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Franz Mehring 19100911 Wir den Teufel oder der Teufel uns?

Franz Mehring: Wir den Teufel oder der Teufel uns?

11. September 1910

[Die Neue Zeit, 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 889-892. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 510-513]

Der Parteitag in Magdeburg wird nicht der letzte sozialdemokratische Parteitag vor den nächsten Reichstagswahlen sein, aber ein freisinniges Blatt meint gleichwohl, auf ihm werde sich das Schicksal dieser Wahlen entscheiden. Wie das gemeint ist, ergibt sich mit genügender Klarheit aus den heißen Wünschen, die dasselbe Blatt für den Sieg des Revisionismus hegt.

An diesen Sieg glaubte es nun freilich selbst nicht und tröstet sich mit dem geflügelten Worte des Genossen Kolb, die Mehrheit habe der Radikalismus hinter sich, aber sonst nichts mehr. Es fehlt nur noch das schöne Zitat aus Schillers „Demetrius": „Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn! Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen." Aber eine demokratische Partei beruht nun einmal auf dem Prinzip der Mehrheit, und nicht minder beruht das allgemeine Wahlrecht darauf; von dem Willen der Mehrheit hängt der Ausfall der nächsten Wahlen ab und nicht von dem Verstand der wenigen, mögen sie selbst so erleuchtet sein wie das „Berliner Tageblatt" und der Genosse Kolb.

Die famose Großblockidee wird im Grunde durch niemanden so sehr kompromittiert als durch ihre eifrigsten Vorkämpfer. Soll die Herrschaft des Schnapsblocks durch ein gemeinsames Vorgehen des Liberalismus und der Sozialdemokratie gestürzt werden, so kann man die Sache doch wirklich nicht dümmer anfangen, als wenn der ungleich schwächere Teil dieser geplanten Koalition kein edleres Ziel kennt, als ihren ungleich stärkeren Teil innerlich zu zerrütten. Der Bluff, den die „Sozialistischen Monatshefte" vor jedem Parteitag mit einer so genannten „Glanznummer" inszenieren, ist wieder mit endlosem Jubel gerade von der freisinnigen Presse begrüßt worden; sie hat wieder die Genossen Hildebrand und Maurenbrecher, die, seit sie bei den vorletzten Reichstagswahlen mit ihrer nationalsozialen Politik einen kläglichen Zusammenbruch erlitten haben, die Kuhpocken dieser Politik der Sozialdemokratischen Partei einzuimpfen versuchen, zu ihren Kalenderheiligen erklärt und damit aber- und abermals bekundet, dass die Politik ein Handwerk ist, von dem sie nun einmal nichts versteht.

Wir haben natürlich an sich nichts dagegen einzuwenden, dass der Freisinn die Genossen Hildebrand und Maurenbrecher für große Männer hält, hinter denen die Lassalle, Marx und Engels in wesenlosem Scheine verschwinden. Aber da die freisinnige Presse weiß und selbst offen ausspricht, dass die Mehrheit der sozialdemokratischen Wähler einstweilen anders urteilt und sie auf deren Hilfe angewiesen ist, falls sie die Herrschaft des Schnapsblocks stürzen will, was hat es dann für einen Sinn, diese Mehrheit sozusagen mit der Nase auf den alten erprobten Grundsatz zu stoßen: Trau, schau, wem? Mit unehrlichen Finten leitet man doch nicht ein ehrliches Bündnis ein.

