Franz Mehring‎ > ‎1903‎ > ‎

Franz Mehring 19030819 Eine Partei- und Pressfrage

Franz Mehring: Eine Partei- und Pressfrage

19. August 1903

[Die Neue Zeit, 21. Jg. 1902/03, Zweiter Band, S. 641-645. Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 589-593]

Der Bericht des Parteivorstandes an den Parteitag zu Dresden ist eben erschienen. Im allgemeinen bietet er ein höchst erfreuliches Bild der gewaltigen Fortschritte, die der Siegeszug der deutschen Sozialdemokratie seit dem vorjährigen Parteitag in München gemacht hat; im besonderen berührt er einzelne Punkte, über die keine vollkommene Übereinstimmung innerhalb der Partei besteht. Unter diesen Punkten ist namentlich die Ansicht, die der Parteivorstand am 2. März dieses Jahres über die Mitarbeit sozialdemokratischer Schriftsteller an bürgerlichen Pressorganen kundgegeben hat, mit einer gewissen Erregung diskutiert worden; sie hat mehr oder minder heftige Angriffe erfahren als ein Attentat auf das Recht der freien Meinungsäußerung oder welche unantastbaren Menschenrechte sonst noch, und es mag deshalb versucht werden, die wesentlichen Gesichtspunkte, die bei der Entscheidung dieser Frage mitspielen, einmal kurz zusammenzufassen.

Beginnen wir mit einem Satze, über den keine Meinungsverschiedenheit innerhalb der Partei bestehen wird, mit dem Satze nämlich, dass die Mitarbeit sozialdemokratischer Schriftsteller an bürgerlichen Pressorganen, die außerhalb des politischen Parteienkampfes stehen, also an Organen, die der Kunst oder der Technik oder der Wissenschaft gewidmet sind, keinen Bedenken unterliegt. Es können freilich auch hier Fälle vorkommen, in denen gewisse Bedenken sich aufdrängen, allein es werden immer nur Ausnahmefälle sein, für die der Satz gilt: Minima non curat praetor, für beiläufige und gelegentliche Ausnahmefälle lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Nicht minder klar als dieser erste ist dann der zweite Satz, dass die Mitarbeit sozialdemokratischer Schriftsteller an solchen bürgerlichen Organen, die den öffentlichen und offenen Kampf für bürgerliche Parteien führen, also auch mehr oder weniger gegen die Sozialdemokratie, aus moralischen und politischen Gründen ausgeschlossen ist. Kein Parteigenosse darf Mitarbeiter oder Redakteur der „Kreuz-Zeitung" oder der „Germania" oder der „Freisinnigen Zeitung" oder der „National-Zeitung" sein: Dieser Satz ist von einer so verblüffenden Klarheit, dass es beinahe schon lächerlich ist, ihn überhaupt auszusprechen, zumal da alle diese Blätter sich hüten werden, einem Parteigenossen ihre Spalten zu öffnen und die Propaganda sozialdemokratischer Grundsätze zu gestatten. Ausnahmen mag es auch von dieser Regel geben, wie denn unter den Ausnahmezuständen, die das Sozialistengesetz geschaffen hatte, einzelne Parteigenossen im Interesse der Partei an Organen der bürgerlichen Linken mitgearbeitet haben, allein die Regel wird durch diese Ausnahme nur bestätigt, und daran, dass die Mitarbeit an den ausgesprochenen Parteiorganen der bürgerlichen Presse für sozialdemokratische Schriftsteller unschicklich sei, besteht unseres Wissens in der Partei kein Zweifel.

Mit diesen Sätzen scheint nun die Frage überhaupt erschöpft zu sein. Allein unter den mancherlei Wunderdingen, die der Kapitalismus vollbracht hat, steht nicht in letzter Reihe die so genannte parteilose oder unparteiische Presse, die Lassalles brandmarkendes Wort, dass die bürgerlichen Pressorgane nur Kapitalanlagen und Geldspekulationen seien, zur höchsten Vollendung gebracht, die selbst den letzten Schein abgestreift hat, als wolle sie Bildnerin und Lehrerin des Volkes sein, die, ebendeshalb weil sie selbst auf jedes Rückgrat verzichtet, allen Parteirichtungen die offene Aussprache in ihren Spalten gewähren zu wollen erklärt. Diese Presse ist das äußerste Maß von geistiger Gehirn- und Knochenerweichung, zu der es der Kapitalismus bisher gebracht hat; sie verzichtet auf jedes Ideal und jedes Prinzip, weil auch das verschwommenste Ideal und das schwächlichste Prinzip dem schrankenlosen Umtriebe der Geldschlagemaschine noch eine gewisse Fessel anlegt.

