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Franz Mehring 19110218 Klar zum Gefecht!

Franz Mehring: Klar zum Gefecht!

18. Februar 1911

[Die Neue Zeit, 29. Jg. 1910/11, Erster Band, S. 713-716. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 533-536]

Es scheint nunmehr festzustehen, dass nach Absicht der Regierung die Wahlen zum neuen Reichstag über Jahr und Tag stattfinden sollen, im Januar oder gar erst im Februar 1912. Damit sind Überraschungen keineswegs ausgeschlossen, aber eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass es so kommen wird, schon weil die Junker von Anfang an diesen Termin als den ihnen gelegensten empfohlen haben, und was die Junker wollen, das tut Bethmann Hollweg.

Neuerdings freilich hat sich eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen diesen schönen Seelen auf getan. Der Reichskanzler lässt sich in einem halboffiziösen Organ missbilligend über die mehr als derbe Art aus, in der vor einigen Tagen der konservative Führer Heydebrand die Nationalliberale Partei im preußischen Abgeordnetenhaus angehaucht hat. Es ist auch nicht schwer einzusehen, weshalb Bethmann Hollweg daran keinen Gefallen findet. Seine Wahlpolitik geht auf die berufene „Sammlung" aller bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie hinaus, und da kann ihm der Zwist zwischen Land- und Schlotjunkern unmöglich willkommen sein.

Schwerer zu verstehen ist, weshalb Herr v. Heydebrand so grobes Geschütz gegen die Fraktion Drehscheibe auffuhr, die doch so lange den Konservativen willige Gefolgschaft geleistet hat. Um eine gelegentliche Entgleisung des Temperaments kann es sich nicht handeln; nicht nur, weil so was einem mit allen Wassern gewaschenen Junker nicht so leicht passiert, sondern auch, weil die konservative Presse in einem gleich drohenden Ton „klar zum Gefecht" machen will. Oder sollen die Nationalliberalen für die gelegentlichen Anwandlungen von Widerspenstigkeit, die sich neuerdings in ihren Reihen gezeigt haben, so eingeschüchtert werden, dass derartige rollenwidrige Seitensprünge fortan unterbleiben? Für diesen Zweck wäre das Mittel doch ein wenig zu scharf. Die Nationalliberalen lassen sich zwar viel bieten, aber so vor allem Volke als die reinen Schuhputzer koramiert zu werden, das könnte doch selbst in ihren harmlosen Gemütern einige Galle aufregen.

Unter diesen Umständen darf man sich nicht darüber wundern, dass in der bürgerlichen Presse der Vorstoß Heydebrands in dem Sinne ausgelegt wird, als solle der junkerliche Brander in dem krassesten Sinne „klar zum Gefecht" gemacht werden, als steuere diese edle Gesellschaft unmittelbar auf den Staatsstreich los. Stoßen die Junker ihre ergebensten Helfer, deren Unterstützung sie in den nächsten Wahlen brauchen wie das liebe Brot, in so brüsker Weise vor den Kopf, so entsteht unwillkürlich der Verdacht, dass ihnen eine Wahlniederlage gar nicht so unwillkommen sein würde, um danach das Spiel mit dem „roten Gespenst", das ihnen bei den Moabiter Prozessen so kläglich misslungen ist, unter günstigeren Umständen zu wiederholen. Selbst wenn die „Sammlung" aller bürgerlichen Parteien gelänge und einen ähnlichen „nationalen Triumph" erzielte wie im Januar 1907, was sicherlich nicht geschehen wird, so wäre das im Sinne der Junker doch kein gründliches Reinemachen, und zudem hat Herr v. Heydebrand ein erlauchtes Vorbild für eine Staatsstreichpolitik, nämlich in dem Fürsten Bismarck, der, als der Kartellreichstag, wie jetzt der Hottentottenreichstag, das Maß seiner Sünden gefüllt hatte und nunmehr die Vergeltung vor der Türe stand, ebenfalls verbrecherische Attentate auf das allgemeine Wahlrecht in seinem staatsmännischen Busen nährte.

