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Franz Mehring 19071009 Monarchie und Sozialdemokratie

Franz Mehring: Monarchie und Sozialdemokratie

9. Oktober 1907

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Erster Band, S. 49-52. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 304-307]

Der Tod des Großherzogs von Baden hat zu einem oder selbst zu zwei Zwischenfällen geführt, die wieder einmal die Frage angeschnitten haben, wie sich die Sozialdemokratie zur Monarchie stellt. Genosse Geck hat es abgelehnt, als ehemaliger Vizepräsident der badischen Kammer eine von den ärgsten Byzantinismen wimmelnde Traueradresse zu unterschreiben, die das ehemalige Präsidium der badischen Kammer an den nunmehrigen Großherzog von Baden gerichtet hat, während die Genossen Frank und Kolb sich in ihrer Eigenschaft als badische Landtagsabgeordnete an dem Leichenbegängnis des verstorbenen Großherzogs beteiligt haben.

Nimmt man diese Zwischenfälle an und für sich, so sind sie nicht wichtig genug, an dieser Stelle ausführlich besprochen zu werden. Genosse Geck hat getan, was so einfach wie selbstverständlich war, und er hat auch alle nur irgend mögliche Rücksicht auf die Loyalitätsgefühle der monarchischen Parteien genommen, indem er sich auf eine Kritik der ekelhaften Kriechereien, die er mit unterschreiben sollte, gar nicht erst einließ, sondern sich nur auf den formal entscheidenden Gesichtspunkt bezog, dass ein Präsidium, das nicht mehr zu Recht besteht, als Präsidium keine Kundgebungen mehr erlassen kann. So hat Genosse Geck in der schonendsten Weise das Prinzip gewahrt, woran nicht das geringste dadurch geändert wird, dass die bürgerliche Presse über seine taktvolle Beschränkung auf das absolut Unerlässliche in desto wilderen Zorn geraten ist.

Aber auch die Teilnahme der Genossen Frank und Kolb an den offiziellen Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Großherzog von Baden ist kein Malheur, das ein groß Gerede verlohnt. Die Zeiten sind glücklicherweise vorbei, wo der badische Landtag als das Palladium deutscher Freiheit galt; wir wissen jetzt, wie viel krähwinkelhafte Gemütlichkeit in den vormärzlichen, eigentlich welterschütternden Verfassungskämpfen des badischen Ländchens und der süddeutschen Staaten überhaupt steckte, und wenn sich ein Rest davon bis in unsere Tage vererbt hat, so muss man hoffen, dass er mit der fortschreitenden Aufklärung der Köpfe verschwinden wird. Sehr bedenklich würde die Sache sein, und sie würde den schärfsten Protest herausfordern, wenn sich etwa in Berlin Parteimitglieder für die freudigen oder traurigen Ereignisse der monarchischen Familie interessieren sollten. Denn in Berlin wird politisch der große Brummbass gespielt, und in diesem Spiele darf der richtige Takt nicht verfehlt werden, während nicht so sehr viel darauf ankommt, ob die minder lauten Instrumente des Reichskonzertes jenseits des Mains mitunter etwas unharmonisch durcheinander tönen. Deshalb sind wir weit entfernt, eine große Affäre daraus zu machen, wenn süddeutsche Genossen den einen Großherzog zur Hochzeit oder zur Kindtaufe beglückwünschen oder den anderen Großherzog bestatten helfen.

Wichtiger als diese Zwischenfälle selbst ist die Debatte, die sich in der bürgerlichen Presse an sie geknüpft hat, über das Verhältnis der Sozialdemokratie zur Monarchie überhaupt. In gewissem Sinne ist diese Debatte freilich auch ganz überflüssig, denn es gibt wenige Fragen, die so einfach und klar liegen wie gerade diese. Auch die Zeiten sind längst vorüber, wo das von verdammt gescheiten Anhängern der Monarchie aufgebrachte Gerücht noch irgendwelchen Glauben fand, das Gerücht nämlich, als stehe die Monarchie über den Parteien, als sei es ihr Beruf, von Gottes Gnaden oder von wessen Gnaden sonst einigend und schlichtend in die Kämpfe der Klassen einzugreifen. Wir wissen heute alle, dass die Monarchie nichts anderes als eine Form der Klassenherrschaft, ja sogar ihre ausschließlichste Form ist – denn eine Republik braucht an und für sich keine Klassenherrschaft zu sein, sooft und sosehr sie es tatsächlich sein mag, während die Monarchie immer ein Klassenstaat sein muss. Es ergibt sich daraus mit der einfachen, aber unzerbrechlichen Logik des Einmaleins, dass die Sozialdemokratie immer und unter allen Umständen zu den prinzipiellen Gegnern der Monarchie gehört und niemals mit ihr paktieren kann, es sei denn, dass unter besonderen Umständen die Interessen der Monarchie und der Sozialdemokratie parallel laufen, in welchem Falle die Sozialdemokratie wohl die Monarchie als ihr Werkzeug betrachten darf, natürlich mit dem Vorbehalt, dies Werkzeug, sobald es unbrauchbar geworden ist, eben auch als unbrauchbares Werkzeug zu behandeln.

