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Franz Mehring 18990602 Das Zuchthausgesetz

Franz Mehring: Das Zuchthausgesetz

2. Juni 1899

[Die Neue Zeit, 17. Jg. 1898/99, Zweiter Band, S. 325-327. Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 292-295]

Der „Gesetzentwurf zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses" ist eben erschienen, so dass gerade noch eine kurze Spanne Zeit bleibt, ihn an dieser Stelle zu signalisieren. Seine ausführliche Würdigung verbietet sich im Augenblick von selbst, und sie drängt auch nicht.

Es ist ja ausgeschlossen, dass der Entwurf in der gegenwärtigen Tagung des Reichstags noch verabschiedet werden wird, und es ist nicht einmal wahrscheinlich, dass er auch nur zur ersten Lesung gelangt. Was die Regierung veranlasst hat, ihn sozusagen noch zwischen Tür und Angel einzubringen, muss dahingestellt bleiben; auf die optimistische Auffassung, dass sie nur das in Oeynhausen verpfändete Wort des Kaisers einlösen wolle und sonst ganz zufrieden sein werde, wenn die Vorlage im Papierkorb des Reichstags verschwinde, möchten wir niemandem raten, sich zu verlassen. Gegenüber diesem gesetzgeberischen Monstrum hat die Arbeiterklasse allen Anlass, nur sich selbst zu vertrauen, und insofern kann ihr allerdings die Taktik der Regierung willkommen sein, die ihr einige Monate Zeit schafft, um gegen die drohende Vernichtung der Koalitionsfreiheit mobil zu machen.

Denn um nichts mehr und nichts weniger handelt es sich in dieser Vorlage. Zwar die Verheißung des Kaisers, dass, wer einen deutschen Arbeiter, der willig wäre, seine Arbeit zu vollführen, daran zu hindern versuche oder gar zu einem Streik anreize, mit Zuchthaus bestraft werden solle, erfüllt sie nicht; Zuchthausstrafe bis zu drei und gegen die Rädelsführer bis zu fünf Jahren wird nur für den Fall angedroht, dass infolge eines – nach diesem Gesetz – strafbaren Streiks „eine Gefährdung der Sicherheit des Reiches oder eines Bundesstaats eingetreten oder eine gemeine Gefahr für Menschenleben oder das Eigentum" herbeigeführt worden ist. Freilich ist diese Bestimmung dehnbar genug, um der erprobten Auslegungskunst deutscher Gerichtshöfe einen sehr weiten und selbst unbegrenzten Spielraum zu gewähren, und sie reicht vollkommen aus, um dem ganzen Produkte gesetzgeberischer Weisheit den kennzeichnenden Namen der „Zuchthausvorlage" zu lassen; immerhin liegt in ihr nicht der Schwerpunkt des beispiellosen Attentats auf die Koalitionsfreiheit des Proletariats; und es ist sehr wohl möglich, dass sie für die Attentäter nur „adminikulierendes Beiwerk" ist, sei es als höfliche Reverenz gegen die Ankündigung des Kaisers, sei es auch als Kompensationsobjekt, um durch ihre schließliche Preisgabe anderweitige Zugeständnisse von den „staatserhaltenden" Parteien zu erhandeln.

Wir sagen das nicht in irgendeinem abwiegelnden, sondern in einem durchaus aufwiegelnden Sinne, in dem Sinne, dass nicht in diesem, mit dem Ärmel ans Zuchthaus streifenden Paragraphen das eigentliche Gift des Entwurfs steckt, sondern in den anderen Paragraphen, die auf den ersten Blick harmloser aussehen, tatsächlich aber das Koalitionsrecht der Arbeiter einfach totschlagen. Der Geist, der die Vorlage beseelt, ist in einer Stelle ihrer Begründung mit jener naiven Offenheit ausgesprochen, die den Gesetzesfabrikanten des Zickzackkurses so wohl ansteht, an der Stelle nämlich, wo es heißt, dass es sich „gerade bei den Arbeitswilligen um ruhige, in die Staats- und Rechtsordnung sich schickende, für den Staat besonders nützliche Elemente handelt, welche in ihren mit den Staatsinteressen zusammenfallenden persönlichen Interessen wirksam zu schützen eine wichtige und dringliche Aufgabe der Staatsgewalt" sei. Hier wird also die schrankenlose Freiheit der Ausbeutung, die als solche nicht den entferntesten Zusammenhang weder mit der Rechts- noch mit der Staatsordnung hat, als die Staats- und Rechtsordnung des neudeutschen Reichs hingestellt; hier wird die Schmach freiwilliger Knechtschaft, worin sich entnervte oder zurückgebliebene Arbeiter ohne Mucken und Murren jeder Forderung der kapitalistischen Ausbeutung fügen, als im Staatsinteresse gefeiert; hier proklamiert sich feierlich der Barbarenstaat, dem willenlose Sklaven „besonders nützlich" sind, im Gegensatz zum Kulturstaat, dem nur mit einem ehrenvollen und ehrenwerten Ringen der arbeitenden Klassen um eine Erhöhung ihrer Lebenshaltung gedient sein kann. Nicht als ob der Verfasser dieser Sätze seine gefeierte „Staats- und Rechtsordnung" unrichtig einschätzte, gewiss nicht; er spricht die trockene Wahrheit aus, die uns weit angenehmer zu hören ist als das leere Wortgedresche, worin Bismarck sich zu gefallen pflegte, von dem „sozialen Königtum", von den „Königen der Armen" und was solchen Kauderwelsches mehr war. Aber gerade dieser Geist des eingefleischten Kapitalistenstaates, der die Arbeiter hasst und verfolgt, es sei denn, dass sie sich vor dem goldenen Kalbe des Kapitalismus platt auf den Bauch werfen, bietet den Schlüssel zum richtigen Verständnis der Zuchthausvorlage.

