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Rosa Luxemburg 19010828 Die sozialistische Einigung in Frankreich

Rosa Luxemburg: Die sozialistische Einigung in Frankreich

[Die Neue Zeit (Stuttgart), 19. Jg. 1900/1901, Zweiter Band, Heft 48 (28. August 1901) S. 698-700, verglichen mit der Wiedergabe in Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 2014, S. 343-345]

Die Befürchtungen, dass sich die Einigung der dem letzten sozialistischen Kongress in Lyon ferngebliebenen oder aus ihm ausgetretenen Parteien und Gruppen des französischen Sozialismus sehr in die Länge hinziehen würde, stellen sich erfreulicherweise als gänzlich unbegründet heraus. Die Vertreter der in Betracht kommenden Organisationen haben bereits einen detaillierten Einigungsplan ausgearbeitet. Nachdem nämlich seit dem Lyoner Kongress mehrere neue Gruppen zu der Französischen Arbeiterpartei, der Sozialistisch-Revolutionären Partei und der Kommunistischen Allianz hinzugetreten waren, in dem Wunsche, zusammen eine geeinigte Partei zu bilden, ging es nicht mehr an, das alte von den drei genannten Organisationen ausgearbeitete Projekt aufrechtzuerhalten, sondern es musste nunmehr unter Mitwirkung aller Beteiligten ein neues gemeinsam beraten und beschlossen werden. Es ist bereits zur Begutachtung allen Mitgliedern im Lande mitgeteilt worden und erfreut sich, wie die bisherigen Ergebnisse zeigen, eines ungeteilten Beifalls.

Der Entwurf hat in den Hauptpunkten folgenden Wortlaut:

A. Konstituierung der Partei

Die Sozialistische Partei Frankreichs (Sozialistisch-Revolutionäre Einigkeit), ein Bruchteil des organisierten internationalen Proletariats, erstrebt die Befreiung der Arbeit und der Gesellschaft auf folgenden Grundlagen:

Internationale Verständigung und Aktion des Proletariats; politische und ökonomische Organisierung des Proletariats in eine Klassenpartei zum Zwecke der Eroberung der politischen Gewalt und der Sozialisierung der Produktions- und Austauschmittel, d. h. der Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine kollektivistische oder kommunistische.

Als Partei der Revolution und folgerichtig der Opposition gegenüber dem bürgerlichen Staate betrachtet sie freilich als ihre Aufgabe, alle Reformen zu erringen, welche die Bedingungen des proletarischen Klassenkampfes zu verbessern geeignet sind, vermag jedoch unter keinen Umständen durch die Teilnahme an der staatlichen Zentralgewalt, durch die Votierung des Budgets oder durch Allianzen mit bürgerlichen Parteien, irgendwelche Mittel zur Verlängerung der bürgerlichen Klassenherrschaft zu liefern.

B. Organisation der Partei

Die Partei besteht aus politischen Gruppen, deren Mitglieder im Besitz einer Parteimitgliedskarte sind und sich über einen monatlichen Beitrag zu Gunsten der Zentralbehörde der Partei durch hierfür von der Föderation jedes Departements herausgegebene Quittungsmarken ausweisen können.

Alle Gruppen einer Gemeinde bilden eine Sektion der Partei.

Alle Sektionen eines Departements bilden zusammen eine Föderation, die durch ein auf den jährlichen departementalen Kongressen gewähltes Komitee geleitet wird.

Alle Gruppen eines (kommunalen, kantonalen oder legislativen) Wahlkreises werden ihre Kandidaten aufstellen können, wobei die departementalen Komitees die Pflicht haben, über die Einhaltung der Parteiprinzipien zu wachen.

C. Parteikongresse

Die Leitung der Partei liegt der Partei selbst ob, die sich zu jährlichen Kongressen versammelt.

D. Parteileitung

Von einem Parteitag zum anderen wird die Geschäftsführung der Partei einem Zentralrat anvertraut, den folgende Elemente zusammensetzen:

a) je ein Vertreter von jeder departementalen Föderation;

b) drei Vertreter der sozialistisch-revolutionären Kammerfraktion;

c) fünfzehn auf dem jährlichen Parteitag gewählte Mitglieder, die die eigentliche Exekutive der Partei bilden und wovon fünf (Sekretäre, Kassierer und Archivare) besoldet werden.

Der Zentralrat wird sich vierteljährlich zu einer Plenarsitzung versammeln oder zu einer außerordentlichen Sitzung auf Wunsch, sei es eines Drittels seiner Mitglieder, sei es der Exekutive.

Der Zentralrat hat die Tätigkeit der einzelnen Genossen, der Abgeordneten und der Presse zu überwachen und darf alle von ihm als notwendig erachteten Maßregeln ergreifen.

Provisorische Maßregel.

Provisorisch und bis sich die neue geeinigte Partei bewährt hat, werden die Mitgliedskarten an einzelne Genossen durch die jetzt bestehenden Parteien übermittelt.

Wie aus dem Angeführten ersichtlich, wird von unseren Freunden in Frankreich eine wahrhafte und unzweideutige Einigkeit aller auf gleichem prinzipiellen Boden stehender sozialistischer Kräfte vorbereitet. Zur Einheit der Partei soll die Föderation werden, die ihrerseits alle Genossen eines Departements umfasst; den bestehenden Sonderorganisationen wird nur eine bescheidene provisorische Rolle zugedacht. Nur eine Bestimmung des Organisationsprojektes ist uns noch nicht ganz klar, nämlich diejenige, betreffend die Aufstellung von Kandidaten zum Gemeinde- und Kantonsrat wie zum Parlament. Es versteht sich von selbst, dass die Einigkeit der Partei auch die Einigkeit in der Aufstellung der Kandidaten bedingt und sozialistische Gegenkandidaturen im Schoße einer Partei ausschließt. Auch dieses Detail wird, glauben wir mit aller Bestimmtheit, entsprechend dem ganzen Entwurf geregelt, was nur aus der gegebenen Fassung nicht deutlich genug hervorgeht. Jedenfalls können wir unseren Genossen in Frankreich zu ihrem Werk Glück wünschen und der baldmöglichsten Verwirklichung ihres Projektes mit Genugtuung entgegensehen.

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