Rosa Luxemburg 19051112 Die Hetzer an der Arbeit

Rosa Luxemburg: Die Hetzer an der Arbeit

[Erschienen im „Vorwärts" am 12. November 1905. Nach Gesammelte Werke Band 4, 1928, S. 247-250]

Wir haben bereits gestern auf Grund einer Mitteilung des „Tabakarbeiters" darauf hingewiesen, dass die Gewerkschaftspresse hinter den Kulissen von der Generalkommission eindringlich dahin bearbeitet wurde, sich in die sogenannte „Vorwärts"-Affäre einzumischen und gegen die Redaktion des Zentralorgans der Sozialdemokratie Front zu machen. Die „Bergarbeiter-Zeitung" arbeitet für ihren Teil an dieser planmäßigen Aufhetzung der Gewerkschaftskreise mit heiligem Eifer. Dabei bedient sie sich – um in der Gewerkschaftssprache zu reden – des löblichen Systems der „schwarzen Listen", indem sie die neuen Redakteure des Zentralorgans der Partei nach der Reihe als „Wühler", „Kritiker" und ähnliche arge Sünder den deutschen Gewerkschaften denunziert.

Einer der Neuen, Herr Weber", heißt es z. B. in dem Huéschen Artikel, „ist bekannt als heftiger Kritiker der Haltung des Buchdrucker-Verbandes bzw. seines Organs. Weitere „Verdienste" des Herrn sind unbekannt geblieben. Als Redakteur des „Vorwärts" ist auch berufen – Herr Düwell. Man braucht nur den Namen dieses Herrn zu nennen, um den Bergleuten ein Licht darüber aufzustecken, wohin der Weg geht.

..Unter diesen Umständen müssen wir die Berufung des Herrn Düwell an den „Vorrts" empfinden als einen Schlag geigen die Leitung des Bergarbeiterverbandes. Wir wissen nunmehr ganz genau, wie man in dem „Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei" zum Verbande der Bergarbeiter steht. Der Name des Herrn Düwell ist in dieser Hinsicht ein unzweideutiges Programm1." Dann heißt es weiter:

Außerdem ist als bevorzugte Leitartiklerin bestellt – Frau Rosa Luxemburg!!! Diese Dame hat sich seit Jahren bemerkbar gemacht durch Misskreditierung der Gewerkschaftsarbeit und der Gewerkschaftsführer. Sie war es, die von der Gewerkschaftsarbeit als „Sisyphusarbeit" (nutzlose Arbeit) schrieb; sie überschüttete den Kölner Gewerkschaftskongress und vornehmlich den Kollegen Bömelburg mit gehässigen Urteilen und persönlichen Beleidigungen. Gerade diese Dame ist in Gewerkschaftskreisen bekannt als eine treibende Kraft bei der seit längerer Zeit üblich gewordenen Hetze gegen die selbständige Haltung der Gewerkschaften. Wo Frau Rosa Luxemburg Einfluss hat, darf die Gewerkschaftsbewegung auf keine sachliche Beurteilung rechnen. Das soll hiermit frühzeitig genug festgestellt werden, damit nicht etwa später die freien Gewerkschaften mitverantwortlich gemacht werden für die nunmehr an „leitende Stelle" gerückten „gewerkschaftlichen" Liebhabereien im neuen „Vorwärts". Die Gewerkschaften sind durch Neubesetzung der „Vorwärts"-Redaktion vor den Kopf gestoßen worden."

