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Franz Mehring 19051002 Froschmäusekrieg

Franz Mehring: Froschmäusekrieg

2. Oktober 1905

[ungezeichnet, Leipziger Volkszeitung Nr. 228, 2. Oktober 1905. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 68-70]

Es gibt augenblicklich keinen Politiker in Deutschland, auf den so viele Schläge herab hageln, wie auf Herrn Pfarrer Naumann. In Mannheim erklärt ihn Herr Schmoller für einen „Demagogen", und in Wiesbaden will sich die Freisinnige Volkspartei mit allen Liberalen versöhnen, nur mit denen um Naumann nicht. Aber selbst in dem Häuflein der Freisinnigen Vereinigung, wo er noch einen Unterschlupf gefunden hat, will man nicht viel von ihm wissen, und könnte man ihn heute mit guter Manier loswerden, so würden ihm nicht viele Tränen nachfließen.

Uns interessiert an diesem tragikomischen Ende vornehmlich der pompöse Anfang. Denn vor zehn Jahren zog Herr Naumann aus, um die Sozialdemokratie in der Beherrschung der Arbeiterklasse abzulösen. Ein höheres Ziel konnte er sich nicht wohl stecken, als er sich damit steckte, aber kläglicher konnte er auch nicht scheitern, als er gescheitert ist. Politisch ist selbst Stoecker nicht so tief heruntergekommen, denn er hat doch noch immer einen Haufen Reaktionäre hinter sich, während Herr Naumann überall über die Achsel angesehen wird: Was hast du armer Teufel eigentlich in der Politik zu suchen? Hebe dich von hinnen, denn du bist aller Welt zur Last.

Hat Herr Naumann dies trübselige Schicksal verdient? Als Mensch sicherlich nicht, denn er hat unzweifelhaft aus den edelsten Beweggründen seine Agitation begonnen. Darin steht er turmhoch über Stoecker, der von Anfang an nur den angeblichen Arbeiterfreund spielte, um die Arbeiterklasse im Interesse des feudalen Junkertums und des orthodoxen Pfaffentums zu nasführen. Herr Naumann stand nicht im Dienst einer bürgerlichen Partei, als er seine nationalsoziale Agitation begann; er war auch kein gehässiger Gegner der Sozialdemokratie, sondern bekämpfte sie, soweit er sie bekämpfte, in anständigen Formen und aus lauterem Gewissen. In seiner Weise meinte er es ehrlich mit dem Proletariat, dem er alles Gute gönnte, was ihm nach seiner Einsicht nur immer Gutes werden konnte.

Aber mit dieser Einsicht stand es nun freilich schwach. Nicht zwar, als ob Herr Naumann an sich ein beschränkter Kopf wäre! Er ist im Gegenteil ein recht gescheiter, ja, ein zu gescheiter Mann. Denn sein politisches Unglück ist eben, dass er sich einbildet, kraft seiner Fähigkeiten und Kenntnisse eine neue Partei aus dem Boden stampfen zu können, während politische Parteien immer nur entstehen und sich entwickeln aus den Klassenkämpfen heraus, in deren Bann und Zwange wir alle leben. Herr Naumann machte sich eine Utopie zurecht, die in ihrer Art ganz geistreich war: die Utopie eines Bündnisses zwischen der Demokratie und dem Kaisertum, das nun endlich alle sozialen Fragen lösen sollte. Die Phantasmagorie war ganz nett, bis auf die kleine Schwäche, dass die tatsächlichen Voraussetzungen fehlen, die sie zur Wirklichkeit machen konnten: sowohl die Demokratie, die für das Kaisertum, als auch das Kaisertum, das für die Demokratie schwärmt.

Bei alledem gewann Herr Naumann ein paar tausend Anhänger, die allerdings von vornherein nicht viel versprachen. Es waren diejenigen bürgerlichen Ideologen, die zu unterrichtet sind, um sich bei der kapitalistischen Gassen- und Marktweisheit zu beruhigen, aber lange nicht tapfer genug, um in Reih und Glied des proletarischen Emanzipationskampfes zu treten. Klug reden konnten sie über die Maßen, aber mutig zu handeln war ihnen nicht gegeben. Und da sie bald alle Hoffnung aufgeben mussten, mit ihrer armseligen Weisheit auch nur einen Rekruten dem kämpfenden Arbeiterheer abspenstig zu machen, so verfielen die enttäuschten Propheten auf die jammervollen Mittel der Intrige, der Hintertreppenläuferei, der Durchstecherei, um Zwietracht innerhalb der Sozialdemokratie zu säen und sich nach außen hin aufzuspielen, als könne ihnen das gelingen oder wäre ihnen gar schon gelungen. Widerlichere Erscheinungen als diese Gerlach und Konsorten sind kaum schon in unserm öffentlichen Leben aufgetreten.

Mit solcher Bemannung trieb das nationalsoziale Schifflein hilflos vor den Winden umher, bis es in dem versandeten Nothafen eines liberalen Fraktiönchens endlich eine letzte Zuflucht fand. Verglichen mit seinen Anfängen, mit dem stolzen Programm, die Sozialdemokratie in der Beherrschung der Arbeiterklasse abzulösen, konnte Herr Naumann nichts Sinnloseres tun, als sich gerade derjenigen liberalen Schattierung zu ergeben, die das kapitalistische Interesse am reinsten vertritt. Aber dennoch lag ein tiefer Sinn in dem Ziele seiner Irrfahrten. Denn so wie heute ein Bündnis zwischen Demokratie und Kaisertum möglich ist, verwirklichen es die um Barth und Schräder: Sie werfen sich dem Kaisertum zu Füßen, um für ihre so genannte „Demokratie" ein paar Portefeuilles zu erhaschen, die sie freilich niemals bekommen.

Eine so große Entsagung, wie Herr Naumann und die Seinen nötig hatten, um die Gastfreundschaft der Freisinnigen Vereinigung anzusprechen, eine so große Entsagung hatte die Freisinnige Vereinigung nötig, um diese Gastfreundschaft zu gewähren. Die Freisinnige Volkspartei ist darin häklicher, was man ihr eigentlich sosehr nicht verdenken kann. Wenigstens dann nicht, wenn die nationalsozialen Männer überhaupt noch ernsthaft genommen zu werden beanspruchen. Herr Naumann will doch ganz etwas andres als Herr Eugen Richter und hat gar keinen Grund, sich zu beschweren, wenn Herr Richter annimmt, er könne seine Partei schon von selbst zugrunde richten, ohne die in diesem Punkte ja auch erprobte Kraft des Herrn Naumann erst zu behelligen.

Das ganze ist ein rechter Froschmäusekrieg, ohne jede praktische Bedeutung für die politische Entwicklung, aber nicht wertlos als Beitrag für die politische Psychologie. In den großen Klassenkämpfen der Gegenwart muss jeder Partei ergreifen; hier gibt es nur ein Hüben, ein Drüben, und in ihnen wird auch der Schwache stark. Dagegen entnervt jede politische Eigenbrötelei selbst den Starken; sie macht ihn zum allgemeinen Spott und wirft ihn politisch auf den Rücken. Insoweit hat Herr Naumann sein tragikomisches Schicksal vollkommen verdient.

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