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Rosa Luxemburg 19170324 Die russische Revolution

Rosa Luxemburg: Die russische Revolution

24. März 1917

[Der Kampf (Duisburg) Nr. 42, 24. März 1917. Nach Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band 15, S. 711-713, laut Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 7, Berlin 2017, ist sie die Verfasserin. Dort ist der Artikel S. 1024-1026 ebenfalls abgedruckt]

Über die russische Revolution zu schreiben ist bei der Unsicherheit und Verworrenheit der Nachrichten, die über sie bisher aus dem Ausland gelangt sind, einigermaßen schwer, zumal für eine Wochenschrift, deren Auffassung jeden neuen Tag durch neue Nachrichten eingeschränkt oder widerlegt werden kann.

Immerhin gibt es einige Gesichtspunkte, die man heute feststellen kann, ohne befürchten zu müssen, dass sie morgen schon wesenlos erscheinen, und zwar solche Gesichtspunkte, die für das historische Wesen dieser Revolution entscheidend sind. Denn die Fragen, wo sich der Zar und die Zarin befinden, welches Mitglied der Zarenfamilie mit der Revolution zu paktieren geneigt ist oder nicht und dergleichen mehr, mögen für den Philister sehr interessant sein, aber den Politiker gehen sie nichts an, zumal da schon jetzt feststeht, dass die russische Revolution dem Zarentum als solchem keineswegs an Kopf und Kragen will.

Ihrem historischen Wesen nach ist diese Revolution eine Empörung der Bourgeoisie gegen die Unfähigkeit des Zarismus, einen Weltkrieg erfolgreich durchzukämpfen. Es ist bekannt genug, dass die russische Bourgeoisie diesen Weltkrieg leidenschaftlich ersehnt und geschürt hat; es gehörte zu dem ärgsten Schwindel der deutschen Regierungssozialisten, den russischen Krieg aus den längst verschollenen Redensarten von Anno dazumal als einen räuberischen Einbruch barbarischer Horden in die westeuropäische Kultur darzustellen. Noch kurz vor Ausbruch des Krieges hat der Professor Mitrofanow, ein angesehener Historiker, der seine Bildung auf deutschen Hochschulen erworben hat und für seine Person durchaus deutschfreundlich gesinnt ist, in sehr überzeugender Weise dargelegt, dass „Besitz und Bildung" in Russland, also deutlicher gesprochen die russische Bourgeoisie, nach einem Kriege mit Deutschland lechze, auf dessen Widerstand sie überall stoße, wohin sie auch immer ihre kapitalistischen Fangarme ausstrecke.

Daraus ergibt sich schon die Hinfälligkeit des Versuchs, die russische Revolution als einen Vorboten des Friedens zu begrüßen. Im Gegenteil: Soweit es auf die gegenwärtigen Machthaber in Russland ankommt, werden sie den Krieg mit verdoppelter Energie und, wie sie hoffen, mit verdoppeltem Erfolge fortführen; ja, nach manchen Anzeichen scheint die Befürchtung, der Zar könne sich zu einem Separatfrieden mit Deutschland entschließen, nicht der letzte Antrieb ihres raschen Vorgehens gewesen zu sein. Damit erklärt sich dann weiter, dass sich ein Teil der Aristokratie und namentlich die bewaffnete Macht der russischen Revolution angeschlossen haben.

Somit bestätigt diese Revolution das bekannte Wort Lassalles, es sei unmöglich, die Bourgeoisie für die idealen Güter der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ins Feuer zu bringen, aber um ihre kapitalistischen Interessen zu verfechten, könne sie noch Klauen und Zähne zeigen. Man mag der russischen Bourgeoisie sogar das verhältnismäßige Lob zuerteilen, dass sie für ihre hehren Altäre größere Kräfte aufzuwenden weiß als manche andere, die weiter westlich haust. Aber schließlich bleibt Bourgeoisie doch immer Bourgeoisie, und eine Revolution kann sie nicht machen, ohne sich auf Volksmassen zu stützen, die durch die strenge Schule des Elends und des Hungers zu revolutionärer Kraft gestählt sind. So war es 1789 in Frankreich, so war es 1848 in Frankreich und Deutschland, und so ist es 1917 in Russland.

Darum gilt von jeder siegreichen Revolution das Wort des römischen Dichters: Hinter dem Reiter, der noch so glorreich aus der Schlacht heimkehrt, sitzt die schwarze Sorge. Wie sich die Bourgeoisie 1789 und 1848 dieser Sorge entledigt hat, ist bekannt genug. Sie lohnte am Tage nach dem Siege die Kämpfer, die mit ihrem Blut und ihren Muskeln den Sieg erfochten hatten, mit dem schnödesten Undank ab! Und es liegt nicht der geringste Anlass vor, zu bezweifeln, dass auch die russische Bourgeoisie sich an dieselbe bewährte Methode halten wird. Ihr Programm enthält zwar eine Reihe verhältnismäßig weitgehender Forderungen, aber wohlgemerkt nicht auf sozialem, sondern auf politischem Gebiete, und was aus der Berufung einer auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts gewählten Nationalversammlung werden kann, die die neue Verfassung des Reiches beraten soll, das besagt das preußische Vorbild von 1848. Genau denselben „Erfolg" hatten die Berliner Arbeiter 1848 erkämpft, aber kaum ein Jahr später war die Dreiklassenwahl da, die wir heute noch nicht losgeworden sind.

Werden sich die russischen Arbeiter abermals übertölpeln lassen? Das ist für die deutschen Arbeiter die alles entscheidende Hauptfrage der russischen Revolution. Wir fürchten es nicht, sondern vertrauen zuversichtlich darauf, dass sie aus den schmerzlichen Erfahrungen ihrer eigenen Klasse gelernt und die Früchte des Sieges, den sie selbst erfochten haben, nicht der Bourgeoisie überlassen werden, so hartnäckige, langwierige Kämpfe es kosten mag, sie sich selbst zu sichern. Erst dann wird sich die Prophezeiung unseres Freiligrath erfüllen, die in den gegenwärtigen Flitterwochen der russischen Revolution doch nur erst wie handgreifliche Ironie erscheint:

Seht her doch ihr nach Westen!

Ein Volk noch in der Welt,

Das trotzig mit der festen

Stahlhand am Aufruhr hält!

Im fernen, wüsten Osten

Der Freiheit Außenposten,

Die schlagen jetzt die Schlacht,

Die heiß zurück sich wälzend,

Jedwede Fessel schmelzend,

Auch euch zu Freien macht.


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