Wie über diese Presse vom sozialdemokratischen Standpunkt aus zu urteilen ist, das hat Lassalle schon vor vierzig Jahren mit den Worten gesagt: „Wenn jemand Geld verdienen will, so mag er Cotton fabrizieren oder Tuche oder auf der Börse spielen. Aber dass man um schnöden Gewinnstes willen alle Brunnen des Volksgeistes vergifte und dem Volke den geistigen Tod täglich aus tausend Röhren kredenze – es ist das höchste Verbrechen, das ich fassen kann." Auf diesem Standpunkt steht die Sozialdemokratische Partei auch heute noch. In Tausenden von Arbeiterversammlungen wird jahraus jahrein vor dieser parteilosen Presse als einem gemeingefährlichsten Auswuchs des Kapitalismus, als einer giftigsten Gegnerin der Arbeiterbewegung gewarnt; Hunderte von Malen ist es im „Vorwärts" und anderen Parteiblättern den Arbeitern und nun gar den gewerkschaftlich oder politisch organisierten Arbeitern als eine moralische und politische Blöße angerechnet worden, diese Presse durch ihr Abonnement zu unterstützen. Und mit vollem Rechte; denn unter allen Klassen der Bevölkerung wird die so genannte parteilose Presse gerade der Arbeiterklasse am gefährlichsten, weil sie gerade nur in dem verrottetsten Sumpfe des Kapitalismus wuchert und wuchern kann, weil sie deshalb trotz ihrer angeblichen Parteilosigkeit immer die kapitalistischen Interessen verficht, weil sie sich von den ehrlichen Organen der Klassenherrschaft nur dadurch unterscheidet, dass sie den Giftstoff, den diese wenigstens offen verbreiten, so dass sich jeder vor ihm hüten kann, heimlich in die Adern des Volkes gießt.

Wenn nun die Sozialdemokratische Partei eine solche Stellung zu der so genannten parteilosen Presse einnimmt, so ist es gleichwohl allein die Frage, ob sozialdemokratische Schriftsteller an dieser Art Presse mitarbeiten dürfen, die zu der Kundgebung des Parteivorstandes vom 2. März geführt hat. Weder die Mitarbeit von Parteischriftstellern an bürgerlichen Organen der Kunst oder Wissenschaft noch an ausgesprochenen Organen bürgerlicher Parteirichtungen hat bisher irgendwelche Meinungsverschiedenheiten in der Partei veranlasst. Einzig und allein um die Frage, ob Parteischriftsteller an bürgerlichen Pressorganen mitarbeiten dürfen, auf die zu abonnieren den Parteigenossen von Partei wegen schon als eine Art Schande angerechnet wird, handelt es sich tatsächlich bei der ganzen Auseinandersetzung. Man braucht die Frage nur klar und scharf zu stellen, um sofort die richtige Antwort zu haben.

Verweilen wir jedoch einen Augenblick bei den Gründen, die zugunsten jener Mitarbeit geltend gemacht worden sind. Da wird zuerst das Recht der freien Meinungsäußerung ins Feld geführt; es komme darauf an, was ein sozialdemokratischer Schriftsteller veröffentliche, nicht aber, wo er es veröffentliche. Der Trugschluss dieser Sätze liegt auf der Hand. Wer sich einer Partei anschließt, verzichtet auf das Recht der freien Meinungsäußerung, soweit es der Disziplin und dem Programm dieser Partei widerstreitet: Nicht weil ihn die Partei dazu zwänge, sondern weil er sich selbst durch den Eintritt in die Partei diese Schranke anerlegt. Sonst könnte ja nach dem Rechte der freien Meinungsäußerung ein Parteischriftsteller in der „Germania" ultramontane oder in der „Kreuz-Zeitung" feudale Ansichten veröffentlichen. Die ganz selbstverständliche Einschränkung des Rechtes der freien Meinungsäußerung, die sich jeder Schriftsteller durch den Eintritt in eine Partei auferlegt, wird ja nun auch in Bezug auf das Was anerkannt, allein es ist klar, dass sie prinzipiell mit demselben Rechte für das Wo gilt. Entweder soll das Recht der freien Meinungsäußerung ganz unumschränkt gelten, und dann muss den Parteischriftstellern auch erlaubt sein, irgendwelche reaktionäre Artikel in irgendwelchen reaktionären Blättern zu schreiben, oder es soll nur in der Einschränkung gelten, die ihm durch die Parteizugehörigkeit gezogen wird, und dann kann sich die Partei ebenso wie das Was, auch das Wo verbitten, dann kann sie dem Parteischriftsteller sagen: Sowenig wie du gegen die Partei schreiben darfst, sowenig darfst du die Parteipropaganda an Orten treiben, wo sie nach Lage der Dinge die politisch noch unaufgeklärten Arbeitermassen nur verwirren und die kapitalistischen Umtriebe nur fördern kann.