Die Quintessenz ihrer zehn Paragraphen besteht darin, durch eine Reihe von kautschukenen Strafandrohungen alles das zu hindern oder durch unmäßige Gefängnis- und Geldstrafen zu rächen, was zur wirksamen Durchführung eines Streiks notwendig ist. Natürlich versichert die Begründung, dass „die reichsgesetzlich gewährleistete Koalitionsfreiheit den Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern ungeschmälert erhalten bleiben" solle, aber „ungeschmälert" heißt in diesem Falle, aus dem Amtlichen ins Deutsche übersetzt: mit leeren Worten und auf dem Papier. Es gibt keine zur praktischen Durchführung eines Streiks notwendige Handlung, die nicht unter die kautschukenen Strafbestimmungen dieses Gesetzes gebracht werden könnte, und wir sind billig genug, die raffinierte Geschicklichkeit anzuerkennen, womit eine so hehre Aufgabe von den Verfassern des Entwurfs gelöst worden ist. Den näheren Nachweis müssen wir uns für spätere Gelegenheiten versparen und können es um so eher, als jeder mit der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung halbwegs vertraute Beobachter diese Bedeutung und Bestimmung der Vorlage auf den ersten Blick erkennen muss; einstweilen gilt es nur, die Arbeiter vor dem gemeingefährlichen Einbruch in den kümmerlichen Rest ihrer Rechte zu warnen. Sie dürfen sich keinen Augenblick darüber täuschen, was ihnen droht, wenn sie sich nicht sofort, mit äußerster Kraft, diesem Angriff widersetzen.

Sie dürfen auch nicht auf die Beschwichtigungshofräte der bürgerlichen Opposition hören, die sehr bald ihre Stimme erheben werden, ja teilweise schon erhoben haben. Die „Berliner Zeitung", ein Freisinnsblatt, das sich mit seinem „Radikalismus" und seiner „Arbeiterfreundlichkeit" nicht genug aufspielen kann, fügt dem Abdrucke der Vorlage die staatsmännisch gewiegte Bemerkung hinzu, dass damit allerdings gleiches Recht für Unternehmer und für Arbeiter geschaffen würde. Diese Behauptung ist schon an und für sich sehr anfechtbar, denn den Unternehmern wird in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich das Recht der schwarzen Listen gewahrt, aber selbst davon abgesehen, so muss wirklich die letzten dreißig Jahre verschlafen haben, wer noch nicht weiß, wie sich diese formelle Gleichheit auf dem Papier in der praktischen Wirklichkeit preußisch-deutscher Rechtspflege ausnimmt. Einen anderen zarten Wink gibt die Vorlage selbst, indem ihre Begründung mit der maliziösen, aber tatsächlich richtigen Bemerkung beginnt, dass der „königlich-preußische Handelsminister, Freiherr v. Berlepsch" der eigentliche Vater dieses grotesken Scheusälchens sei.

Gewiss hoffen auch wir, dass die Zuchthausvorlage dasselbe jämmerlich-klägliche Ende finden wird, das ihrerzeit die Umsturzvorlage gefunden hat. Aber wenn sich diese Hoffnung erfüllen soll, dann darf nicht ab-, sondern muss aufgewiegelt werden. Erheben sich die deutschen Arbeiter sofort mit ungestümem Nachdruck gegen das Ungetüm und machen sie jeder bürgerlichen Partei begreiflich, dass hier kein Mundspitzen hilft, sondern gepfiffen sein muss, dann wird allerdings die Zuchthausvorlage zur gewaltigen Blamage für den Zickzackkurs ausschlagen. Wenn aber nicht, dann auch nicht; lassen sich die Arbeiter durch beschwichtigende Redensarten einseifen, etwa des Kalibers, nichts werde so heiß gegessen, wie gekocht, die Zuchthausvorlage werde ja doch vom Reichstag abgelehnt werden und so weiter, dann werden sie über den Löffel barbiert werden, dann werden sie die unliebsame Erfahrung machen, dass sich in allen bürgerlichen Parteien lüsterne Hände ausstrecken, um soviel wie möglich von der Zuchthausvorlage in die Reichsgesetzsammlung zu retten.

Einfacher und klarer als je ist die proletarische Politik in diesem Falle vorgezeichnet, und sie wird so vollstreckt werden, dass den Urhebern der Zuchthausvorlage die Augen übergehen sollen.

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