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Franz Mehring 19090710 Der Schnapsblock

Franz Mehring: Der Schnapsblock

10. Juli 1909

[Die Neue Zeit, 27. Jg. 1908/09, Zweiter Band, S. 529-532. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 444-447]

Der Präsident des Reichstags hat es für unparlamentarisch erklärt, die neue Mehrheit des Hohen Hauses auf den Namen des Schnapsblocks zu taufen, aber zum Glück ist Graf Udo zu Stolberg-Wernigerode noch nicht der Vertrauensmann der Nation, und sein Kummer über das neue geflügelte Wort ist nur geeignet, dessen Treffkraft zu bescheinigen.

So wird es wohl dabei bleiben, und dem Schnapsblock kann nicht das Zeugnis versagt werden, dass er redlich beeifert ist, den Hottentottenblock noch zu übertrumpfen. Gemäß dem Programm der „Kreuz-Zeitung" suchte er im Schweiße seines Angesichtes die neuen Steuern „durchzupeitschen", und heute ist denn auch die halbe Milliarde eingesackt worden, die zu mehr als vier Fünfteln von den arbeitenden Klassen, zu einem geringen Teil vom mobilen Kapital und zu einem verschwindenden Bruchteil vom Großgrundbesitz aufgebracht werden soll.

Nach diesem grausamen Aderlass an den Volksmassen wird sich der „leitende Staatsmann" trollen, und noch weiß kein Gebärdenspäher und Geschichtenträger, so eifrig die ganze Zunft im Horchen und Klatschen ist, der harrenden Mitwelt zu sagen, wer als Bülows Nachfolger am Horizont auftauchen wird.

Mit Recht meint ein liberales Blatt, eine ähnliche Situation sei noch in keinem modernen Kulturstaat dagewesen, in solchen Staaten sei es undenkbar, dass eine Parlamentsmehrheit in besinnungsloser Eile fünfhundert Millionen Steuern auf den Nacken der Volksmassen wälze, während gar kein verantwortlicher Minister da sei. Es ist eine Regierung ohne Kopf, eine Danae, die nicht hören und nicht sehen kann, die nur gierig den Schoß öffnet, um den Goldregen zu empfangen, den nicht sowohl der Jupiter als der Satyr des Schnapsblocks hineinschüttet. Das Bild ist grotesk genug, aber doch nicht grotesker als die Situation, die es widerspiegelt.

So ist es begreiflich, dass alle Patrioten, die nicht ganz im chauvinistischen Gepolter aufgehen, sondern noch ein mehr oder minder schwaches Gefühl für die Ehre der Nation besitzen, sich die Augen aus dem Kopfe schämen. Aber damit ist nun freilich nicht viel geholfen, und noch verrät kein Anzeichen, dass in den liberalen Parteien das Maß politischer Tatkraft in irgendwelchem vernünftigen Verhältnis zu dem überreichlich vorhandenen Maße sittlicher Entrüstung steht. Statt der wilden Jagd des Schnapsblocks irgendein ernstes Hindernis zu bereiten, berieten die drei freisinnigen Fraktionen wieder einmal über ihre Verschmelzung, was doch darauf hinausliefe, das Pferd beim Schwänze aufzuzäumen. Diese Verschmelzung würde ganz von selbst kommen, wenn die Fraktionen sich nur erst zu einer klaren und konsequenten Politik aufzuraffen vermöchten; dann würden alle die kleinlichen Eifersüchteleien und Reibereien verschwinden, die durch einen rein formalen Zusammenschluss, wie die Erfahrung nun schon mehr als einmal gezeigt hat, eher verschärft als geschwächt werden.

