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Franz Mehring 19070710 Der Fall Peters

Franz Mehring: Der Fall Peters

10. Juli 1907

[Die Neue Zeit, 25. Jg. 1906/07, Zweiter Band, S. 473-475. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 274-277]

Seit reichlich zwei Wochen beschäftigt der Fall Peters in ausgiebigstem Maße die öffentliche Debatte. Kein Tag, der nicht neue Beiträge brächte, die auf diesen Fall ein neues Licht werfen sollen. Und dabei ist noch gar kein Nachlassen des allgemeinen Interesses zu spüren, wie es bei anderen Sensationsfällen schon nach wenigen Tagen, geschweige denn einigen Wochen einzutreten pflegt. Vielmehr nimmt die Hitze des Kampfes eher zu als ab, und im Übrigen ist ausreichend gesorgt, dass dieser Fall, wenn je das Interesse an ihm erlöschen sollte, alsbald wieder auftauchen wird. Nicht nur haben in dem Beleidigungsprozess, den Peters gegen das Münchener Parteiblatt angestrengt hat, beide Teile das Urteil erster Instanz angefochten, sondern aus dem Prozess selbst hat sich eine ganze Anzahl neuer Prozesse entwickelt, die, wenn sie zur gerichtlichen Verhandlung gelangen, neuen Staub aufwirbeln werden.

Alles das wäre gar nicht oder doch schwer zu erklären, falls es sich nur um die Person des Peters handelte, selbst wenn man voraussetzen wollte, dass an ihm ein angeblicher „Justizmord" verübt worden wäre. „Justizmorde", und selbst solche, die sozusagen mit Händen zu greifen sind, an deren grauenvoller Wirklichkeit kein unbefangener Mensch zweifelt – wir erinnern nur an den Fall Ziethen –, kommen oft genug vor, ohne dass ihnen eine Aufregung folgte, wie sie um den Fall Peters nun schon seit Wochen tobt. Im Allgemeinen ist die Empfindlichkeit gegen „Justizmorde" in Deutschland eher zu schwach als zu stark. Im Falle Peters liegt nun aber auch nichts vor, was einem „Justizmord" auch nur von weitem ähnlich sähe. Die gerichtlichen Verhandlungen in München haben alle die moralischen Scheußlichkeiten bestätigt, die seit elf Jahren von ihm bekannt waren! Allerdings hat er einige seiner Kumpane als Sachverständige und Zeugen laden lassen, die sich denn auch bemüht haben, ihn herauszuhauen, jedoch nur mit dem Erfolg, dass sie nun den kolonialen Heiland garnieren wie die Schacher am Kreuz. Herr Arendt steht unter dem dringenden Verdacht des Meineids, und der Häuptling des Reichslügenverbandes hat sich selbst moralisch gestäupt, indem er durch wüste Beschimpfung der Gerichtshöfe, die den Peters verurteilt haben, in unflätiger Weise tat, was, wenn es sozialdemokratische Blätter in sachlicher Weise tun, von seiner Lügenbande als schmählicher Verrat am Vaterland denunziert wird.

In der Tat handelt es sich bei dem Falle Peters auch nicht um eine Person, sondern um eine Sache. Mag Peters selbst aus persönlichen Gründen um seine moralische Wiederherstellung kämpfen, so würde die lärmende Kohorte, die seinen Fersen folgt, sich nicht einem wahren Platzregen moralischer Blamagen aussetzen, wenn es sich nur um die Person des Peters handeln würde. Solche Aufopferung liegt dieser Gesellschaft ganz fern. Für die Arendt, Kardorff, Liebert und Konsorten kommt es auf die offizielle Anerkennung der brutalen, meuchelmörderischen und mordbrennerischen Form an, in der sich die kapitalistische Kolonialpolitik allein ausleben kann.

Ein Tintenkuli der Peters-Clique schreibt mit zynischer Offenheit: „Wenn verlangt wird, dass die Kolonisatoren die schwarzen Brüder nach deutschen Rechtsgrundsätzen behandeln, dann ist wohl die Frage erlaubt, welches Recht und welches Gesetzbuch denn die Europäer ermächtigt, in fremde Weltteile einzubrechen, fremdes Land mit Waffengewalt in Besitz zu nehmen und die Eingeborenen zum Sklavendienst zu erniedrigen. Kolonialpolitiker, die sich fortwährend auf Recht und Gesetz berufen, sind höchst wunderbare Erscheinungen; nach Recht und Gesetz haben wir in Afrika gar nichts zu suchen. Wenn die frische Farbe unserer Kolonialentschließungen von Gewissensbedenken angekränkelt, wenn künftig drüben nach dem Reichsstrafrecht und dem Bürgerlichen Gesetzbuch regiert werden soll, so ist jeder Pfennig verloren, den wir noch an unseren afrikanischen Besitz vergeuden." Hier ist mit dankenswerter Offenheit ausgesprochen, weshalb die Peters-Clique ihre Helden in der „frischen Farbe" der Unschuld strahlen sehen will.