Wir wollen nur nebenbei bemerken, dass die obige aufdringliche Stimmungsmache sich ganz ungeniert über den einfachen Umstand hinwegsetzt, dass weder „Herr" Weber, noch „Herr" Düwell sich in der Redaktion des „Vorwärts" mit Gewerkschaftsangelegenheiten befassen: der erstere ist verantwortlicher Redakteur, der letztere behandelt die Parteinachrichten und die Frauenbewegung. Doch in der Sache selbst: worauf laufen die Steckbriefe hinaus, die den neuen Redakteuren und Mitarbeitern des „Vorwärts" mitgegeben werden? Darauf, dass sie alle bei dieser oder jener aktuellen Frage an der jeweiligen Taktik der Gewerkschaftsleitungen Kritik geübt haben! Weber hatte das Rexhäusersche Blatt nicht für eine Sonne ohne Flecke zu halten gewagt, Düwell hatte sich erfrecht, an der Haltung des Bergarbeiter-Verbandes etwas auszusetzen! Nun mögen die Hetzkundgebungen einzelner Gewerkschaftsführer gegen die Partei an sich so plump sein, wie sie wollen, – ihr Ziel der Entzweiung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften werden sie bei dem gesunden Sinn der großen Masse der organisierten Arbeiter doch nicht erreichen. Aber im Interesse der Gewerkschaften selbst sind solche Offenbarungen der leitenden Geister im höchsten Maße beunruhigend. Kurz ausgedrückt, laufen sie nämlich auf die folgende Lehre hinaus: Jede Kritik an der gegebenen Taktik der leitenden Gewerkschaftsorgane ist verboten, der Zuwiderhandelnde wird auf ewige Zeiten als „Volksfeind" gebrandmarkt. Nun weiß heute nachgerade jeder einigermaßen klassenbewusste Proletarier, dass die freie und offene Kritik, der lebhafte Meinungsaustausch, das rege geistige Leben geradezu die Existenzbedingungen, die Lebensluft für die moderne Arbeiterbewegung sind, sowohl für ihren ökonomischen, wie für ihren politischen Teil. Es ist ja gerade der Stolz und die Kulturmission der Sozialdemokratie, diesen Geist der unumschränkten Kritik zum Regulativ und die ständige Entwicklung der Kampfweise zur Grundlage des modernen proletarischen Klassenkampfes gemacht zu haben. Das umgekehrte Verfahren, die Verpönung jeder Kritik an der Handlungsweise der „löblichen Behörden" und der „Vorgesetzten" ist der Grundsatz nicht bloß des Scharfmachertums gegenüber den Arbeitern, sondern überhaupt der bürgerlichen Gesellschaft in ihrem Verfall, ein sicheres Symptom der geistigen Dekadenz und der geistigen Barbarei!

Eine prachtvolle Blüte dieser gefährlichen Geistesrichtung enthält auch die obige Attacke der „Bergarbeiter-Zeitung" selbst, und wir wollen sie, ihrer symptomatischen Bedeutung wegen, näher betrachten. Die Genossin Luxemburg wird den Gewerkschaftskreisen als eine gefährliche „Hetzerin" gegen die Gewerkschaften denunziert – auf Grund eines von ihr einmal gebrauchten Ausdruckes von der gewerkschaftlichen „Sisyphusarbeit", was die „Bergarbeiterzeitung" ungeniert als „nutzlose Arbeit" übersetzt. In welchem Sinne war aber dieser Ausdruck gebraucht? Genossin Luxemburg untersuchte in ihrer Broschüre „Sozialreform oder Revolution" in einer Polemik gegen Bernstein die Funktion der Gewerkschaften im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft und wies nach, dass die objektiv herabdrückende Tendenz dieses Wirtschaftsmechanismus mit der Kraft eines Naturgesetzes das wirtschaftliche Aufstreben der Arbeiterklasse unaufhörlich durchkreuzt. Während der absolute Lohn durch die gewerkschaftliche Aktion gehoben wird, wird der relative Lohn, das heißt der Anteil des Arbeiters an dem gesellschaftlichen Reichtum, infolge der wachsenden Produktivität der Arbeit immer geringer. Im Anschluss daran heißt es: „In den wirtschaftlichen Hauptfunktionen verwandelt sich also der gewerkschaftliche Kampf kraft objektiver Vorgänge in der kapitalistischen Gesellschaft in eine Art Sisyphusarbeit. Diese Sisyphusarbeit ist allerdings unentbehrlich, soll der Arbeiter überhaupt zu der ihm nach der jeweiligen Marktlage zufallenden Lohnrate kommen, soll das kapitalistische Lohngesetz verwirklicht und die herabdrückende Tendenz der wirtschaftlichen Entwicklung in ihrer Wirkung paralysiert oder genauer abgeschwächt werden." Gedenkt man aber die Gewerkschaften in ein Mittel zur stufenweisen Verkürzung des Profits zugunsten des Arbeitslohnes, d. h. zur allmählichen Aufhebung des kapitalistischen Lohnverhältnisses, zu verwandeln, so sei dies eine Utopie im Sinne der bürgerlichen Vulgärökonomie.