Doch à tout seigneur tout honneur1, und so groß die Schuld der liberalen Politik an dem gegenwärtigen Elend sein mag, so gebührt doch dem pfiffigen Vogelsteller der Vortritt vor dem betörten Vöglein. Der Schnapsblock hat dem Fürsten Bülow die berühmte „Paarungspolitik", den großen Humbug der Hottentottenwahlen, quittiert, und wenn es nie einen schmählicheren Fall gegeben hat, als der Fall dieses so genannten Staatsmannes ist, so hat es doch auch noch nie einen verdienteren Fall gegeben. Selbst die letzte Demütigung hat der Reichskanzler auf sich genommen und seinen Namen noch hergegeben als Feigenblatt für die nackte Plünderungspolitik, die ihn niedergerannt hat. Das Opfer der agrarischen Unersättlichkeit wird nun kaum noch die Grabschrift beanspruchen können: Dieses ist ein agrarischer Reichskanzler gewesen; aber dafür mag ihn der unanfechtbare Nachruf trösten: Dieses war ein sehr komischer Reichskanzler.

Ob zu seinem Sturze auch ein verhaltener Groll aus den Novembertagen des vorigen Jahres beigetragen hat, dies zu ergründen, mag den Gevattern der bürgerlichen Presse überlassen bleiben. Ein solcher Groll wäre höchstens ein, wie es in der Gerichtssprache heißt, „adminikulierendes Beiwerk"; im Wesen der Sache ist Bülow so gestürzt, wie er nach seinem langjährigen Gaukel- und Schaukelspiel zu stürzen verdiente. Er war ein Kommis des Junkertums, und so musste früher oder später die Stunde kommen, wo seine rollenwidrigen Seitensprünge, sein Kokettieren mit den Liberalen ihm das Genick brachen. Wenn sich auch die freisinnigen Parlamentarier gut und gerne mit einigen dürftigen Orden und Titeln abspeisen ließen, so mussten die liberalen Wähler doch irgendeine greifbare Frucht der „Paarungspolitik" in die Hände bekommen, und als erfahrener Junker musste Bülow wissen, dass sich seine Klasse auf so etwas nicht einlässt, dass sie gar nicht daran denkt, dem Liberalismus auch nur die Spitze des kleinen Fingers zu gönnen, geschweige ihr denn irgendeine Gleichberechtigung einzuräumen.

Eine nicht minder klägliche Rolle als Bülow spielte der Bundesrat, indem er Schritt für Schritt vor dem Schnapsblock zurückwich, den Weg der Retirade mit groben Wortbrüchen bedeckend. Was ihn diesen Pfad der Schmerzen wandeln ließ, sprach Herr v. Bethmann Hollweg, der angebliche Nachfolger Bülows, mit verlegenen Worten aus: Die Regierung hat nicht gewagt, die einzige Waffe zu gebrauchen, die sie gegen den junkerlich-ultramontanen Übermut besaß; sie hat nicht gewagt, den Reichstag aufzulösen, aus Sorge, dass dann die ganze neue Steuerbescherung wie gleißendes Katzengold verschwinden würde. Und sicherlich war diese Sorge berechtigt; neue Wahlen würden eine Mehrheit des Reichstags ergeben haben, die nicht für die Auspowerung der Volksmassen zu haben gewesen wäre; die Regierungen mussten die „Reichsfinanzreform" nehmen, so, wie sie ihnen von den Junkern geboten wurde, oder sie standen vor dem Bankrott ihrer reaktionären und volksfeindlichen Politik.

Ganz im Gegensatz zu dem verdrießlichen Gesicht, womit Herr v. Bethmann Hollweg in den sauren Apfel biss, verteidigte Herr v. Heydebrand die junkerliche Politik mit dreister und von seinem Standpunkt aus auch nicht ungeschickter Rede. Er machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, und wenn er auch direkt bestritt, dass die Junker im Fürsten Bülow jede Möglichkeit einer preußischen Wahlreform zur Strecke gebracht hätten, so gab er es doch indirekt zu, indem er als eigentlichen Grund des junkerlichen Widerstandes gegen die Erbschaftssteuer anführte, dass er und seinesgleichen niemals einem auf Grund des allgemeinen Wahlrechtes gewählten Parlament die Verfügung über Erbschafts- und Vermögenssteuern zugestehen würden. Das war in seiner Weise ehrlich und offen gesprochen; Herr v. Heydebrand verzichtete auf alle die fadenscheinigen Redensarten über die Gefährdung der „teutschen Familie" durch eine Erbschaftssteuer; er sagte, wie Genosse Singer mit Recht folgerte, dem allgemeinen Wahlrecht den „Kampf auf Leben oder Tod" an, und die Arbeiterklasse hat keinen Grund, sich über die brutale Offenherzigkeit der junkerlichen Politik zu beschweren, die vielmehr ihre einzige anerkennenswerte Seite ist.

