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Franz Mehring 19000801 Königliches

Franz Mehring: Königliches

1. August 1900

[Die Neue Zeit, 18. Jg. 1899/1900, Zweiter Band, S. 545-548. Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 355-358]

Die Ermordung des Königs von Italien gehört zu jenen immer häufiger wiederkehrenden Blitzen, die mit ihrem grellen Scheine durch alle täuschenden Hüllen hindurch erkennen lassen, wie tief und unlöslich die kapitalistische Zivilisation immer noch oder schon wieder von unverfälschter Barbarei durchsetzt ist. Im behaglichen Trotte des industriellen Aufschwunges bilden sich viele ungescheite und auch manche siebengescheite Leute ein, es werde nun immer so lustig weitergehen, bis dann solch memento mori aus dem unergründlichen Sumpfe hervorbricht, der sich unter dem scheinbar so festen Kulturboden der modernen bürgerlichen Gesellschaft ausdehnt.

Eine feige Mordtat ist immer verächtlich, und sie ist dreimal verächtlich vom Standpunkt der Sozialdemokratie aus, die dreimal größere Achtung vor jedem Menschenleben hegt als die Leute, die kaum ein bedauerndes Achselzucken übrig haben für den sozialen Mord, in dessen Angeln sich der kapitalistische Organismus bewegt, aber die sich vor Jammer und Not nicht zu lassen wissen, wenn einmal ein gewaltsamer Tod einen König antritt. Wir bestreiten nicht, dass der gemordete König von Italien als Mensch manche gute Eigenschaft gehabt haben mag, und dem Menschen gilt unser aufrichtiges Mitgefühl; für den König als solchen haben wir nichts übrig. Die Monarchisten treiben ein sehr zweischneidiges Spiel, wenn sie den Königsmord zu einem noch abscheulicheren Verbrechen machen wollen, als jeder Mord an und für sich schon ist. Sagt man etwa mit der hergebrachten Redensart, dass im König das ganze Volk getroffen werde, so sagt man auch, dass der König für die Geschicke des ganzen Volkes haftbar sei. Legt man diesen Maßstab aber an den König Umberto an, so raubt man dem Toten die Majestät des Todes; hätte er das Volk, dessen König er war, glücklich machen können, und hätte er es doch nur zu dem gemacht, was es ist, wäre er verantwortlich für die furchtbaren sozialen Schäden, für das grauenvolle Elend, woran Italien krankt, dann wäre es jedem ehrlich denkenden und empfindenden Menschen unmöglich, an seinem offenen Grabe auch nur eine Spur sympathischen Mitgefühls aufzubringen.

Der Höfling, der um einen Mord jammert, nur weil dieser Mord ein Königsmord ist, und der Anarchist, der einen Menschen tötet, nur weil dieser Mensch ein König ist – sie sind intellektuell und im letzten Grunde auch moralisch ganz von demselben Kaliber. Es sei denn, dass man dem Anarchisten um deswillen, weil er wenigstens auch seine eigene Haut zu Markte trägt, was noch die Sache keines Höflings gewesen ist, den höheren Rang einräumen will. Es ist auch wirklich nicht die letzte Ursache der sich häufenden Königsmorde, dass die Monarchenanbetung der herrschenden Klassen heutzutage einen so ungeheuerlichen Umfang angenommen hat. Wenn die so genannten Spitzen der Gesellschaft sich anstellen, als sei alles Heil und Unheil in der Hand des Königs beschlossen, was ist dann verständlicher, als dass diese von allen Dächern gepredigte Weisheit armen und dürftigen Gehirnen einleuchtet, die des Lebens bitterste Not aus ihren Fugen gerenkt hat? Die Monarchenverhimmlung ist eine Saat, die innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft mit ihren krassen sozialen Gegensätzen in die Halme des Monarchenmordes schießt. Dagegen gibt es nur ein unfehlbares Heilmittel: die politische und soziale Aufklärung der Armen und Elenden. Die Sozialdemokratie ist nicht monarchisch gesinnt, und sie will es auch gar nicht sein, aber wider ihren Willen ist sie die sicherste Leibgarde der heutigen Monarchen geworden; wo sie mächtig ist, da können sich alle Könige der Welt für ihre Personen eines sicheren Daseins freuen.