Dies war der Sinn der „Sisyphusarbeit". Mit anderen Worten: Genossin Luxemburg hat rein objektiv wissenschaftlich ausgeführt, dass die Gewerkschaften nicht imstande seien, den Kapitalismus abzuschaffen. Und diese elementare Feststellung, die die Grundlage geradezu der sozialdemokratischen wie der klassenbewussten gewerkschaftlichen Auffassung bildet, ist in den Augen der „Bergarbeiter-Zeitung" eine Majestätsbeleidigung gegen die Gewerkschaften!

Daraus kann nur zweierlei gefolgert werden:

Entweder ist der „Bergarbeiter-Zeitung" die elementarste Einsicht in das kapitalistische Lohngesetz und die Grundlagen des Lohnsystems unbekannt, – das ist aber schwer anzunehmen, da der Redakteur des Bergarbeiterverbandes doch als Vertreter der Sozialdemokratie zu der Reichstagsfraktion zählt.

Oder aber die „Bergarbeiter-Zeitung" hält für nötig, vor den kämpfenden organisierten Arbeitern die wirklichen objektiven Grenzen des Gewerkschaftskampfes einfach zu verheimlichen, sie mit falschen Schmeicheleien in grundlose Illusionen zu wiegen. Dann fragt sich aber, welcher Unterschied noch besteht zwischen dieser Taktik einer Gewerkschaftsleitung, die der Arbeiterschaft im Klassenkampfe vorangehen soll, und dem lobhudelnden Demagogentum bürgerlicher sozialreformerischer Professoren à la Sombart, die die Arbeiterschaft zu nasführen und vom Klassenkampfe abzubringen trachten?

In beiden Fällen wird es aber klar: das ist die Geistesverfassung, aus der heraus jede Kritik als ein Verbrechen verpönt wird und die sich ihrerseits in der hermetischen Abschließung von jeder Kritik herausbildet!

Einer solchen gefährlichen Versimpelung der Gewerkschaftskreise wird die Redaktion des „Vorwärts" allerdings nicht Vorschub leisten und sie wird auch fernerhin nicht Lobhudelei, sondern Kritik als ihres Amtes betrachten, unbekümmert um die Hetze dieses oder jenes gekränkten Gewerkschaftsführers.

Nur noch eins möchten wir zum Schluss bemerken: Es ist geradezu rührend, zu sehen, mit welchem Fleiß und Eifer aus verschiedensten Winkeln jetzt Holzscheite zum Scheiterhaufen für die Redakteure des „Vorwärts" von allerlei geschäftigen Weibern herbeigeschleppt werden. Persönlich betrachten wir sie bei diesen edlen Bemühungen mit unerschütterlicher Heiterkeit und nehmen von ihnen Abschied mit einer Goetheschen „zahmen" Xenie:

Wir haben dir Klatsch und Geklatsche gemacht,

Wie schief!

Wir haben dich recht in die Patsche gebracht,

Wie tief!

Wir lachen dich aus!

Nun mach' dich heraus!

Ade.

Und red' ich dawider, so wird das den Klatsch

Nur verschlimmern.

Soll mein liebliches Leben im nichtigen Patsch

Verkümmern?

Schon bin ich heraus:

Ich mach' mir nichts draus!

Ade.

1 Düwell hatte sich den Neutralitätsbestrebungen des Bergarbeiterverbandes während des großen Streiks aufs schärfste widersetzt.

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