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Franz Mehring 19010403 Kaiserliche Äußerungen

Franz Mehring: Kaiserliche Äußerungen

3. April 1901

[Die Neue Zeit, 19. Jg. 1900/01, Zweiter Band, S. 1-4. Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 387-391]

Das Treiben der brotwucherischen Scharfmacher ist neuerdings durch zwei Äußerungen des Kaisers ins schärfste Licht gerückt worden. Diese Äußerungen sind zwar nicht im Sinne des Reichstagspräsidenten verbürgt, das heißt, sie haben nicht im „Reichsanzeiger" gestanden, aber sie sind nichtsdestoweniger wahr, oder vielmehr um so wahrer.

Als das Kaiser-Alexander-Regiment am 29. vorigen Monats eine neu erbaute Kaserne in der Nähe des Schlosses bezog, hielt der Kaiser eine Ansprache an die Grenadiere, worin es hieß: „Wie eine feste Burg ragt dieses neue schöne Regimentshaus in nächster Nähe meines Schlosses. Ihr seid darum gewissermaßen die Leibwache des preußischen Königs und müsst bereit sein, Tag und Nacht, euer Leben in die Schanze zu schlagen, euer Blut zu verspritzen für euren König." Der Kaiser erinnerte dann an den Märzkampf des Jahres 1848, zu dessen Besiegten das Kaiser-Alexander-Regiment gehört hat, und fügte hinzu: „Wenn die Stadt Berlin noch einmal wie im Jahre 1848 sich mit Frechheit und Unbotmäßigkeit gegen den König erheben wird, dann seid ihr, meine Grenadiere, dazu berufen, mit der Spitze eurer Bajonette die Frechen und Unbotmäßigen zu Paaren zu treiben." Ein paar Tage darauf aber hat der Kaiser gesagt: „Ehe sie den Kanal nicht schlucken, unterschreibe ich die Zolltarife nicht, und zwar unterschreibe ich nur die, die ich will."

Der innere Zusammenhang beider Äußerungen leuchtet ein. Um die Lage der Krone gegenüber den agrarischen Ansprüchen zu verstehen, darf nur an Ausführungen erinnert werden, die an dieser Stelle schon häufiger gemacht worden sind. Das Junkertum geht ökonomisch unaufhaltsam unter, die Bourgeoisie steigt ökonomisch unaufhaltsam empor. Die Frage, ob sich die Krone auf das Junkertum oder die Bourgeoisie stützen will, wird von Jahr zu Jahr brennender. Ihre endgültige Lösung ist bisher durch eine Politik verschoben worden, die auf Kosten der arbeitenden Klassen die Taschen sowohl des Junkertums wie der Bourgeoisie voll stopfte. Aber mit dieser Politik lässt sich nicht in Ewigkeit fortwursteln. So grenzenlos schwach sich die deutsche Bourgeoisie gegenüber dem ostelbischen Junkertum gezeigt hat, sowenig eine Grenze für ihre Nachgiebigkeit zu existieren scheint, so sind schließlich die Dinge doch mächtiger als die Menschen. Je höher das Wasser den Junkern an den Hals steigt, umso maßloser werden ihre Forderungen, umso tiefer schneiden diese Forderungen in die Lebenswurzeln des Reiches ein. Ein großer Industriestaat erträgt weder die Auspowerung der arbeitenden Klassen bis aufs letzte Mark ihrer Knochen, noch die tödliche Gefährdung seiner Handelsbeziehungen zum Ausland. Die Krone müsste von jedem Instinkt der Selbsterhaltung frei sein, wenn sie diese Gefahr nicht empfände, wenn sie nicht fühlte, wie schwer ihre Interessen durch die Brotwucherpläne der Junker bedroht sind. Es war ganz passend, wenn der Reichskanzler seine Sympathie für die Agrarier damit begründete, dass er ja selbst der Sprössling eines ostelbischen Krautjunkergeschlechtes sei, während es nicht minder der Sachlage entspricht, dass der Kaiser das geflügelte Wort vom „Brotwucher" geprägt hat.

Gleichwohl wird es der Krone sehr schwer, sich von dem Junkertum zu trennen. Mehr als ein preußischer König hat sich die Vormundschaft der Junker abzuschütteln gesucht, aber wenn es zum Klappen kam, wenn es galt, auf dem Rhodus der Bourgeoisie zu tanzen, dann fiel die Entscheidung doch immer zugunsten des Junkertums. Die „Neue Rheinische Zeitung" schrieb darüber im November 1848: „Die Krone erblickt in den Elementen der alten feudalen Gesellschaft, deren höchster Auswuchs sie ist, ihren wahren einheimischen gesellschaftlichen Boden, während sie in der Bourgeoisie eine fremde künstliche Erde erblickt, von der sie nur getragen wird unter der Bedingung, zu verkümmern. Die berauschende Gnade Gottes verwandelt die Bourgeoisie in einen ernüchternden Rechtstitel, die Herrschaft des Blutes in die Herrschaft des Papiers, die königliche Sonne in eine bürgerliche Lampe." Es sind aber keineswegs nur diese moralischen Imponderabilien, sondern auch sehr materielle Hindernisse, die der Emanzipation der Krone vom Junkertum entgegenstehen; ein konservativer Schriftsteller schreibt einmal: Es gibt im preußischen Staate eine Macht, die mehr zu sagen hat als der König, und diese Macht ist das preußische Offizierskorps. Woher sich aber dies Offizierskorps rekrutiert, braucht nicht erst gesagt zu werden.