Das sehen die Scharfmacher nun freilich nicht ein oder stellen sich wenigstens an, als ob sie es nicht einsähen. Sie sind durch die Ermordung des italienischen Königs zu neuen Taten aufgeweckt worden, wenn man es eine neue Tat nennen will, dass sie die alte abgedroschene Litanei zum hundertsten Male anstimmen. Jedoch da man jedem Tierchen sein Pläsierchen gönnen soll, wenn sonst kein Schaden dadurch geschieht, so ist nicht abzusehen, weshalb den hungrigen Gesellen das frugale Sommervergnügen nicht gegönnt werden darf. Es gibt einen Grad der Abgeschmacktheit, der auch den bösesten Willen zu paralysieren vermag, und die Attentatshetze hat allmählich diesen Grad erreicht. Gewiss, könnten die Scharfmacher dem klassenbewussten Proletariat einen Nagel ins Gehirn treiben, sie täten es lieber heute als morgen, aber da sie es vorläufig noch nicht können, und nachläufig erst recht nicht, so mögen sie sich an ihren impotenten Kapriolen ergötzen, soviel sie wollen, macht's ihnen Spaß, uns macht's keinen Kummer.

Ganz anders bemerkenswert ist natürlich die Hunnenrede des Kaisers, die durch einen wunderlichen Zufall zum politischen Tagesgespräch geworden ist, fast zur selben Zeit, als der König von Italien ein Opfer seines königlichen Berufs wurde. Die kaiserliche Aufforderung an die nach China ausrückenden Truppen, dem Vorbilde der Hunnen und ihres Königs Etzel nachzufolgen, keinen Pardon zu geben und keine Gefangenen zu machen, konnte nicht verfehlen, ein gewisses Aufsehen zu machen, was uns keineswegs ein Ausfluss der Monarchenanbetung, sondern ganz recht und billig zu sein scheint. Wem wollte dies kaiserliche Bekenntnis nicht ein großes Interesse erregen, schon um unserer Brüder im Waffenrock willen, die mit einer so zweischneidigen Losung in eine düstere und ungewisse Zukunft gesandt worden sind!

Wir gehören nicht zu den Halben und Schwachen, die dem Kaiser die Worte im Munde umdrehen möchten, und wir gehören ebenso wenig zu den Frechen und Schamlosen, die, was im Munde des Kaisers begreiflich und verständlich genug ist, ihrerseits übertreiben, um ihres eigenen Sinnes Bestialität gar herrlich zu offenbaren. Den Preisschuss dabei tut wohl der kundige Thebaner eines weltpolitischen Blattes, der ungefähr ausführte, es sei ja ganz selbstverständlich, dass die deutschen Truppen in China keine Gefangenen mit sich führen könnten und alles töten müssten, was ihnen vor die Klinge käme; deshalb sei im Ministerrat beschlossen worden, dass in China kein Pardon gegeben werden dürfe, und nichts sei natürlicher, als dass der Kaiser den nach China ausrückenden Truppen diesen Beschluss des Ministerrats mitgeteilt habe. So dass wir also in der Hunnenrede des Kaisers noch obendrein die erste echte Probe des deutschen Konstitutionalismus zu bewundern hätten. Wir erlauben uns, diesen kundigen Thebaner dem Kultusminister dringend für einen historischen Lehrstuhl an der Berliner Universität zu empfehlen. Der Mann wird es im Handumdrehen fertig bringen, dem alten Fritz als gloriose Kulturtat nachzuweisen, was dem preußischen Heros so viele gutgesinnte Historiker im Schweiße ihres Angesichts als Schandfleck abzuwaschen gesucht haben, dass er nämlich nach einer unheimlichen Sage die Verwundeten in den Lazaretten absichtlich hat umkommen lassen, um mit ihrem Transport nicht belästigt zu werden.

