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Franz Mehring 19111009 Schloss und Rathaus

Franz Mehring: Schloss und Rathaus

9. Oktober 1901

[Die Neue Zeit, 20. Jg. 1901/02, Erster Band, S. 33-36. Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 427-431]

Seitdem wir vor einem Vierteljahr an dieser Stelle über den Fall Kauffmann gehandelt haben, ist der Krieg zwischen Schloss und Rathaus in hellen Flammen aufgelodert. Zu dem Falle Kauffmann sind noch zwei andere Fälle getreten, die mit ihm gemeinsam haben, dass alles Recht auf Seiten des Rathauses und alles Unrecht auf Seiten des Schlosses ist: die Frage der Märchenbrunnen und die Frage, ob die Linden durch eine Linie der elektrischen Bahn überquert werden sollen.

Alle drei Fälle liegen einfach genug, doch am einfachsten der Fall der Märchenbrunnen. Dem von der Krone erhobenen, aus einer rein subjektiven Ästhetik entflossenen Einspruch gegen die Aufstellung einiger vom Stadtbaurat Hoffmann entworfener und mit Gestalten des deutschen Märchens geschmückter Brunnen auf den Kinderspielplätzen des Friedrichshains fehlt selbst jede Handhabe formalen Rechtes; die städtischen Behörden brauchen nur den Weg des Verwaltungsstreitverfahrens zu beschreiten, und sie können den unzulässigen Eingriff in ihre Befugnisse siegreich zurückschlagen. Freilich soll man sich vor jeder apodiktischen Prophezeiung hüten, wo die letzte Entscheidung in der Hand deutscher Gerichtshöfe liegt; immerhin aber ist dieser Fall so geartet, dass selbst Blätter, wie die „Post", die sonst das größte und von ihnen auch gar nicht verheimlichte Interesse daran haben, Schloss und Rathaus miteinander zu überwerfen, doch einigermaßen ängstlich geworden sind und dringend davor warnen, in der Frage der Märchenbrunnen den Bogen zu überspannen, da er sonst den unbedachten Schützen schwer verwunden könne.

Zum Glücke für die Scharfmacher ist man im Rathaus tief von der Weisheit durchdrungen, dass ein Topf von Ton immer gut tut, sich zu bescheiden, wenn ein Topf von Eisen an ihn stößt. Wie der „Reichsanzeiger" von gestern Abend meldet, sind der Oberbürgermeister Kirschner und der Stadtbaurat Hoffmann vom Kaiser empfangen worden, und so liegt die Vermutung nahe genug, dass in dieser Audienz irgendeine Einigung über die Märchenbrunnen getroffen worden ist. Es sähe unseren Hochmögenden ganz ähnlich, wenn sie in einem Falle, wo sie in aller Form rechtens die Antastung der Selbstverwaltung empfindlich genug zurückweisen könnten, sich zu einem Kompromiss bequemt hätten. Einen Sinn selbst von ihrem Standpunkt hätte solch Kompromiss doch nur in dem Falle, dass die anderen beiden Streitpunkte auf dem gleichen Wege beglichen würden, aber davon steht nichts geschrieben; die Gegenseite denkt gar nicht daran, auch nur ein Titelchen ihres formalen Rechtes aufzugeben, und wie in Sachen der Lindenüberquerung dem Oberbürgermeister eine Audienz beim Kaiser verweigert worden ist, so hat der Oberpräsident der Provinz Brandenburg in Sachen der Bürgermeisterwahl den Magistrat eben jetzt in der brüskesten Weise beschieden.

In diesen beiden Fällen kann das Schloss wenigstens ein formales Recht für sich geltend machen, wenngleich es das Recht nur geltend macht im Widerspruch mit den verfassungsmäßigen Beratern der Krone. Die städtischen Finanzen sind schwer belastet worden, weil die städtischen Behörden sich auf die Zusicherungen der zuständigen Regierungsorgane verlassen haben, wonach die Überquerung der Linden gestattet werden würde. Insoweit fällt die Hauptschuld auf die staatlichen Instanzen, die nicht der politischen Ehren gewesen sind, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, wenn das, was sie in Ausübung ihrer Amtspflicht getan haben, durch ein sic volo, sic jubeo für null und nichtig erklärt wird. Das alte Wort: Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist! muss im preußisch-deutschen Reiche heute umgewandelt werden in den Satz: Wehe dem Lande, dessen Minister und Präsidenten willenlose Gliederpuppen sind! Gegen das, was die Ära Bülow in diesem Punkte leistet, waren selbst die Minister des alten Fritz antike Charaktere. Allein mit alledem werden die städtischen Behörden nicht entschuldigt, wenn sie sich mit einer lendenlahmen Resolution von der Wand zu lösen suchen, an die sie in dieser Sache gedrückt worden sind, und es geschieht ihnen schon ganz recht, dass der Oberpräsident von Brandenburg ihnen in der Bürgermeisterfrage nun mit aller Vehemenz den Stuhl vor die Tür setzt.

