätzen, machten wir den Vorschlag, die Verhandlungen heute früh fortzusetzen und der Konferenz vorzuschlagen, heute noch einmal zusammenzutreten, um zu dem Ergebnis der Verhandlungen Stellung zu nehmen.

Sie haben unserem Vorschlage zugestimmt und damit aufs deutlichste ihren Willen zur Einigung zu erkennen gegeben.

Heute früh konnten die Verhandlungen nicht zur festgesetzten Zeit beginnen, denn die Kommission war nicht vollzählig, und als sie beisammen war, zog sie sich erst zu eigener Beratung zurück. Dann stellte sie fünf Forderungen. Zunächst verlangte sie, die Konferenz solle den Beschluss, der sich grundsätzlich für den Antiparlamentarismus ausgesprochen habe, aufheben. Zweitens stellte sie wieder das Verlangen nach Wahrung völliger Parität in der Programmkommission. Drittens sollten wir mit den revolutionären Obleuten unsere Straßentaktik präzisieren. Viertens verlangte sie entscheidenden Einfluss auf unsere Presse und die Herausgabe von Flugblättern usw. Fünftens sollte der Name der neuen Partei insofern geändert werden, dass die Bezeichnung „Spartakusbund" verschwinden müsse. Wir erklärten, dass diese Stellungnahme nicht der der Obleute selbst entspreche. Zu den Forderungen selbst erklärten wir: Die Konferenz hat sich nicht grundsätzlich für Antiparlamentarismus ausgesprochen, sondern lediglich in dem konkreten Falle beschlossen, sich nicht an den Nationalversammlungswahlen zu beteiligen. Dieser Beschluss würde von der Konferenz zweifellos nicht geändert, wie bereits gestern mitgeteilt worden sei. Wenn die Forderung nun als erste gebracht werde, so beweise das nur, dass man sich nicht verständigen wolle. Zu zwei erklärten wir, was ich schon ausgeführt habe. Die Forderung in Bezug auf die Namensänderung könne kein Hindernis für die Einigung bilden. Die Forderungen zu drei und vier sind jedoch eine so energische Äußerung von Misstrauen, dass wir offen erklären müssen: Für eine Einigung ist allerdings erforderlich, dass wir auf einem Boden stehen. Die junge Partei kann schwere Differenzen prinzipieller und taktischer Natur nicht ertragen, wenn sie nicht sofort an Aktionsfähigkeit, was jetzt die Hauptsache ist, einbüßen soll.

Es entspann sich eine längere Debatte, in der der Genosse Däumig allerdings erklärte, es seien tatsächlich stärkere Gegensätze vorhanden. Er setzte das in aller Ruhe auseinander im Gegensatz zum Genossen Ledebour, der geradezu fanatischer Gegner der Spartakusleute sei. Es fällt mir nicht leicht, das offen auszusprechen, zumal mich langjährige Freundschaft gerade mit ihm verbunden hat.

Wir haben verlangt, dass die weiteren Verhandlungen mit den Obleuten selbst geführt werden. Dem wurde entsprochen. Wir verlangten, dass die Obleute durch Abstimmung zu erkennen geben, inwieweit sie sich die Forderungen der Kommission zu eigen machten. Sie sprachen sich mit 26 gegen 16 Stimmen für die Wahlbeteiligung aus. Die Parität in der Besetzung der Kommission wurde mit allen gegen 7 Stimmen verlangt. Auf den Boden unseres Vorschlages, 5 Mitglieder in die Kommission zu entsenden, haben sich 8 Obleute gestellt.

Nun zum Ergebnis der Verhandlungen. Ich habe schon betont, dass meiner Ansicht nach die revolutionären Obleute die besten und tatkräftigsten Elemente des Berliner Proletariats darstellen. Sie stehen himmelhoch über den Organisationsbonzen der USP. Sie sind also aller Anerkennung wert, und unsere Zusammenarbeit mit ihnen gehört für mich zu den erfreulichsten Kapiteln unserer politischen Tätigkeit. Trotzdem dürfen wir uns darüber nicht täuschen, dass sie nicht allesamt auf dem äußersten linken Flügel der revolutionären Arbeiterschaft stehen. Es besteht bei einem Teil eine gewisse Abneigung gegen uns, die von einzelnen einflussreichen Genossen geschürt wird. Aber die heutigen Abstimmungen sind doch mehr Zufallsabstimmungen. Sie entspringen einer gewissen Aktionsmüdigkeit, die erklärlich ist. Aber alle bisherigen Aktionen waren von uns nicht provoziert, sondern ergaben sich aus den Verhältnissen. Wir werden aber auch sehen, dass in konkreten Fällen die revolutionären Obleute sich ihrer Aufgabe wieder voll bewusst sein werden. Erfreulich ist, dass schon jetzt einige Obleute aus den wichtigsten Betrieben sich uns offen angeschlossen haben. Das werden, durch die Verhältnisse getrieben, bald auch die übrigen Obleute tun.

1 Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck verhandelten während des Parteitages mit Vertretern der revolutionären Obleute über deren Anschluss an die KPD. Die Red.

2 Richard Nowakowski, Mitglied der USPD und der revolutionären Obleute in Berlin. Die Red.

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