Rosa Luxemburg: Rede über die sozialistische Taktik

[Internationaler Sozialisten-Kongress zu Amsterdam. 14. bis 20. August 1904, Berlin 1904, S. 73. Nach Gesammelte Werke Band 1/2, 1970, S. 445 f.]

Kein einziger Redner hat Jaurès' Haltung¹ verteidigt. Was hat man diese zwei Tage anders gemacht als Jaurès verurteilt, obwohl man ihn angeblich nicht verurteilen wollte. Das ist die historische Bedeutung dieser drei Tage. Jaurès warnt vor Aufstellung allgemeiner Regeln, die doch nicht innegehalten werden können. Seit wann ist Jaurès so gewissenhaft? Wiederholt haben er und seine Freunde Kongressbeschlüsse übertreten. Was können wir andres tun, als Regeln für die praktische Taktik aufzustellen. Unterlassen wir das, welche Bedeutung haben dann noch Kongresse, unsre internationale Solidarität? Jaurès macht aus dem Klassenkampf, aus der internationalen Solidarität eine Phrase. Renaudel² ist nur der Kugelfänger Jaurès'. Wenn ein sozialistischer Minister in einer bürgerlichen Regierung seine Grundsätze nicht durchführen kann, so ist es eine Sache der Ehre, abzutreten; wenn ein Revolutionär in einer gemäßigten Partei seine Grundsätze verleugnen muss, so gebietet seine Ehre ihm zu gehen. Ich will die Renaudelsche Einheit nicht; die Zerrissenheit ist bedauernswert, aber sie ist da. Und nichts ist revolutionärer, als zu erkennen und auszusprechen, was ist. Vollkommene Resolutionen sind noch nie gemacht. Die Dresdner Resolution³ ist nicht bloß ein Stück Papier, sondern eine historische Tatsache, ein Symbol; nehmt sie an und Ihr erweist der Sache des Sozialismus einen großen Dienst!