Wir kommen damit zu einem zweiten Einwande, zu der Behauptung, dass die Mitarbeit sozialdemokratischer Schriftsteller an der parteilosen Presse Propaganda für die Partei mache. Soweit es auf die Arbeiter ankommt, ist gerade das Gegenteil richtig; eben dadurch, dass sozialdemokratische Schriftsteller an jener Presse mitarbeiten, wird eine verhängnisvolle Täuschung weiter Arbeiterkreise aufrechterhalten. Wenn aber von einer propagandistischen Wirkung auf bürgerliche Kreise gesprochen wird, so ist es eine eigentümliche Naivität, eine solche Wirkung von Artikeln zu erwarten, die unter – kapitalistischer Zensur erscheinen. Denn so liegt die Sache. Die parteilose Presse will gute Geschäfte machen, und sie ist vorurteilsfrei genug, für diesen Zweck auch sozialdemokratische Artikel zu benützen. Aber sie wird sich hüten, dieses Feuerungsmaterial in einem Umfang zu verwenden, das ihre Geldschlagmaschinen überheizen könnte. So dumm ist sie wirklich nicht. Sie spielt mit den sozialdemokratischen Schriftstellern, die für sie arbeiten, aber sie würde es sich sehr energisch verbitten, wenn diese mit ihr spielen wollten. Deshalb ist es auch ein, nicht nur auf einem [Fuß], sondern auf beiden Füßen hinkender Vergleich, wenn gesagt wird: Ja, ein sozialdemokratischer Redner, der in einer gegnerischen Versammlung das Wort ergreift, erntet großes Lob, aber wir Unglücklichen werden getadelt, wenn wir in gegnerischen Blättern die Parteiprinzipien vertreten. Dieser Vergleich würde erst zutreffen, wenn ein sozialdemokratischer Redner in einer gegnerischen Versammlung auf die Bedingung hin spräche, dass er das Konzept seiner Rede erst dem gegnerischen Vorsitzenden zur Prüfung einreichte. Ein Parteigenosse, Redner, der sich auf diese Bedingung einließe, würde unseres Erachtens alles eher in der Partei ernten als großes Lob.

Endlich wird gesagt: Die Schriftsteller, die zur Partei gehören, sind also Parteigenossen zweiter Klasse. Allen anderen Proletariern ist es erlaubt, ihre Arbeitskraft zu verwerten, wann und wo es ihnen beliebt, und so hoch wie sie können; man verdenkt es keinem Schriftsetzer, wenn er die reaktionärsten Blätter setzt. Aber wir Schriftsteller, die wir doch auch zum Proletariat gehören, sollen das nicht dürfen. Man kann dieser Argumentation eine relative Berechtigung nicht absprechen, und der Parteivorstand hat ja auch ausdrücklich anerkannt, dass Parteigenossen Mitarbeiter und Redakteure bürgerlicher Blätter sein könnten, wenn sie dadurch nicht gezwungen würden, gegen die Partei zu schreiben. Allein es gibt noch eine andere Auffassung des schriftstellerischen Berufs, die Karl Marx schon vor sechzig Jahren in die Worte gekleidet hat: „Der Schriftsteller muss allerdings erwerben, um existieren und schreiben zu können, aber er muss keineswegs existieren und schreiben, um zu erwerben …

Der Schriftsteller betrachtet keineswegs seine Arbeiten als Mittel. Sie sind Selbstzwecke, sie sind so wenig Mittel für ihn selbst und für andere, dass er ihrer Existenz seine Existenz aufopfert, wenn's not tut, und in anderer Weise, wie der Prediger der Religion zum Prinzip macht: ,Gott mehr gehorchen, denn den Menschen', unter welchen Menschen er selbst mit seinen menschlichen Bedürfnissen und Wünschen eingeschlossen ist…

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. Dem Schriftsteller, der sie zum materiellen Mittel herabsetzt, gebührt als Strafe dieser inneren Unfreiheit die äußere, die Zensur, oder vielmehr ist schon seine Existenz seine Strafe."1 Diese wie in Granit gemeißelten Worte sind bisher der Leitstern der Schriftsteller gewesen, denen die Ehre beschieden war, für die Emanzipation der Arbeiterklasse zu arbeiten, und so ist der Parteivorstand nur den ältesten und glorreichsten Traditionen der Partei treu geblieben, wenn er am 2. März seine Meinung dahin aussprach, dass Parteigenossen, die in der Presse nur ein materielles Mittel sehen, keine Vertrauensstellungen in der Partei übertragen werden dürften.

Noch über einen anderen Punkt hat sich der Parteivorstand an demselben Tage in dem Sinne geäußert, dass es mit den Interessen der Partei nicht vereinbar sei, wenn Parteigenossen als Redakteure oder Mitarbeiter an bürgerlichen Blättern tätig seien, in denen an der Sozialdemokratischen Partei gehässige oder hämische Kritik geübt werde. Diesem an sich klaren und unanfechtbaren Urteil hat man mit allerlei Tüfteleien über die Begriffe des „Gehässigen" und „Hämischen" auf den Leib rücken wollen. Jedoch darauf einzugehen ist überflüssig; entscheiden kann hier nur das urkundliche Material, das den Parteivorstand zu seinem Eingreifen veranlasst hat, und wenn wir anders recht unterrichtet sind, wird es dem Parteitag in einer Reichhaltigkeit vorliegen, die auch den scharfsinnigsten Tüftlern genügen dürfte.

Kommentare