Der Rede aber, womit Herr v. Hertling als ultramontaner Vertreter des Schnapsblocks dieses angenehme Gebilde verteidigte, fehlte selbst der grönländische Sonnenschein, der noch das staatsmännische Haupt des Herrn v. Heydebrand verklärte. Vom ästhetischen Standpunkt aus mag man eine gewisse Befriedigung darüber empfinden, dass sich das Zentrum so schnell für die verlogene Wahlkampagne von 1907 seine Revanche hat nehmen können, aber deshalb darf man sich nicht den politischen Blick dafür trüben lassen, dass der Henker keinen Heller besser ist als der Gehenkte, dass sich das Zentrum nur mit demselben Maße von Verlogenheit zu rächen gewusst hat, womit es seinerzeit „besiegt" worden ist. Selbst dem nationalliberalen Sprecher gelang es, das Zentrum an den Pranger zu schlagen, indem er die offiziellen, aus der Feder des gloriosen Herrn Erzberger geflossenen Flugblätter verlas, in denen das Zentrum bei den Wahlen von 1907 dieselbe Steuerpolitik in Grund und Boden verflucht hat, die es jetzt wohlgemut mitmacht.

Alles in allem ist dem Schnapsblock nicht übermäßig behaglich in seinem untadeligen Gemüt. Er hat gesiegt, aber die schwarze Sorge sitzt diesem Reiter dennoch im Nacken. Mit der Regierung ist er leicht genug fertig geworden, aber die Frage, wie er mit den so gründlich genasführten Wählern fertig werden will, ist dadurch nicht aufgehoben, dass sie aufgeschoben ist. Es ist nicht allein, dass in zwei Jahren, in denen der Raubzug dieser „Reichsfinanzreform" gründliche Arbeit getan haben wird, neue Wahlen bevorstehen, sondern mehr noch, dass sich in kaum längerer Frist der Reichsbankrott wieder melden wird, und wiederholen lässt sich nicht wohl ein Riesenschwindel, wie wir ihn in den letzten Wochen erlebt haben.

Ob sich endlich noch einmal ein Teil der bürgerlichen Klasse ermannen wird, das mag eine sehr zweifelhafte Frage sein. Niemand wird sie nach den Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte zu bejahen wagen, und selbst wer sie nicht gerade zu verneinen geneigt ist, darf sich nicht verhehlen, dass geraume Zeit ins Land gehen muss, ehe sich die liberalen Parteien wieder das durch ihre Blockpolitik gründlich verscherzte Vertrauen größerer Massen erworben haben. Der „Kampf auf Leben und Tod", den Genosse Singer im Reichstag ankündigte, wird auf absehbare Zeit der Sozialdemokratie zufallen, aber sie ist auch in der Lage, ihn so zu führen, dass sich die bangen Sorgen, die heute schon den siegreichen Schnapsblock ängstigen, als sehr begründet erweisen werden.

Im Schnapsblock konzentrieren sich gewissermaßen alle schädlichen und schändlichen Elemente des deutschen Lebens; ihn mit Feuer und Schwert auszurotten heißt die Zukunft der Nation retten, und diese Rettung wird das Werk der Arbeiterklasse sein.

1 à tout seigneur tout honneur (franz.) – im Sprachgebrauch doppeldeutig gewordenes Wort: dem großen Herrn alle Ehre, jedem Herrn jede (entsprechende) Ehre.

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