Insoweit die bürgerlichen Blätter an diesem ganz klaren Sachverhalt herum spintisieren und sich gar einbilden, irgend etwas an ihm werde dadurch geändert werden, dass einige süddeutsche Genossen sich bemüßigt fühlen, dem einen Großherzog zu gratulieren oder dem anderen Herzog zu kondolieren, haben ihre Debatten über die Karlsruher Zwischenfälle gewiss keinen Wert. Aber etwas anderes imponiert uns an ihnen bis zu einem gewissen Grade, nämlich die politische Konsequenz und die politische Selbstachtung, die sie bei dieser Gelegenheit bekunden, Eigenschaften, die gerade im bürgerlichen Lager so rar geworden sind, dass man sie mit einiger Freude begrüßen darf, wo man unvermutet auf sie stößt. Die freudige oder schmerzliche Teilnahme von Sozialdemokraten an freudigen oder schmerzlichen Erlebnissen der Monarchie beirrt die monarchische Presse durchaus nicht in ihrer prinzipiellen Gegnerschaft gegen die Sozialdemokratie, und sie denkt nicht daran, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Das gefällt uns, wie wir ohne jeden Rückhalt gestehen, an diesen Leuten recht gut.

Machen wir uns die Sache an einem Beispiel klar. Der verstorbene Großherzog von Baden war in seinem Alter ein erbitterter Gegner der Sozialdemokratie, die er oft genug öffentlich in heftiger und ungerechter Weise angegriffen hat. Das war sein Fürstenmetier, wegen dessen Ausübung wir ihn keineswegs tadeln wollen, umso weniger, als er darin politische Konsequenz bewährte. Denn ehe es noch eine deutsche Sozialdemokratie gab, war der Großherzog ein ebenso grimmiger Hasser der badischen Volkskämpfer von 1849, denen er noch im Jahre 1857 in einem berüchtigten Amnestieerlass nur dann die Rückkehr nach Baden gestatten wollte, wenn sie vor ihm, dem damals blutjungen Menschen, reumütige Abbitte getan hätten. Hat nun etwa die monarchische Presse durch die großmütige Verzeihung, die einige sozialdemokratische Landtagsabgeordnete dem toten Großherzog angedeihen ließen, sich bewegen lassen, den badischen Volkskämpfern von 1849 die Verbrechen zu verzeihen, die sie vom monarchischen Standpunkt aus begangen haben? Ist ihr gar nicht eingefallen. In den Nekrologen der monarchischen Presse auf den verstorbenen Großherzog figurierten die badischen Volkskämpfer von 1849, unter denen sich Männer wie Friedrich Engels, Johann Philipp Becker und Wilhelm Liebknecht befanden, immer noch als „schamlose Demagogen", als „betrunkene Plünderer", als „wüste Rotten", als „nichtswürdiger Mob" usw. Dieser „Sauherdenton" mag sehr unschön gewesen sein, und er ist es auch zweifellos, aber man kann der monarchischen Presse, die sich in ihm gefällt, nicht das Verdienst absprechen, in ihrer Art konsequent zu sein, und wir haben um so weniger dagegen einzuwenden, als wir unsere alten Vorkämpfer von ihr viel lieber beschimpft als verherrlicht sehen.

Wir trauen auch den monarchischen Familien gern die politische Konsequenz und Selbstachtung zu, dass sie die Teilnahme, die prinzipielle Gegner der Monarchie an ihren Erlebnissen nehmen, viel eher als Kränkung denn als Tröstung empfinden. Sie selbst haben ja auch noch nie die geringste Teilnahme am Leben und Sterben offizieller Führer der Sozialdemokratie genommen, obgleich sie sehr gut wissen, dass es sich dabei um Persönlichkeiten handelt, die auch von ihrem monarchischen Standpunkt ebenso achtungswert waren, wie sich in den monarchischen Familien Persönlichkeiten finden mögen, die auch vom sozialdemokratischen Standpunkt alle Achtung beanspruchen können. Die monarchischen Familien wissen in diesem Punkte sehr gut, was sich politisch schickt. Sie haben sich noch bei keinem Leichenbegängnis eines Sozialdemokraten eingefunden, und wenn es je geschähe, so würden wir in solchem Leidtragenden – für diesen undenkbaren und unmöglichen Fall ist uns vielleicht eine rein hypothetische Majestätsbeleidigung gestattet – im günstigsten Falle einen politischen Konfusionsrat erster Güte sehen.

Es ist auch nicht zu verkennen, dass die Monarchie gerade in Deutschland ihre Stellung nicht am wenigsten dadurch befestigt hat, dass sie in dieser Hinsicht klarer und konsequenter zu denken gewusst hat als ihre Gegner, solange sich diese Gegner aus den bürgerlichen Demokraten und Liberalen rekrutierten. Die deutschen Kronen haben immer nur kaltblütige Verachtung für die Huldigungen und Schmeicheleien übrig gehabt, womit die „Edelsten und Besten" von ihnen zu erlisten suchten, was nur durch Kampf und Trotz zu erobern war. Die Opposition, die „ehrfurchtsvoll vor den Thronen stehen bleibt", wie die berüchtigte Phrase aus den deutschen Revolutionsjahren lautet, handelt ebenso klug wie ein Heer, das ehrfurchtsvoll vor den Wällen der Festung innehält, in der sich der Gegner am stärksten verschanzt hat.

Die deutsche Klassenherrschaft gipfelt in der Monarchie, und die deutsche Sozialdemokratie würde sich selbst aufgeben, wenn sie aufhören würde, eine prinzipielle Gegnerin der Monarchie zu sein. Bis dahin hat es seine guten Wege, und es ist weiter kein Unglück, wenn es freilich auch kein besonderes Glück ist, dass einige besonders weichherzige Genossen den monarchischen Familien eine achtungsvolle Teilnahme in Freud' und Leid bezeugen, die nach allen bisherigen Erfahrungen der deutschen Geschichte keineswegs eine gleich achtungsvolle Aufnahme findet.

Immerhin haben diese kleinen Zwischenfälle das Gute, die Sache selbst umso klarer zu stellen. Sollten sie wiederkehren, so wird es abermals nicht an der nötigen Aufklärung fehlen; sollten sie nicht wiederkehren, so wird es freilich umso besser sein.

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