Auf der anderen Seite fragt Genosse Parvus in seiner vortrefflichen Schrift über die Kolonialpolitik und den Zusammenbruch, nachdem er die fürchterliche Ausrottung der Hereros durch deutsche Truppen geschildert hat; „Was sind diesen Massenmassakers gegenüber die einzelnen Scheußlichkeiten eines Wehlan oder Prinzen Arenberg (oder Peters)? Die Brutalitäten einzelner lassen sich wohl beseitigen, aber das System, das viel schlimmer ist als jene, in dem das Grundübel liegt, das ist unzertrennbar verbunden mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise." Nun, die Kriegführung, die einen ganzen durch wucherische Ausbeutung um seine Lebensquellen gebrachten und deshalb zum letzten Verzweiflungskampf getriebenen Volksstamm den qualvollen Durstestod sterben ließ, wird im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte mit Lorbeeren bekränzt, und sollte da das feine Rechtsempfinden so gläubiger Christen, wie Arendt, Kardorff, Liebert und Konsorten sind, nicht eine Störung der göttlichen Weltregierung darin sehen, dass Peters, der nur ein paar Neger aus seinem souveränen Belieben hat aufknüpfen lassen, nun selbst wenigstens moralisch am Galgen baumeln soll?

Aus alledem ergibt sich, dass die Peters-Clique in ihrer Weise konsequent denkt und handelt. Und wer das kann und will, der hat immer einen großen Vorsprung. Hieraus erklärt sich die zähe Hartnäckigkeit, womit sie eine scheinbar so ganz verlorene Sache dennoch rastlos betreibt und an ihrem schließlichen Erfolg nicht verzweifelt. Eine halbe Begnadigung des Peters hat sie ja schon erreicht, und wenn sie mit ihren noch höheren Zwecken beim Münchener Schöffengericht noch nicht durchgedrungen ist, so ist es keineswegs unmöglich, dass sie mit ihren immer neu angestrengten Prozessen irgendeinmal und irgendwo ans Ziel gelangt. Allerdings hat sie gegen den weitaus mächtigsten und zahlreichsten Teil der bürgerlichen Presse dabei anzukämpfen, aber dessen Widerstand ist in sich brüchig und kann, wenn sonst die Umstände günstig sind, wohl über den Haufen gerannt werden.

Es sind vornehmlich die Organe der Ultramontanen, Freisinnigen und zum Teil auch der Nationalliberalen Partei, die nichts von Peters wissen wollen. Aber alle diese Parteien befürworten in verschämter oder auch nicht verschämter Weise die kapitalistische Kolonialpolitik und bewilligen die Mittel, womit sie betrieben werden kann. Dabei wissen sie sehr gut, wie es mit dieser Politik bestellt ist, allein sie haben den dringenden Wunsch, ihr Wissen schamhaft zu verbergen, und da kommt es ihnen sehr gelegen, die Person vor die Sache zu schieben und durch die lebhafte Entrüstung, die sie über den einzelnen Mord vom Stapel lassen, die noch viel grauenvolleren Massenmorde vergessen zu machen. Es sind auch sonst keineswegs immer hieb- und stichfeste Waffen, womit die bürgerlichen Gegner der Peters-Clique kämpfen. So berührt es sehr eigentümlich, wenn sie auf die Unantastbarkeit und Unfehlbarkeit der Richter pochen, die in den beiden Disziplinarverhandlungen den Peters verurteilt haben. Es befindet sich mehr als ein Name darunter, der sich in den Tagen des Sozialistengesetzes einen Ruf erworben hat, um den ihn niemand zu beneiden braucht; so ein Berliner Staatsanwalt, der vor achtzehn Jahren die famose Theorie erfand, dass, wer Wilhelm I. tadele, damit Wilhelm II. beleidige, und zwar so schwer, dass er wegen Majestätsbeleidigung fünf Jahre brummen müsse. Wir bezweifeln gewiss nicht, dass es die bürgerlichen Gegner der Peters-Clique ernsthaft meinen, aber wir sind sicher, dass sie ihren Sieg benutzen würden, Beelzebub durch den Fall des Teufels zu verherrlichen, und weil der eine Übeltäter beseitigt ist, die Kolonialpolitik überhaupt blitzblank zu putzen.

Anders steht es um den Kampf, den die sozialdemokratische Presse gegen Peters und die Peters-Clique führt. Sie bekämpft die Person und die Sache, oder vielmehr sie bekämpft in der Person die Sache, und sie braucht sich deshalb auch nicht darum zu sorgen, ob die Peters-Clique etwa noch ihren Willen durchsetzt. Wäre uns eine „Politik der Bosheit" gestattet, so müssten wir es selbst wünschen, denn die Anerkennung des Peters als eines nationalen Helden würde – um an eine Vorstellung anzuknüpfen, die den deutschen Philister unausgesetzt beunruhigt – viel Wasser auf unsere Mühlen leiten.

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