Schlusswort

Schlusswort

Unsere Aufgabe ist zu Ende. Wir glauben aus dem Vorhergehenden den Schluss ziehen zu können, dass alle Befürchtungen für die Zukunft der polnischen Industrie – sofern sie sich wenigstens auf die von der russischen Regierung drohende Gefahr beziehen – ganz grundlos sind und nichts anderes als einen kritiklosen und oberflächlichen Abklatsch des intimen Unternehmerzankes des Łódźer und des Moskauer Unternehmertums darstellen. Blickt man tiefer in die Verhältnisse hinein, so muss man zu dem Schlüsse gelangen, dass Polen in ökonomischer Beziehung nicht nur keine Absonderung von Russland bevorsteht, sondern dass die aus der allgemeinen inneren Natur der großkapitalistischen Produktion selbst sich ergebenden Tendenzen es vielmehr ökonomisch mit jedem Jahr stärker an Russland fesseln. Es ist ein immanentes Gesetz der kapitalistischen Produktionsweise, dass sie darnach strebt, nach und nach die entlegensten Orte miteinander materiell zu verknüpfen, in ökonomische Abhängigkeit voneinander zu bringen und schließlich die ganze Welt in einen einzigen fest zusammengefügten Produktionsmechanismus zu verwandeln. Am stärksten wirkt diese Tendenz natürlich innerhalb eines und desselben Staates, innerhalb derselben politischen und Zollgrenzen. Die kapitalistische Entwicklung Polens und Russlands ergab die nämlichen Resultate. Solange beide Länder vorwiegend agrikole, und zwar naturalwirtschaftliche Länder waren, also bis zu den sechziger Jahren, blieben sie ökonomisch einander fremd und stellten jedes für sich ein abgeschlossenes Ganzes mit besonderen ökonomischen Interessen dar. Seitdem jedoch die Fabrikproduktion hier und dort auf größerer Skala begonnen, seitdem die Naturalwirtschaft der Geldwirtschaft Platz gemacht hat, seitdem die Industrie zu einem ausschlaggebenden Faktor im gesellschaftlichen Leben beider Länder geworden ist, schwindet auch die Abgeschlossenheit ihrer materiellen Existenz immer mehr. Der Austausch und die Arbeitsteilung knüpften zwischen Russland und Polen tausend Fäden, und die mannigfaltigen ökonomischen Interessen griffen so ineinander, dass die polnische und die russische Ökonomik heute nur mehr einen komplizierten Mechanismus bilden.

Der geschilderte Prozess spiegelt sich in sehr verschiedener Weise in dem Bewusstsein der verschiedenen Faktoren des polnischen öffentlichen Lebens wider. Die russische Regierung erblickt in ihm ein Werkzeug ihrer Herrschaftspläne, glaubt Polen damit für immer ihrer Macht auf Gnade und Ungnade überantwortet und ein tausendjähriges Reich der Despotie gegründet zu haben. Die polnische Bourgeoisie sieht darin ein Fundament der eigenen Klassenherrschaft im Lande und eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung; sie wiegt sich in den süßesten Zukunftsträumen beim Gedanken an Asien und glaubt darauf ein tausendjähriges Reich des Kapitals bauen zu können. Die verschiedenen nationalistischen Elemente der polnischen Gesellschaft endlich fassen den ganzen sozialen Vorgang als ein einziges großes nationales Unglück auf, welches ihre Hoffnungen auf die Wiederaufbauung eines unabhängigen polnischen Staates unbarmherzig zertrümmert. Sie fühlen instinktiv die Macht der ökonomischen Bande, welche der Kapitalismus zwischen Polen und Russland geschaffen hat, heraus, und ohne den fatalen Prozess in Wirklichkeit aufhalten zu können, machen sie ihn wenigstens in der eigenen Einbildung rückgängig, indem sie sich an jeden Schein verzweiflungsvoll klammern und von der russischen Regierung selbst erwarten, dass sie mit eigenen Händen die verhasste kapitalistische Entwicklung Polens vernichten und so für den Nationalismus wieder Boden schaffen werde.

Wir glauben, dass die russische Regierung, die polnische Bourgeoisie und die polnischen Nationalisten im gleichen Masse mit Blindheit geschlagen sind und dass der kapitalistische Verschmelzungsprozess zwischen Polen und Russland noch eine wichtige dialektische Seite hat, die sie ganz außer acht lassen. Dieser Prozess zeitigt nämlich aus eigenem Schösse den Moment, wo die Entwicklungsinteressen des Kapitalismus in Russland mit der absoluten Regierungsform in Widerspruch geraten werden und wo die Zarenherrschaft an ihrem eigenen Werke zugrunde gehen wird. Früher oder später muss die Stunde schlagen, wo dieselbe heute von der Zarenregierung so gehätschelte polnische und russische Bourgeoisie ihres politischen Anwalts – des Absolutismus – überdrüssig und den König matt setzen wird. Ferner bewegt sich aber der kapitalistische Prozess mit unaufhaltsamer Eile demjenigen Moment entgegen, wo die Entwicklung der Produktivkräfte auch im russischen Reiche mit der Herrschaft des Kapitals unverträglich und wo an Stelle der privaten Warenwirtschaft eine neue soziale Ordnung auf der Basis einer planmäßigen genossenschaftlichen Produktion treten wird. Die polnische und die russische Bourgeoisie beschleunigen diesen Augenblick mit vereinigten Kräften, indem sie keinen Schritt vorwärts marschieren können, ohne auch die Reihen der polnischen und russischen Arbeiterklasse zu vermehren und vorwärtszutreiben. Die kapitalistische Verschmelzung Polens und Russlands erzeugt als das Endresultat, was in gleichem Maße von der russischen Regierung, der polnischen Bourgeoisie und den polnischen Nationalisten außer acht gelassen wird: die Vereinigung des polnischen und des russischen Proletariats zum künftigen Syndikus bei dem Bankrott zuerst der russischen Zarenherrschaft und dann der polnisch-russischen Kapitalherrschaft.

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