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Franz Mehring 19071205 Blockkrämpfe

Franz Mehring: Blockkrämpfe

5. Dezember 1907

[ungezeichnet, Leipziger Volkszeitung Nr. 282, 5. Dezember 1907. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 318-320]

Es wird augenblicklich einmal wieder entsetzlich viel Moralheuchelei im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte getrieben. Die einen wollen die Monarchie von den Einflüssen perverser Cliquen befreien, angeblich aus reiner überströmender Liebe zum Vaterlande, die andern wieder behaupten, es sei alles pure Erfindung, denn es gäbe keine perversen Cliquen, die einen verderblichen Einfluss auf die Monarchie ausüben könnten oder gar ausübten, und auch sie wollen nur von lauterster Vaterlandsliebe beseelt sein, indem sie diese feierlichen Proteste in die Welt schleudern.

Von unserm Standpunkt aus kann man sich weder für die einen noch für die andern begeistern; wir sagen mit dem Philosophen Spinoza: Hier gilt es nicht loben und nicht tadeln, sondern hier heißt es verstehen. Es sind Dummköpfe oder Heuchler, die die Monarchie von dem Einfluss geheimer Cliquen befreien, aber es sind auch Dummköpfe oder Heuchler, die überhaupt von keiner höfischen Clique wissen wollen. Diese haben freilich ein treffliches Mittel, der Kritik den Mund zu stopfen, indem sie sagen: Wie? Ist der herrschende Monarch nicht ein klarer Kopf und ein unabhängiger Charakter, der niemals nach der Pfeife einer Clique tanzen wird? Heißt es nicht ihn beleidigen, wenn man sagt, dass er eine Clique in seiner nächsten Umgebung dulde?

Über diese delikate Frage uns zu äußern, müssen wir ablehnen; wir begnügen uns mit der Bemerkung, dass, wenn der gegenwärtige Kaiser keine Clique an seinem Hofe duldet, er in der Tat der hervorragendste Monarch ist, den es je gegeben hat, denn er hat dann ein Ziel erreicht, das keinem Monarchen vor ihm und namentlich auch seinen Vorfahren niemals zu erreichen beschieden gewesen ist. Verfolgen wir die preußische Geschichte nur um zwei bis drei Jahrhunderte zurück, so war der Hof des Großen Kurfürsten so von Cliquen zersetzt, dass sein ältester Sohn und späterer Nachfolger ins Ausland floh, aus Angst, von seiner Stiefmutter vergiftet zu werden, so tanzte Friedrich I. nach der Pfeife einer berüchtigten Hure, der Gräfin Kolbe v. Wartenberg, so tanzte Friedrich Wilhelm I. nach der Pfeife der Grumbkow und Seckendorff, zu deren Ehren er beinahe seinen ältesten Sohn köpfen ließ, so tanzte der so genannte Große Friedrich nach der Pfeife seiner Generaladjutanten Winterfeld oder Anhalt und seines Kabinettssekretärs Eichel, so tanzte Friedrich Wilhelm II. nach der Pfeife diverser Huren, von denen er sich einige durch liebedienerische Pfaffen als Nebengemahlinnen am heiligen Altar der Kirche antrauen ließ, so tanzte Friedrich Wilhelm III. nach der Pfeife der Clique Haugwitz-Lombard, die der Freiherr v. Stein als den Abschaum der Menschheit geschildert hat, so tanzte Friedrich Wilhelm IV. nach der Pfeife der Kamarilla, die sich um den General v. Gerlach scharte, und so tanzte Wilhelm I. zur Abwechslung auch einmal nach der Pfeife seiner legitimen Gemahlin, wie wenigstens der treueste seiner Diener, der brave Bismarck, zu behaupten nicht müde geworden ist.

Diese kurze Aufzählung, deren Richtigkeit man übrigens auch an der Hand der loyalen Geschichtswerke verfolgen kann, genügt wohl, um zu zeigen, dass höfische Kamarillen vom historischen Wesen der Monarchie völlig unzertrennlich sind. Macht der gegenwärtige Monarch eine Ausnahme, gut, so zweifeln wir daran nicht, aber dann bestätigt diese Regel nur die Ausnahme, und für alle Gegner der Monarchie, zu denen wir so glücklich sind uns zu zählen, kommt es nicht auf die Ausnahme, sondern auf die Regel an. Und wir müssen allerdings gestehen, dass der Glanz, der dadurch für die Gegenwart auf die Monarchie fällt, doch einigermaßen getrübt wird, durch die Waffen, mit denen sich ihre gegenwärtig ein wenig entzweiten Bewunderer bekämpfen, durch Waffen, wie sie kindischer und schäbiger zugleich sich nicht wohl denken lassen.

Der ganze Streit dreht sich ja viel weniger darum, ob überhaupt eine Kamarilla besteht, als darum, ob diese Kamarilla sich aus homosexuellen Leuten zusammensetzt. Die einen behaupten es ebenso heftig, wie es die andern heftig bestreiten. Dieser Zank ist denn in der Tat zu dumm, und wir müssten uns sehr irren, wenn es je eine so beißende Satire auf die Monarchie von Gottes Gnaden gegeben hätte. Aber in dem heutigen Deutschland wird auch das Unmögliche möglich. Aus dem Zank über die angebliche oder wirkliche Homosexualität einiger Höflinge hat sich eine große Haupt- und Staatsaktion entwickelt; der famose Block ist schon halb in die Brüche gegangen und wird möglicherweise ganz auffliegen, und alles das haben die weißen Hosen des braven Kürassiers Bollhardt getan!

In der Tat – hier ist es nicht nur schwer, hier ist es ganz unmöglich, keine Satire zu schreiben. Aus dem Berichte über die gestrige Sitzung des Reichstags ersehen unsre Leser, dass sich die Mehrheit der Blockparteien geeinigt hat, hinter den Kulissen noch einmal zu versuchen, den Block zusammenzuschmieden, der dadurch gefährdet ist, dass der nationalliberale Herr Paasche den Klatsch des Herrn Harden gegen den Kriegsminister ausgespielt hat. In den Streit selbst uns zu mischen, haben wir keinen Anlass, wie wir schon sagten; wir können uns weder für den Rabbi noch für den Mönch begeistern. Aber es ist charakteristisch für das Cliquentreiben in Deutschland, dass trotz allen Gebrülls der sittlich Entrüsteten über das Auskehren mit eisernem Besen die Blockmehrheit hinter die Kulissen flüchtet, um im Dunkeln zu munkeln und wieder heimlich die „nationale Herrlichkeit" zurecht zu leimen, die in ihr verkörpert sein soll.

Diese Krisis ist des Blocks durchaus würdig, und man kann sie nicht treffender kennzeichnen als mit den Worten des „nationalen" Historikers Treitschke: „Kloakendüfte zogen in dicken Schwaden über ganz Deutschland hin, und mancher ehrliche Germane begann jetzt erst einzusehen, vor welchem Götzen er bisher gekniet hatte." Großartiger konnte sich die „nationale Wiedergeburt" nicht darstellen, die angeblich durch die letzten Reichstagswahlen vollzogen worden ist, und man weiß wirklich nicht, ob man wünschen soll, dass der Wechselbalg jetzt schon verendet oder noch einmal mühsam aufgepäppelt wird, um sich mit einer größeren Schande zu bedecken.

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