Die Freisinnigen sagen nun wohl: Ja, die Revisionisten wollen das Bündnis mit uns, aber die Radikalen nicht, also müssen wir den Sieg der Revisionisten innerhalb der Sozialdemokratischen Partei befürworten. Das ist aber wieder nichts als eine unehrliche Finte. Es ist niemals einem Radikalen eingefallen, ein Bündnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf gleich und gleich gegenüber rückständigen Gesellschaftsklassen zu verschmähen. Das ist ja schon im Kommunistischen Manifest ausgesprochen, und der Zufall fügte es, dass wir dieser Tage in einem vom 28. September 1852 datierten Briefe von Marx an die „New York Tribüne" lasen1: In der Politik mag man sich zur Erreichung eines Zweckes mit dem Teufel selbst verbünden; nur muss man gewiss sein, dass man den Teufel in der Hand hat, und nicht er uns. Um jedoch nicht in den ungerechten Verdacht einer übertriebenen Marx-Gläubigkeit zu gelangen, so wollen wir hinzufügen, dass aus diesem Satze durchaus kein besonderes Genie spricht, sondern nur der einfache gesunde Menschenverstand, der für jede Partei, die überhaupt etwas von Politik versteht, zum Abc ihrer Taktik gehört.

So zum Beispiel, als Bülow seinen Hottentottenblock in die Welt setzte, wurden „Kreuz-Zeitung" und „Deutsche Tageszeitung" nicht müde zu wiederholen: Schön und gut, wir sind von der Partie, vorausgesetzt, dass wir keinen Deut von unseren Prinzipien zu opfern brauchen. Das heißt mit anderen Worten: Wir wollen uns mit dem Teufel verbünden, aber so, dass wir ihn in der Hand haben und er nicht uns. Bekanntlich haben sie danach auch gehandelt und sind als Sieger auf dem Plan geblieben, während der Liberalismus unter dem Hohngelächter der ganzen Welt aus dem Block hinausflog.

Überhaupt lässt sich die ganze Geschichte des deutschen Liberalismus dahin zusammenfassen, dass er seit den Tagen der Märzrevolution immer Bündnisse mit dem Teufel geschlossen hat, wobei der Teufel ihn in der Hand hatte, aber er niemals den Teufel. Dabei und dadurch ist er im Laufe der Jahrzehnte gänzlich auf den Hund gekommen, und es ist ein Einfall von einer wahrhaft greisenhaften Kinderei, wenn er jetzt die Arbeiterklasse prellen will, wie er von jeher durch die Reaktion geprellt worden ist, wenn er ein Bündnis mit ihr eingehen möchte, bei dem er den pfiffigen und sie den dummen Teufel spielen soll. Er weiß wohl, dass es ihm so gut nicht werde, dass diese tolle Burleske sich niemals abspielen wird, aber die Katze lässt das Mausen nicht, und sie schielt lieber nach der Taube auf dem Dache, als dass sie sich an dem Spatze genügen ließe, den sie mit einem Sprunge haschen könnte.

Auch die Streitfrage, um die in Magdeburg die Geister am heißesten aufeinander platzen werden, lässt sich auf die Frage zurückführen, ob der Teufel uns haben soll oder wir den Teufel. Es ist ja ein ganz hinfälliger Vorwurf, der unter Parteigenossen nicht laut werden sollte, dass die Mehrheit der Partei ein Bündnis mit den Liberalen zu dem Zwecke, die Herrschaft des Schnapsblocks zu stürzen, an und für sich verwirft. Die früheren Disziplinbrüche, auf die sich die badischen Disziplinbrecher berufen, sind einzig und allein begangen – und ebendeshalb von der Partei genehmigt worden –, um bei den Reichstagsstichwahlen von 1890 und 1903 die Liberalen gegen die konservativen Kandidaten herauszupauken, sosehr es die Liberalen an Gegenleistungen fehlen ließen. Was den badischen Disziplinbruch von diesen früheren Fällen unterscheidet, ist ebendies, dass er nicht den Teufel vors Parteiinteresse spannt, indem er die Liberalen als Kanonenfutter vernutzt, sondern dass er die wichtigsten Parteiinteressen und Parteiprinzipien einer Politik opfert, bei der nach der leider nicht grundlosen Ruhmrederei der „Kölnischen Zeitung" die badischen Nationalliberalen die unentwegten Prinzipienmänner, die badischen Genossen aber die Fraktion Drehscheibe gebildet haben. Damit kann sich die Partei nun und nimmer einverstanden erklären, wenn sie sich nicht selbst aufgeben will.

