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Franz Mehring 19081107 Bülows Schutztruppe

Franz Mehring: Bülows Schutztruppe

7. November 1908

[Die Neue Zeit, 27. Jg. 1908/09, Erster Band, S. 209-212. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 387-391]

Als wir vor acht Tagen eine kaltblütige Politik gegenüber dem bürgerlichen Spektakel über die Enthüllungen des „Daily Telegraph" für angezeigt hielten, schien uns bereits der nächste Tag widerlegen zu sollen. Die amtliche Aufklärung der deutschen Regierung war im Grunde noch viel blamabler für sie als selbst der Artikel des englischen Blattes, und ein noch viel heftigerer Entrüstungssturm tobte durch die patriotischen Blätter, so dass man beinahe glauben konnte, auch die bürgerlichen Parteien hätten das Biegen satt und wollten es nun endlich aufs Brechen ankommen lassen.

Dennoch bestätigte die Aufklärung Bülows nur die melancholische Wahrheit, die Lassalle in einer seiner Verfassungsreden ausspricht: dass nämlich die Diener der Fürsten immer noch praktischer zu handeln wissen als die bürgerlichen Parteien und ihre Wortführer in Parlament und Presse. Wenn der Reichskanzler sonst sehr wenig kennen mag, so kennt er doch die Pappenheimer seiner Blockmehrheit, und ein bisschen pfiffiger als sie ist er schließlich noch. Im Anfang der Woche umtost von den wildesten Zornausbrüchen ihres Zeitungsgeschwisters, steht er am Ende der Woche schon wieder da als der Bändiger, der seine Peitsche lustig über den Hundeseelen knallen lässt.

Es war dreierlei, was er in seiner Aufklärung behauptete. Zunächst verteidigte er den Kaiser gegen „ungerechte Angriffe", aber nur insofern, als er sagte, dass der Kaiser das Gutachten des Auswärtigen Amtes eingeholt habe, ob der im „Daily Telegraph" veröffentlichte Artikel sich zur Veröffentlichung eigne. Zweitens aber lehnte Bülow für den Inhalt dieses Artikels, soweit er das persönliche Regiment kompromittierte, jede Verantwortung ab, indem er sagte, dass er die Veröffentlichung verhindert haben würde, wenn er selbst den Artikel vorher geprüft und sich nicht auf das Gutachten seiner Räte verlassen hätte, die er somit als die eigentlichen Sündenböcke deklarierte. Drittens endlich erklärte Bülow sich bereit, sich als Sühnopfer für alles Unheil auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern; er habe seine Entlassung eingereicht, aber sie sei vom Kaiser abgelehnt worden.

Sicherlich war diese Erklärung im höchsten Grade blamabel für den so genannten Staatsmann, der sie erließ; sie verdiente das Sturzbad von Hohn und Spott, das sich im Aus- und im Inland über sie ergoss, und in jedem zivilisierten Lande würde dies Sturzbad ihren Urheber spurlos aus dem politischen Leben geschwemmt haben. Aber noch einmal: Was man auch sonst dem Reichskanzler vorwerfen mag, so lässt sich ihm doch nicht bestreiten, dass er seine Blockbrüder kennt. Er hat ihnen in seiner Erklärung die Rückzugslinien vorgezeichnet, auf denen sie nun wirklich bereit sind, aus der reckenhaften Position todwunder Patrioten in den Stall geduldiger Hammel zurückzutreten: eine mehr oder minder „ehrfurchtsvolle" Mahnung an den Kaiser, sich eine größere Zurückhaltung in seinen persönlichen Kundgebungen aufzuerlegen, eine „Reorganisation" des Auswärtigen Amtes, bei der vielleicht einige untergeordnete Schreiberseelen fliegen, und endlich die Erhaltung des kostbaren und unersetzlichen „Staatsmannes", der edelmütig genug war, sich wie der Römer Curtius in den Abgrund zu stürzen, um Sünden zu büßen, die er gar nicht begangen hatte. -

