Rosa Luxemburg 19140113 Um das Koalitionsrecht

Rosa Luxemburg: Um das Koalitionsrecht

[Erschienen in der „Sozialdemokratischen Korrespondenz" am 13. Januar 1914. Nach Gesammelte Werke Band 4, 1928, S. 172]

Als Casimir Perier, der Großvater, im November 1831 in der Pariser Kammer der alarmierten Bourgeoisie über den ersten großen Klassenkampf des Kontinents, über den Aufstand der Seidenweber in Lyon berichtete, sagte er so ungefähr: Meine Herren, Sie können ruhig sein! Bei den Vorgängen in Lyon ist nichts von Politik zum Vorschein gekommen. Es war nur ein Krieg derjenigen, die nichts zu verlieren haben … Der Hohepriester der Kapitalrenten unter dem jungen Bürgerkönigtum begriff noch nicht den inneren historischen Zusammenhang, das Zwillingsverhältnis zwischen dem ökonomischen Kampf und dem politischen Kampf des modernen Proletariats. Er begriff nicht, was im Jahre 1847 das Kommunistische Manifest in den Worten formuliert hat: Jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf, und was ein Menschenalter später die preußische Polizeiweisheit in ihrer stupiden Weise ebenso klassisch durch den Mund Puttkamers verkündete: Hinter jedem Streik lauert die Hydra der Revolution.

Die bürgerliche Gesellschaft wendete sich denn auch instinktiv von ihrer Geburtsstunde an gegen das Koalitionsrecht der Arbeiter mit allen Machtmitteln einer brutalen Klassenherrschaft. Gefängnis, Zuchthaus, Deportation bedrohten in England fast 80 Jahre lang -– von 1799 bis 1875 jeden Arbeiter, der andere „nötigte, einschüchterte, belästigte, behinderte", d. h. an die Solidarität seiner Arbeitskollegen im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen appellierte. Noch 1871 wurden mehrere Frauen bestraft, weil sie zu Arbeitswilligen „bah" gesagt hatten. Erst die liberale Gladstonesche Ära sollte den Versuch riskieren, die Arbeiter durch Gewährung des freien Koalitionsrechtes zu pazifizieren, sie zu Musterknaben nach dem Herzen des Kapitals zu erziehen. Es war ungefähr um dieselbe Zeit, dass in Frankreich die Bourgeois-Republikaner auf dem Grabe der Pariser Kommune versuchten, das Proletariat durch Begönnerung einer zahmen Gewerkschaftsbewegung zu ködern und unter dem Gambettaschen Banner der „Aussöhnung zwischen Bourgeoisie und Proletariat" zu sammeln.

Doch der schöne Traum währte nicht lange. Schon Ende der siebziger Jahre erhebt der tot geglaubte Sozialismus in Frankreich siegreich das Haupt, um auch den Gewerkschaftskampf von der bürgerlich-republikanischen Führerschaft zu befreien. In England erwacht Ende der achtziger Jahre in der zahmen Gewerkschaftswelt der junge Geist der Rebellion. Der deutsche Kapitalismus aber, dem auch in der Wiege nicht vergönnt war, die unschuldigen Träume der Jugend zu träumen, der schon mit dem bösen Gewissen und der sauren Laune des Katzenjammers zur Welt kam, verharrte von Anfang bis Ende ebenso in unverhohlener Feindschaft gegen das ökonomische Grundrecht der Arbeiterschaft, wie die deutsche Gewerkschaftsbewegung von Anfang an mit der Sozialdemokratie naturgemäß innerlich verschwistert war.

Das letzte Jahrzehnt sollte den blinden Klassenhass der bürgerlichen Gesellschaft gegen die „Verschwörungen" der Lohnsklaven bis zur Bewusstlosigkeit steigern. Die gewaltigen Massenstreiks der Eisenbahner in Holland, Italien, Ungarn, der Postbeamten in Frankreich, der Bergarbeiter in Deutschland und England, die revolutionären Massenstreiks in Russland, das lawinenartige Wachstum der Gewerkschaften wie der Sozialdemokratie in Deutschland –, das alles hat vor aller Welt bloßgelegt, welche politische Macht die Arbeiterklasse entfalten kann, wenn sie von ihrer wirtschaftlichen Macht im richtigen Moment Gebrauch zu machen versteht. Der Gebrauch des Koalitionsrechtes hat sich als erstklassige Waffe zum Hieb wie zur Parade gegen die Reaktion und als vorzügliches Mittel zur Schulung und Sammlung der proletarischen Massen erwiesen.