Der Versuch einer solchen Politik war nur möglich in einem entlegenen Kleinstaat, worin der proletarische Emanzipationskampf nach der historischen Lage der Dinge seine eigentümlichste und ursprünglichste Kraft nicht entfalten kann. Und selbst hier würde er binnen kurzem dasselbe Schicksal haben, das die unter ähnlichen Bedingungen geschlossenen Bündnisse der Liberalen mit den Konservativen gehabt haben. Wäre es sonst nur erlaubt, so möchte man fast wünschen, dass den badischen Genossen gestattet würde, ihr Experiment bis ans Ende zu führen. Es würde binnen Jahr und Tag Früchte zeitigen, die selbst die Genossen Kolb und Frank bekehren würden, wenn auch vielleicht nicht die Genossen Hildebrand und Maurenbrecher.

Ein helles Licht auf die augenblickliche politische Situation wirft die Haltung der junkerlichen Presse. Sie räsoniert auf die Revisionisten noch heftiger als auf die Radikalen, in der ganz richtigen Empfindung, dass der Sieg des Revisionismus dem Liberalismus, den das Junkertum so gründlich untergebuttert hat, einstweilen weiter auf die Beine helfen würde, hat aber heillose und sehr berechtigte Angst vor einem Wahlbündnis, wie es der Liberalismus jeden Tag von der Sozialdemokratie haben kann. Der Knuten-Oertel vergießt Tränen sympathischer Rührung über die „Würdelosigkeit", die dem Freisinn dadurch zugemutet würde, dass er sich mit der Sozialdemokratie ehrlich schlagen und vertragen soll, und die „Kreuz-Zeitung" beschwört in ellenlangen Leitartikeln den Schatten Eugen Richters als eines Helden und Märtyrers, der, wie dem konservativen Blatt zugegeben werden darf, seine Partei lieber um den letzten Schimmer von politischem Kredit bringen als einen vernünftigen Gedanken über die moderne Arbeiterbewegung hegen würde. Diese braven Blätter verlangen kurz und gut, dass der Freisinn dem Schnapsblock unbedingte Wahlhilfe im Kampfe mit der Sozialdemokratie leisten solle, was dann den Grundsatz, dass der Teufel nach ihrer Pfeife tanzen müsse und sie nicht nach seiner, auf die knappste und kürzeste Formel bringen heißt.

Ob der Freisinn auch noch darauf hineinfallen will, das ist schließlich seine Sache, und der Magdeburger Parteitag kann daran nichts ändern. Seine Aufgabe ist nicht, sich zu der Politik zu bekehren, die den Liberalismus seit sechzig Jahren von einer Niederlage zur anderen geführt hat, sondern aufs neue die Grundsätze zu bekräftigen, die die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung so reich an Ehren und Siegen gemacht haben wie die Geschichte keiner anderen kämpfenden Klasse. Die Partei kann trotzdem irren, mag manchmal geirrt haben und mag auch wieder irren, aber was nicht in ihren Sternen geschrieben steht, ist das tragikomische Schicksal, von den ewig Geprellten des Junkertums sich prellen zu lassen. Das ist für immer ausgeschlossen, und wenn der Teufel ein Bündnis von ihr haben will, so muss er ein für allemal darauf verzichten, sie am Narrenseile zu leiten. Soviel kann der Freisinn aus den Verhandlungen in Magdeburg lernen, und insofern mögen diese Verhandlungen für sein Schicksal bei den nächsten Reichstagswahlen entscheidend sein. Auf alle sonstigen Gelüste aber mag er nur verzichten und sich mit dem Troste bescheiden, dass die Magdeburger Mehrheit ihre Freude daran haben wird, wenn die Lektion endlich einmal bei ihm anschlägt.

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