Der Reichstag wird zwar erst in drei Tagen über die Sache verhandeln, aber es ist heute schon sicher, dass die Dinge im Wesentlichen den Verlauf nehmen werden, den wir eben skizziert haben. Die Blätter der Blockparteien machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr, und es kann sich höchstens noch darum handeln, mit welchen mehr oder minder „temperamentvollen" Äußerungen am nächsten Dienstag gegen das „persönliche Regiment" losgedonnert werden wird. Das läuft jedoch nur auf die Stillung einer recht müßigen Neugier hinaus; prinzipielle Gegner der Monarchie werden gegenüber der sittlichen Entrüstung, womit gegenwärtig jeder Spießer auf den Kaiser los hackt, etwas von der Stimmung empfinden, in der Lessing einmal schrieb: „Sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben ja nichts. Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion so viele Sottisen zu Markte zu bringen, als man will. Und dieser Freiheit muss sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen schämen." Freilich bitterer als Lessing zu seiner Zeit muss man wohl über die „Berlinische Freiheit" urteilen, wenn man sich erinnert, wie viel Menschenglück den Anklagen wegen so genannter „Majestätsbeleidigung" geopfert worden ist, aber vor einer wirklichen Majestätsbeleidigung wird sich der rechtliche Mann heute doppelt sorgsam hüten, da sie ihn in die Gefahr bringt, von dem ersten besten kapitalistischen Tintenkuli mit einem Bruderschmatze beehrt zu werden.

Wie wenig oder vielmehr wie gar nichts selbst mit den gepfeffertsten Malicen gegen den Kaiser ausgerichtet werden kann, haben wir schon vor acht Tagen ausgeführt. Sogar wenn man die Frage in dem flachen Sinne der bürgerlichen Presse auffasst, so ist nicht die geringste Aussicht und Möglichkeit vorhanden, dass der Kaiser in seinem Lebensalter, bei seinem Charakter und seinen Gaben sich jetzt sei es auch durch die hanebüchensten Grobheiten derselben Leute das Konzept korrigieren lassen wird, die ihn seit zwanzig Jahren mit den ausschweifendsten Schmeicheleien überhäuft haben. Wer sich das einbildet, ist so unerfahren in den einfachsten Grundsätzen der Psychologie, dass man nicht einmal annehmen kann, er wolle sich selbst, sondern nur, er wolle andere täuschen. Allein die Frage des persönlichen Regiments ist gar keine persönliche Frage; sie hängt natürlich mit der ganzen politischen Entwicklung zusammen, und wir haben ebenfalls schon vor acht Tagen darauf hingewiesen, dass die eigentliche und entscheidende Schuld am persönlichen Regiment auf den Reichstag fällt. Er kann diesem Regiment sofort einen unzerbrechlichen Riegel vorschieben, sogar ohne alle Deklamation gegen dessen augenblicklichen Träger, aber wenn er sich mit solchen Deklamationen begnügt, so beweist er eben nur, dass er weder die Einsicht noch den Mut besitzt, das persönliche Regiment zu beseitigen, nicht einmal in dem unvergleichlich günstigen Augenblick, wo ihm der finanzielle Bankrott der Regierung die sichere Handhabe bietet, endlich ein Stück reelle Macht zu erobern.

Geht also der Reichstag die Wege, die ihm Bülow weist, und daran ist heute schon kein Zweifel mehr, so ist er in der Tat nur, wie ihn der alte Liebknecht schon vor vierzig Jahren genannt hat, das Feigenblatt des Absolutismus, der Lakai des persönlichen Regiments, und auf ihn fällt die ganze Wucht einer Schande, die sich nur mit der Schande von Jena und mit der Schande von Olmütz vergleichen lässt. Die Blockmehrheit ist dann schuldiger als jeder andere, der seine Hände in diesen schmählichen Dingen gehabt hat. Sie weiß, wie die Sprache ihrer Blätter beweist, was sie der nationalen Ehre schuldet, aber sie verrät diese Ehre um ihrer elenden und eigennützigen Cliqueninteressen willen, um ihren Nährvater Bülow am Ruder zu erhalten, aus dessen Hand die fetten Liebesgaben für die Junker fallen und die bunten Vöglein in die Knopflöcher des Freisinns flattern.