Scheinbar hat die Stadtverordnetenversammlung eine gewisse Mannhaftigkeit gezeigt, indem sie den durch die Krone nicht bestätigten Stadtrat Kauffmann ziemlich einstimmig wieder wählte. Allein wir sagten schon, als wir den Fall Kauffmann im Juli an dieser Stelle besprachen: bloßen Demonstrationen, die man mit dem Vorbehalt macht, schließlich doch nachzugeben, wäre die sofortige Unterwerfung vorzuziehen. Schon die schönen Reden, mit denen die Wiederwahl Kauffmanns begleitet wurde, konnten einem übel machen. Man stellte sich an, als sei die Nichtbestätigung Kauffmanns ein bloßes Versehen, eine augenblickliche Gedächtnisschwäche der Krone, die mit einer alleruntertänigsten Vorstellung zu berichtigen sei; man schnitt Bücklinge und Komplimente, die den erfahrensten Hofmarschall hätten beschämen können, und erging sich in wortreicher sittlicher Entrüstung gegen die konservativen Blätter, die eine Wiederwahl Kauffmanns als einen gegen die Krone gerichteten Akt der Opposition denunziert hatten. Als ob diese Wiederwahl sonst nur irgendeinen Sinn gehabt hätte, wenn sie nicht eine Fehdeansage an die Krone sein sollte. Hat sich die Stadtverordnetenversammlung oder ihre bürgerliche Mehrheit wirklich eingebildet, durch die Wiederwahl Kauffmanns, und nun gar durch eine Wiederwahl in diesen Formen, seine Bestätigung herbeiführen zu können, so müsste man fast auf den Verdacht geraten, dass die ewige Byzantinerei schon die gesunde Funktion ihrer fünf Sinne beeinträchtigt habe.

Die eigentlichen Macher rechneten wohl so, dass heutzutage im preußischen Staate alles möglich und das psychologisch Unwahrscheinlichste das tatsächlich Wahrscheinlichste sei. Darüber ist auch wirklich mancherlei Gemunkel umgegangen, wie höfisch gesinnte Blätter zeigten, die eine Bestätigung des wieder gewählten Stadtrats Kauffmann in den Bereich der Möglichkeit rückten. Ohne Zweifel hätte die Regierung auch nichts Gescheiteres tun können, als diese Bestätigung nunmehr zu veranlassen. Sie konnte die Berliner Bourgeoisie für Jahrzehnte in die Tasche stecken, wenn sie ihr die wohlfeile Täuschung eingeflößt hätte, dass der bürgerliche „Männerstolz vor Königsthronen" einen Erfolg gehabt, dass eine „gesinnungstüchtige Opposition" die „Achtung der Krone" gefunden hätte. Die Knechtseligkeit der Bourgeoisie hätte sich in den extravagantesten Purzelbäumen überboten, wenn sie so hätte renommieren können. Aber das sollte nun nicht sein, und wenn man den modernen Absolutismus nach seinen psychologischen Voraussetzungen richtig würdigt, so konnte es freilich auch nicht sein. Es ist vielmehr so gekommen, wie man nach allen Regeln der Logik erwarten musste; je tiefer sich die Bourgeoisie in den Staub warf, desto härter spürt sie nun den Fuß im Nacken.

Ihr aufdringlicher Bittgang ist schon an der Schwelle abgewiesen worden, so dass sie ihren Kniefall an den Stufen des Thrones nicht einmal äußerlich hat vollziehen können. Der brandenburgische Oberpräsident weigert sich, die Wiederwahl des Stadtrats Kauffmann überhaupt zur Kenntnis der Krone zu bringen; er beruft sich dabei auf gewisse Bestimmungen der preußischen Städteordnung, die aus ihren etwas besseren Anfängen von der Reaktion der fünfziger Jahre zu einem ebenso dehnbaren Kautschuk zurechtgeschustert worden ist, wie gleichzeitig die preußische Verfassung. Man kann wohl heraus tüfteln, dass der Oberpräsident bei seinem Vorgehen durch ihren Wortlaut nicht gedeckt sei, obschon die Sache keineswegs zweifelsfrei ist, aber es wäre überflüssig zu sagen, wie lächerlich sich der kommunale Freisinn machen würde, wenn er sich hierauf steifen und einen ausdrücklichen Bescheid der Krone verlangen wollte, was ihm einzelne seiner Organe raten. Mag es mit der formalen Berechtigung des oberpräsidentlichen Bescheids stehen, wie es will, so ist doch klar, dass diese Form gewählt worden ist, um die überschwänglichen Loyalitätsbezeugungen der bürgerlichen Stadtverordnetenmehrheit so schroff abzutrumpfen, wie nur immer möglich; jetzt noch einmal demütig um Auskunft bitten, ob die applizierte Ohrfeige wirklich eine Ohrfeige oder vielleicht doch nur ein zärtliches Streicheln der Hand sein sollte, hieße einen moralischen Selbstmord begehen. Da sind andere freisinnige Blätter in all ihrer Feigheit doch würdiger oder weniger unwürdig, wenn sie einfach erklären, man sollte nunmehr die Kandidatur Kauffmann fallenlassen und zum zweiten Bürgermeister einen Mann wählen, von dem man sich vorher vergewissert habe, dass er die Bestätigung der Krone erlangen werde.