Gerade deshalb erleben wir seit Jahren den beispiellosen Kreuzzug gegen das Koalitionsrecht, bei dem Deutschland den Ehrgeiz hat, „in der Welt voran" zu marschieren.

Aber dieser reaktionäre Kreuzzug ist zugleich in seiner weiteren Wirkung das revolutionärste Beginnen, das sich denken lässt, er ist der Anfang des „Umsturzes" von oben. Denn hier rüttelt die herrschende Klasse an den Grundfesten ihres eigenen Gesellschaftsbaus, hier erschüttert sie die Fundamente ihrer eigenen Herrschaft.

Wenn es ein Grundgesetz der Warenproduktion ist, dass die Waren zu ihrem Werte verkauft werden, so nimmt die Arbeiterklasse auch nur dieses Gesetz für sich in Anspruch, wenn sie die wichtigste Ware, die Arbeitskraft, zu ihrem Werte und nicht darunter zu verkaufen sucht. Der Kampf der ausgebeuteten Lohnarbeiter um bessere Arbeitsbedingungen ist deshalb ein so unzertrennliches natürliches Begleitmoment der kapitalistischen Produktionsweise, wie die Ausbeutung selbst. Die Koalitionsfreiheit der Arbeiter gehört zur bürgerlichen Gesellschaft genau in dem Maße wie die Gewerbefreiheit.

Dieser Kampf folgt ihr auf ihren historischen Pfaden und Winkelzügen in der Welt wie ein Schatten. Er entsteht zusammen mit ihr. Er folgt ihr aus England nach dem Kontinent, aus Europa nach Amerika, nach Japan und China, in die Goldgruben Sibiriens und in die Schwefelgruben Siziliens, nach Transvaal und nach den Karolinen. Der wirtschaftliche Kampf ist die erste instinktive elementare Regung des geschundenen Lohnproletariers unter allen Zonen, er läutet in allen Ländern das Erwachen des Proletariats zum Menschendasein, zur historischen Mission, zum Klassenbewusstsein ein.

Auf den wirtschaftlichen Kampf, auf das Koalitionsrecht verzichten kann das moderne Proletariat deshalb so wenig wie ein Mensch auf das Atmen verzichten kann. Das angeborene historische Recht des Proletariats auf den wirtschaftlichen Kampf spottet vielmehr, wie alle historischen Notwendigkeiten, der strafgesetzlichen Zwirnsfäden wie der brutalen Gewalt des Eisens. Es setzt sich mit Elementargewalt gegen die Pinkertons der amerikanischen Republik, gegen die russischen Kosaken wie gegen den preußisch-deutschen Polizeistaat durch.

Aber gerade deshalb heißt heute an dem Koalitionsrecht rütteln, soviel, wie an das Lebensmark der modernen Arbeiterbewegung greifen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bewirkten die strengen Koalitionsverbote, dass die englischen Arbeiter sich in unterirdischen Verließen der Geheimbündelei verschanzten, wo sie mit heiligen Schwüren den Bund der Klassensolidarität bekräftigten und Verräter an ihr mit dem Tode bedrohten.

Heute steht in Deutschland nicht eine Handvoll begeisterter Pioniere, sondern eine Millionenarmee klassenbewusster Männer und Frauen auf der Wacht ihrer Grundrechte. Ein ernst gewagtes Attentat auf das Koalitionsrecht wird heute die Millionen Organisierter nicht etwa von der Oberfläche verdrängen, um sie in Geheimbünde zu pferchen, sondern es wird sie umgekehrt auf die Vorderbühne der Öffentlichkeit herausfordern und zu einem verzweifelten Massenkampf zwingen. Es wird das wirtschaftliche und politische Leben Deutschlands in den Zustand einer permanenten Erschütterung, eines chronischen Guerillakrieges versetzen.

Wer aber aus diesem Kriege letzten Endes als Sieger hervorgehen würde, kann keinem Zweifel unterliegen, da die deutschen Arbeiter diesen Kampf jedenfalls mit der Zähigkeit und der Entschlossenheit einer Klasse führen müssten, die nichts zu verlieren hat als ihre Ketten.

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