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Franz Mehring 19030811 Monarchie und Sozialdemokratie

Franz Mehring: Monarchie und Sozialdemokratie

11. August 1903

[ungezeichnet Leipziger Volkszeitung Nr. 183, 11. August 1903. Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 582-584]

Seitdem sich durch die Kundgebungen der Parteipresse herausgestellt hat, dass die große Masse der Parteigenossen von der Hoffähigkeit der deutschen Sozialdemokratie nichts wissen will, zucken die Vertreter dieses Gedankens über ihren eigenen Vorschlag die Achseln, etwa in dem Sinne des Worts: Tant de bruit pour une omelette! Soviel Lärm um einen Eierkuchen! Diese bessere Erkenntnis ist gewiss freudig zu begrüßen; es war ja gerade das Allerpeinlichste an dem ganzen Zwischenfall, dass es sozialdemokratische Politiker gab, die unter dem erhebenden und erschütternden Eindruck des 16. Juni nichts Besseres zu tun wussten, als einen so dünnen Eierkuchen anzurühren.

Immerhin aber mussten auch für diesen Eierkuchen Eier zerbrochen werden, und wenn es für den Revisionismus typisch war, dass er seine „praktische Politik" an einem so kleinlichen Punkte beginnen wollte, so war es nicht minder typisch für ihn, dass er dafür mehr als einen wesentlichen Pfeiler des Parteiprogramms zu zerrütten bereit war. Darüber wollen wir lieber doch nicht allzu eilig den Mantel der Vergessenheit breiten. Um die gewaltigen Erfolge des 16. Juni zu sichern, ist nichts so notwendig, als die Prinzipien der Partei so klar und scharf wie möglich zu wahren und jedem Versuch, sie zu verschleiern, sofort entgegenzutreten.

Ein sehr auffallender Versuch dieser Art begegnet uns in dem Leitartikel der „Chemnitzer Volksstimme" vom 6. August, der von dem Genossen Göhre unterzeichnet ist. Nachdem Genosse Vollmar bereits in seiner Münchner Rede darauf angespielt hatte, dass die Staatsform für die Sozialdemokratie in zweiter Reihe stehe, rückt der Genosse Göhre noch viel deutlicher mit der Sprache heraus. Er sagt, man solle die Bedeutung der monarchischen Institution nicht überschätzen. Das sei nicht die Sache des sozialistischen Demokratismus, sondern des alten bürgerlichen Liberalismus, dem die Republik die Voraussetzung jedes politischen Fortschritts gewesen sei. Die Sozialdemokratie wisse, dass die Staatsform für die wirtschaftliche, soziale und geistige Not des Volkes nur etwas Sekundäres sei. Sie kämpfe in Deutschland nicht in erster Reihe gegen die monarchische Staatsform, sondern gegen den Kapitalismus in jeder Gestalt und gegen die Klassen, die dessen Schöpfer und Träger seien. Sie wisse, dass auch Monarchen in vieler Beziehung, freilich meist ohne es zu wissen, abhängig seien von diesen, die politische Macht ausübenden, also in Wahrheit herrschenden Klassen; deshalb sei ihr Kampf gegen die Monarchie ein mehr indirekter und mittelbarer. Soweit es nicht durch den Majestätsbeleidigungsparagraphen verhindert werde, beschränke er sich in den meisten Fällen nur auf Abwehr monarchischer Angriffe. Ja, es sei seines Wissens, meint Genosse Göhre, schon öfter von unsern Führern ausgesprochen worden, dass für sie sehr wohl ein relativ friedliches Verhältnis zwischen einem Monarchen und einer starken Sozialdemokratie denkbar sei, von der Überzeugung aus, dass die monarchische Institution zwar eine für die Zukunft dem sichern Untergange geweihte Sache sei, aber dass doch dieses Absterben sich nur sehr allmählich und langsam vollziehen könne. „Daraus aber ergibt sich für die Sozialdemokratie den Monarchen gegenüber eine Position, die ich am besten mit dem Ausdruck leidenschaftslose Gelassenheit charakterisieren möchte." Soweit der Genosse Göhre.