Wollte die bürgerliche Welt den etwaigen Anstoß, den sie an der Rede des Kaisers nahm, in ernste und würdige Worte kleiden, dann hätte sie wiederholen müssen, was Treitschke, der in seiner Art doch immer ein Mann war, bei einem ähnlichen Falle in die Worte kleidete: „Jeder menschlichen Verpflichtung ist eine Schranke gesetzt, die des Gewissens. Absolute Hingebung an einen sterblichen Menschen kann es nicht geben. Man soll nicht zu unsern Soldaten sprechen, als ob sie auch Vater und Mutter auf Befehl ihrer Vorgesetzten totschlagen müssten … Sein Gewissen kann kein denkendes Wesen opfern, darum gilt auch vom Fahneneid, dass der Fall eintreten kann, dass einer um seines Gewissens willen nicht gehorcht." Die deutschen Soldaten, die zu neun Zehnteln aus der deutschen Arbeiterklasse stammen, werden keinen Hunnenruhm aus China zurückbringen.

Sonst interessiert uns an der Rede des Kaisers zweierlei. In ihr gipfelt ein psychologischer Prozess, den man an tauben Personen als physischen Prozess beobachten kann, den beispielsweise an dem eben genannten Historiker Treitschke, der bekanntlich taub war, viele Personen beobachtet haben werden. Das der fremden Stimme nicht mehr zugängliche Ohr verliert die Kontrolle über die eigene Stimme, die immer unverständlicher wird. So ist der Kaiser durch liebedienerischen Eifer knechtischer Seelen in bildlichem Sinne taub gemacht worden, indem jede Kritik seiner öffentlichen Reden, mochte sie noch so scharf herausgefordert worden sein und sich in noch so berechtigten Grenzen bewegen, durch die Kautschukparagraphen der Majestätsbeleidigung niedergeschlagen wurde. Auf diese Weise ist die Sprache des Kaisers für das Volksempfinden immer unverständlicher geworden, so unverständlich, dass die Urheber des Unheils jetzt vor den Folgen ihres eigenen Tuns erschrecken und ängstliche Vorsorge treffen, damit die Reden, die der Kaiser für die Öffentlichkeit bestimmt, der Öffentlichkeit vorenthalten, wenigstens in ihrer ungeschminkten Offenheit vorenthalten werden. Das ist auch eine Nemesis: Die Kritik der Freien wird erschlagen, und um ihr Grab keucht, wie von Furien gepeitscht, die Kritik der Knechte.

Dann aber hat diese Rede des Kaisers das unzweideutige Verdienst festzustellen, dass zwischen der Gedankenwelt ihres Urhebers und der Gedankenwelt der deutschen Arbeiterklasse keine Versöhnung und nicht einmal eine entfernte Annäherung möglich ist. Es kommt dabei gar nicht darauf an, ob diese Gedankenwelt richtig ist oder jene; der Kaiser unterliegt unserer Zensur sowenig, wie wir der seinigen. Das hat jeder Teil mit sich selbst abzumachen. Aber unversöhnlich sind diese Weltanschauungen, sie scheiden sich wie Feuer und Wasser. Wer nach dieser Rede des Kaisers die deutschen Arbeiter noch harangieren will, sie sollten doch ihre „Utopien", das heißt ihre Prinzipien, aufgeben und sich hoffnungsvoll dem anvertrauen, was der Kaiser aus seiner Weltanschauung heraus für ihr Wohl erwäge, dem soll fortan als tötender Spiegel entgegen blinken die Rede vom König Etzel und seinen Hunnen.

Das ist vielleicht keine große Erleichterung des proletarischen Klassenkampfes, aber eine kleine ist's immerhin, und so rein geschenkt kann sie wohl mitgenommen werden. Denn lästig genug hatten sich jene verdächtigen Ratgeber in den letzten Zeiten gemacht.

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