Die schwierige Lage der Krone wird nun von dem Junkertum mit all der Rücksichtslosigkeit ausgenützt, die diesen braven Patrioten von jeher eigen gewesen ist. Sie spannen so viele Stränge auf ihren Bogen, als sie können; sie halten die Kanalvorlage auf, obgleich sie wissen, dass der Kaiser sie wünscht, und weil sie wissen, dass die Industrie sie braucht; im äußersten Falle wollen sie diesen Preis nur zahlen, wenn dafür all ihre brotwucherischen Forderungen bewilligt werden. Zugleich aber suchen sie die Krone mit allen übrigen Schichten der Nation, und in erster Reihe mit ihrer großen Masse, mit den arbeitenden Klassen, unheilbar zu überwerfen, damit die Krone sich ganz und gar in die Arme des Junkertums werfe; zu diesem Behufe malen sie das rote Gespenst an die Wand, und selbst die Eisenlasche, die in Bremen einem unzurechnungsfähigen Epileptiker aus der Hand geflogen ist, dient den frommen Kreuzfahrern für Thron und Altar dazu, Schreckgespenster heraufzubeschwören, an die sie selbst natürlich so wenig glauben, wie sie sich eifrig bestreben, die Krone daran glauben zu machen. Sie benützen die Tatsache, dass sich aus ihren Kreisen die Umgebung des Kaisers bildet, unermüdlich dazu, dem Träger der Krone Mordsgeschichten zu erzählen, deren genügende Kontrolle für ihn selbst, dank seiner Stellung, die ihm nicht ermöglicht, sich in der freien Öffentlichkeit zu bewegen, ausgeschlossen oder doch sehr erschwert ist.

So erklären sich jene beiden Äußerungen des Monarchen, die in diesen Tagen so viel von sich reden machen. Die Krone empfindet schwer den Belagerungszustand, den das Junkertum über sie verhängt, aber da sie nach Lage der Dinge mit den Belagerern nicht reinen Tisch machen kann oder will, so verfällt sie doch wieder dem Banne ihrer alten Überlieferungen. Es ist nicht unseres Amtes zu untersuchen, ob diese Politik der Krone von ihrem historisch-politischen Standpunkt richtig ist oder nicht; wir sind keine Monarchisten und drängen unsere Ansicht da nicht auf, wo wir kein Recht haben, sie zu äußern. Für uns kann es sich nur darum handeln, die politischen Konsequenzen zu ziehen, die sich für unsere Parteianschauungen aus den kaiserlichen Äußerungen ergeben.

Wenn irgendwo, so werden die Worte des Kaisers im nationalsozialen Lager ausgenützt werden, um den deutschen Arbeitern zu zeigen, wo Barthel den Most holt. Wir hören diese guten Leute und schlechten Musikanten schon predigen: Da habt ihr's schwarz auf weiß; der Kaiser will die Junker gern los sein, aber solange die Arbeiterklasse in ihrem kindischen revolutionären Trotze beharrt, kann er sie nicht loswerden; also mögen die Arbeiter nun in die Hände der Krone abdanken, dann sind wir die Junker los, und das tausendjährige Reich bricht an. Wenn diese Rechnung nicht ein großes Loch hätte, wäre sie gewiss ganz glatt. Soweit die Krone die Kanalvorlage will und den Brotwucher nicht will, kann sie auf die Unterstützung der Arbeiterklasse zählen; das ist jedem Politiker und zweifellos auch der Krone bekannt. Wenn die Krone gleichwohl zögert, sich von dem Junkertum zu trennen und ihm trotz alledem so viel Glauben und Vertrauen schenkt, um sich den Sorgen zu überlassen, die der Kaiser in der Ansprache an das Alexander-Regiment angedeutet hat, so geschieht es aus dem nicht unrichtigen Gefühl, dass ein Bruch mit dem Junkertum die allgemeine Stellung der Krone gründlich verändern, alle feudal-legitimen Schleier zerreißen und in einen ernüchternden Rechtstitel verwandeln würde, was jetzt wenigstens noch den Schein von berauschender Gnade Gottes haben mag. Diesen Schein vermag aber die Arbeiterklasse der Krone nicht zu garantieren, das vermag selbst nicht einmal die Bourgeoisie, und in der Tat können nur politisch einflusslose und deshalb aller politischen Verantwortung bare Gruppen, wie das nationalsoziale Häuflein, mit derartigen Phantasien spielen.