An der Spitze von Bülows Schutztruppe marschieren natürlich die freisinnigen Mannen. Sie haben sich nicht einmal den Luxus des Entrüstungssturms gegönnt, in ihres Nichts durchbohrendem Bewusstsein: Hunde sind wir ja doch! Nunmehr aber hat die freisinnige Fraktionsgemeinschaft den Plan erwogen, eine Adresse des Reichstags an den Kaiser zu beantragen, wobei zwar in aller Welt auch nichts herausgekommen, aber immerhin noch jenes Fünkchen von Courage produziert worden wäre, das die Vereinbarerversammlung in der Novemberkrise von 1848 und der preußische Landtag in der Konfliktszeit der sechziger Jahre aufzubieten gehabt haben. Jedoch dieser Plan ist mit Stimmengleichheit abgelehnt worden, weil bei der impulsiven Natur des Kaisers nicht abzusehen sei, wie er eine solche Adresse aufnehmen werde. Und diese Leute, die wie geschaffen sind, in der Seele von Fürsten die Menschenverachtung großzuziehen, wollen dem persönlichen Regiment an den Kragen!

Ganz so traurige Kunden sind die Junker bei alledem doch nicht. Der Vorstand der Konservativen Partei hält es zwar auch nicht für angezeigt, der Majestät von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, aber er empfiehlt dem Kaiser doch öffentlich eine „größere Zurückhaltung" und knüpft daran eine sinnige Betrachtung darüber, dass „eine weitere publizistische Behandlung dieser Vorgänge nicht segensreich" sein würde. Insbesondere dem Ausland gegenüber müsse diejenige Ruhe und Geschlossenheit des Volkes zum Ausdruck kommen, die „für uns, umdroht von Gefahren, eine politische Notwendigkeit der Selbsterhaltung ist". Das könnte den Blockbrüdern freilich in den Kram passen. Im Interesse des Vaterlandes soll der Verrat am Vaterland, mit dem der Reichstag umgeht, in tiefes Schweigen gehüllt werden. Man wäre versucht, über die naive Frechheit zu lachen, aber hinter dem kindischen Spiel wird sich bald ein bitterer Ernst offenbaren, und wenn abermals acht Tage ins Land gegangen sind, wird als schnöder Vaterlandsverrat gebrandmarkt werden, was vor acht Tagen noch in der Blockpresse heiße Sorge ums Vaterland war.

Allein uns soll's schon recht sein, wenn diese elende Komödie inszeniert werden sollte. Es versteht sich von selbst, dass die Gefahren, die eine gemeinschädliche und leichtfertige Politik über Deutschland heraufbeschworen hat, nur dadurch gebannt werden können, dass die deutsche Nation sich gegen diese Politik wendet mit der ganzen „Impulsivität", die die freisinnigen Banghasen am Kaiser fürchten. Wirft die Volksvertretung auch noch ihr Ansehen und ihre Ehre in die Masse eines beispiellosen Bankrotts, vor dem das Ausland halb lachend, halb schaudernd steht, dann wird es um so mehr die Pflicht des Volkes, eine scharfe Grenzlinie zu ziehen zwischen sich und den Bankrotteuren, die in frivolster Weise mit seinem Gute und Blute schalten.

Es liegt in der Hand des Reichstags, dem grausamen Spiel ein Ziel zu setzen, aber wenn er sich pflichtvergessen dessen weigern sollte, so geht das Spiel eben weiter, und am wenigsten die Arbeiterklasse wird die Närrin sein, in ehrfürchtigem Schweigen vor dem kläglichen Zusammenbruch ihrer Unterdrücker zu verharren, den niemand als diese selbst in ihres Sinnes unverbesserlicher Torheit verschuldet haben.

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