Dies wird denn auch zweifellos das Ende vom Liede sein, wobei wenig darauf ankommt, ob man sich sofort zu dieser Enthauptung der berühmten Selbstverwaltung entschließt oder aber erst eine Weile über die peinliche Geschichte Gras wachsen lässt. Es ist genauso geworden, wie sich ohne besonderen Scharfsinn vorhersagen ließ: Die Wiederwahl Kauffmanns war nützlich, notwendig und rühmlich, wenn sie die Einleitung zu einem offenen Kriegszustand zwischen Schloss und Rathaus sein sollte; sie war schädlich, überflüssig und eine byzantinische Rodomontade, wenn sie nur ein Appell von dem „schlecht unterrichteten" an den „besser zu unterrichtenden König" war. Es sind längst nicht mehr die Könige, deren Unglück es ist, die Wahrheit nicht hören zu wollen, oder sie sind es doch nicht mehr in erster Reihe. Gerade dies ist das Pech der Bourgeoisie, und namentlich der deutschen Bourgeoisie, die sich immer wieder blauen Dunst vormacht, nur um ja die raue Wirklichkeit nicht zu sehen, deren Anforderungen sie längst nicht mehr gewachsen ist.

An und für sich hat, wie wir schon in unserem Artikel über den Fall Kauffmann hervorhoben, das Rathaus den Krieg mit dem Schlosse durchaus nicht zu fürchten. Der Schwerpunkt der Stadt Berlin liegt längst nicht mehr darin, dass sie Haupt- und Residenzstadt ist; diese Würde macht ihr nur Bürde, und sie wäre lästiger Fesseln und Rücksichten überhoben, wenn sie aufhörte, es zu sein; das etwaige Jammern des Philisters, der sich nicht mehr im entfernten Abglanz höfischen Glanzes sonnen könnte, zählt heutzutage doch nicht mehr mit. Umgekehrt bedarf die Krone eines Zentralisationsapparats, wie ihn ihr nur eine mächtige Stadt bietet, und wenn beide Teile sich einmal darauf legen wollten, einander das Leben unbequem zu machen, so würde sich sehr bald zeigen, wer die tatsächlich stärkere Hand besitzt. Ehedem hatte die Krone davon auch ein sehr deutliches Bewusstsein, und sie hütete sich, die formalen Machtmittel, die ihr eine rückständige Gesetzgebung in die Hand gibt, rücksichtslos gegen die Stadt zu gebrauchen; soll dem nun anders werden, so liegt es allein in dem Willen der Stadt, ihre ungleich stärkeren Machtmittel den Gegnern sehr fühlbar zu machen.

Freilich um diese Machtmittel zu entfalten, müsste sie sich auf das Proletariat stützen, und ebendieser Umstand erklärt, weshalb sich in der Berliner Bourgeoisie die angeborene und angeerbte Angst ihrer Klasse zu einem schier unglaublichen Extrem gesteigert hat. Sie weiß sehr wohl, dass, wenn sie eine halbwegs mannhafte Haltung gegen das Schloss beobachtete, die Arbeiterklasse sie mit aller Kraft unterstützen, aber sie weiß ebenso gut, dass unter dem Drucke dieser Kraft ihr eigenes verfaultes Regiment ganz von selbst zusammenbrechen würde. Darauf will und kann sie es auch am Ende nicht ankommen lassen, und deshalb nimmt sie die härtesten Anfeindungen von oben schließlich als sozusagen freundschaftlich-kameradschaftliches Ohrenzupfen entgegen, nur um nicht einen Bundesgenossen aufrufen zu müssen, dessen wohlwollender Händedruck ihre morschen Knochen zermalmen würde.

Dieser Zusammenhang nimmt denn auch den Triumphen des modernen Absolutismus ihren Stachel. Sie können Leuten, die noch ein Rückgrat besitzen, das Blut sieden machen, aber sie können nicht die tröstliche Erkenntnis verdunkeln, dass der absolutistische Koloss tönerne Füße hat. Der moderne Absolutismus kann sich nur ausrecken, weil die moderne Bourgeoisie lahm gelegt ist durch eine unwiderstehlich heranwachsende Macht, die dem Schlosse wie dem Rathaus den Krieg macht und stets machen wird nach dem erprobten Grundsatz: à la guerre comme à la guerre1.

1 à la guerre comme à la guerre (franz.) - im Krieg (wird) wie im Krieg (gehandelt), d. h., im Krieg wird scharf geschossen.

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