Mit seiner Argumentation würde die Partei, falls sie in ihr irgendwelchen Anklang fände, etwa den halben Weg in den christlich-feudalen Sozialismus zurücklegen. Genosse Göhre wirbt nicht unmittelbar für das „soziale Königtum" der Huber und Wagener; er fordert nicht das Bündnis zwischen Krone und Proletariat, um die kapitalistische Wirtschaft auszurotten, aber er behauptet, dass die Sozialdemokratie der Monarchie mit „leidenschaftsloser Gelassenheit" gegenüberstehe und dass ein „relativ friedliches Verhältnis" zwischen beiden denkbar sei. Das ist, wie gesagt, etwa der halbe Weg auf dem Rückmarsche in den christlich-feudalen Sozialismus.

Dass dieser Rückmarsch von „unsern Führern" jemals empfohlen worden sei, ist ein Irrtum des Genossen Göhre. „Unsre Führer" Marx und Engels haben vielmehr schon vor sechzig Jahren zwar die unsinnige Vorstellung aufgelöst, dass die Fürsten die Urheber der sozialen Notstände seien, aber ebenso die nicht minder unsinnige Vorstellung, dass irgendwelche Anfreundung mit der Monarchie einer proletarischen Bewegung anders als zum Unheil und Verderben ausschlagen könne. Was Genosse Göhre vorschlägt, läuft darauf hinaus, dass X dem Y einen Krieg auf Leben und Tod machen und die Kriegserklärung mit der liebenswürdigen Offenbarung beginnen sollte, er betrachte die Flinte des Y mit „leidenschaftsloser Gelassenheit" und stehe zu seinem Säbel in „relativ friedlichem Verhältnis". Als Kämpfer würde dieser X sicherlich mehr die Heiterkeit als den Schrecken der Mitwelt erregen. Genauso argumentiert aber Genosse Göhre. Die Monarchie ist nicht die Ursache der Klassenherrschaft, so wenig die Flinte und der Säbel die Ursachen des Krieges sind, aber sie ist das Werkzeug, die Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten, und niemand ist darüber klarer als sie selbst. Die wohlwollende Voraussetzung des Genossen Göhre, dass die Monarchen, meist ohne zu wissen, von der herrschenden Klasse abhingen, wird für Deutschland hinlänglich durch die historischen Tatsachen beleuchtet, dass Wilhelm I. das Sozialistengesetz und Wilhelm II. die Zuchthausvorlage aus eigenster Initiative durchsetzten oder vorschlugen, der Essener und Breslauer und sonstiger Reden ganz zu geschweigen.

So sinnlos es ist, von der bürgerlichen Republik eine Beseitigung der Klassenherrschaft zu erwarten, so vollkommen richtig ist es, dass die politische Entwaffnung der Monarchie die Voraussetzung jedes politischen Fortschritts bildet, gerade für das klassenbewusste Proletariat, das in der schlechtesten Republik immer noch reichlichere und schärfere Waffen für seinen Klassenkampf findet als in der von Gott gesegnetsten Monarchie. Die bürgerliche Republik ist nicht das Ziel des proletarischen Klassenkampfs, aber sie ist eine notwendige Etappe auf seinem Wege zu diesem Ziele, und der Marsch gegen die Monarchie ist politisch die unmittelbarste Aufgabe der Arbeiterklasse, wenn sie überhaupt auf dem richtigen Wege ihrer Emanzipation fortschreiten will.

Alles das ist schon vor sechzig Jahren von „unsern Führern" Marx und Engels in klarster Weise ausgeführt worden und seitdem der deutschen Arbeiterklasse in Fleisch und Blut übergegangen. Über den Genossen Göhre freilich scheinen „unsere Führer" nur nach dem bekannten Worte Lassalles wie ein Zug von Kranichen dahin gerauscht zu sein; dann sollte er sie aber lieber nicht zitieren als Autoritäten für Ansichten, über die sich höchstens die Huber und Wagener vor Freude im Grabe umdrehen könnten.

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