Für jeden praktischen Politiker bestätigen die beiden Äußerungen des Kaisers, die sozusagen in einem Atem getan sind, vielmehr nur die gewiss nicht neue, vielmehr schon recht altbackene, aber deshalb doch nicht oft genug einzuschärfende Wahrheit, dass alle Rechnungsträgerei, alles Spekulieren auf den Wind, der bei Hofe wehen mag, im günstigsten Falle die reine Zeitverschwendung ist. Das Königtum ist eben auch eine Klasse, die nach ihren Interessen handelt; hätte diese Tatsache noch eines Beweises bedurft, so würde ihn die Ansprache des Kaisers an das Alexander-Regiment geliefert haben; die Krone steht so wenig über dem Klassenkampf, dass sie noch nach dreiundfünfzig Jahren die Märzkämpfe nicht vom historischen, sondern vom Klassenstandpunkt aus betrachtet. Darin liegt kein Vorwurf, nicht einmal ein versteckter Vorwurf; im Gegenteil, wir sind mit dieser Praxis im höchsten Grade einverstanden und können nur wünschen, dass jede andere Klasse ebenso frei und offen mit der Sprache herausgehen möge. Das wäre ein ganz wesentlicher Fortschritt unserer politischen Entwicklung.

Es ist ganz in der gewohnten, schon vom alten Ziegler verspotteten Manier der Bourgeoisie, wenn ihre Organe auf die der Stadt Berlin vom Kaiser zugemutete Möglichkeit nur mit der bekannten Wendung zu antworten wissen: „Gnädiger Herr, entschuldigen Sie, aber das haben wir wohl nicht verdient." Die Bourgeoisie mag ihre Seele ganz frei wissen von allem Gelüste nach Barrikadenbauen, aber sie konnte sagen: andere Zeiten, andere Waffen, und im Übrigen den Vergleich mit den tapferen Märzkämpfern als für sie recht schmeichelhaft empfinden. Auch vermögen wir uns sehr wenig damit zu befreunden, dass die Ansprache des Kaisers an das Alexander-Regiment benutzt wird, um an die „Frechheit" und „Unbotmäßigkeit" zu erinnern, die das Junkertum oft genug der Krone bewiesen hat. Das mag ganz gut sein, um die agrarischen Scharfmacher abzutrumpfen, aber weiter hat es erstens keinen Zweck, während es zweitens der Auffassung, als sei jeder Widerstand gegen die Krone „Frechheit" und „Unbotmäßigkeit", auf halbem Wege entgegenkommt. Von seinem monarchischen Klassenstandpunkt, vom Standpunkt der Gnade Gottes aus nennt der Kaiser die Märzkämpfer „Freche" und „Unbotmäßige", aber gerade weil das vollkommen in der Ordnung ist, muss ebenso ordnungsgemäß hervorgehoben werden, dass wir von unserem Klassenstandpunkt aus in den Märzkämpfern unvergessliche Blutzeugen der Volkssache und Männer erblicken, deren Andenken der deutschen Nation fort und fort teuer sein wird. Gewiss, sie haben sich gegen den damaligen König mit den Waffen in der Hand erhoben und die Spitzen der Bajonette gebrochen, die er gegen sie sandte, aber das war ihre historische Pflicht und ihr historisches Recht; sie haben sich wohlverdient ums Vaterland gemacht.

Herrschende Klassen sind niemals sentimental, was zu ihren unbestreitbaren Vorzügen gehört. Sie verlieben sich nie in schöne Augen und lassen sich nie mit schönen Redensarten abspeisen, sondern wissen ganz genau, mit wem sie zu tun haben. Mit ihrer ewigen Kriecherei vor der Krone hat die Bourgeoisie glücklich erreicht, dass die Krone ihr ungleich abgeneigter ist als den Junkern, die viel mehr Haare auf den Zähnen haben. Hätten die Junker nichts Schlimmeres auf dem Kerbholz, als dass sie dem Königtum je nachdem auch die raue Seite zu zeigen wussten, so wäre ihnen nicht viel Böses nachzusagen oder doch nur insofern, als sie die durch ihre „Frechheit" und „Unbotmäßigkeit" gewonnene Macht für schlimme Zwecke benützt haben.

Nach einem durchaus zutreffenden Gemeinplatz soll man den Scharfmachern ihr Spiel nicht erleichtern. Aber ebendeshalb! Man erleichtert es am kräftigsten durch den Schein, als ob die bedrohte Klasse die Umtriebe ihrer Verfolger fürchte. Ein solcher Schein würde aber entstehen, wenn man die kaiserliche Ansprache an das Alexander-Regiment mit einer harmlosen Unschuldsmiene beantworten wollte, als seien nur Junker je „frech" und „unbotmäßig" gegen die Krone gewesen. Es ist vielmehr prinzipielle zugleich und praktische Politik, zu jener Ansprache zu sagen: Soviel Klassen, soviel Sinne, und wir halten das Andenken der Märzkämpfer hoch, weil sie den Willen der Krone zerbrochen haben wie Glas, als er sich dem Wohle des Volkes nicht beugen wollte.

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