Es wäre auch verkehrt, dem Junker von Klein-Tschunkawe die Fähigkeit abzusprechen, in die unsauberen Fußstapfen zu treten, die der „Heros des Jahrhunderts" auf Erden hinterlassen hat. Solange die Junker über das Heer und die ganze Verwaltungsmaschinerie des Staates verfügen, besitzen sie die äußeren Mittel, einen Staatsstreich auszuführen, und lange ehe Cavour sein geflügeltes Wort aussprach, waren sie tief von der Weisheit des Satzes durchdrungen, dass mit dem Belagerungszustand jeder Esel regieren könne. Die Brandenburg und Manteuffel und Wrangel, die den Novemberstaatsstreich von 1848 ausführten, waren alles eher als erleuchtete Köpfe, und ein erlauchter Junker – wenn wir nicht sehr irren, war es der gegenwärtige Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses – hat ja schon vor Jahren erklärt, dass der Retter des Vaterlandes ein ganz dummer Teufel sein könne, wenn er anders nur ein starker Mann sei.

Eines freilich braucht jeder Staatsstreich zu seinem Gelingen: die Angst des Philisters, der um Haut und Beutel zittert: Ross und Reisige tun es allein nicht, sondern der träge Landsturm des Spießbürgertums, das seine Ruhe haben will, muss auch dabei sein. Deshalb müssen es sich die armen Nationalliberalen gefallen lassen, von Herrn v. Heydebrand als verkappte Sozialdemokraten angefahren zu werden, wie denn der ganze Widerstand der Massen gegen die so genannte Reichsfinanzreform auf „sozialdemokratische Verhetzung" zurückführen soll. Und dieser junkerliche Trick hat noch immer größere Wirkung, als er nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben sollte. Keine der liberalen Fraktionen, es sei denn das gewiss sehr ehrenwerte, aber politisch einflusslose Häuflein der Demokratischen Vereinigung, hat den Mut zu sagen: Allerdings werden wir, um die Junker zu stürzen, ein taktisches Wahlbündnis mit den Sozialdemokraten eingehen; man sucht sich im günstigsten Falle um diese entscheidende Frage herumzudrücken, und solange das geschieht, haben die Junker allzu begründete Aussicht, ihr Spiel schließlich zu gewinnen, so ungünstig auch ihre Aussichten sein mögen.

Sind die liberalen Parteien töricht genug, auf jede noch so alberne Herausforderung der Junker hin ihren Abscheu vor der Sozialdemokratie zu bekunden, so bestellen sie den Boden, worin ein junkerlicher Staatsstreich wurzeln kann, so nähren sie die philisterhaften Vorurteile gegen das „rote Gespenst", das die Junker gerade an die Wand gemalt zu sehen wünschen. Gewiss darf man von dem Liberalismus nicht verlangen, dass er mit dem Sozialismus zärtliche Liebesblicke austauschen soll, aber das verlangt auch niemand von ihm; der einzige, durchaus bescheidene Anspruch, der an ihn gestellt wird, besteht darin, dass er sich doch nicht in alle Ewigkeit zum Narren des Junkertums machen soll. Gerade jetzt, wo auch die Masse der Spießbürger über die Junkerwirtschaft empört ist, wäre der günstigste Augenblick, dieser Masse klarzumachen, dass ihr blinder Sozialistenhass gerade der sicherste Anker des junkerlichen Piratenschiffes ist. Geht dieser günstige Augenblick wieder ungenützt vorüber, lassen sich die liberalen Fraktionen wieder durch die junkerlichen Rodomontaden ins Bockshorn jagen, dann ebnen sie nur den Weg zum junkerlichen Staatsstreich. Dem junkerlichen: Klar zum Gefecht! wagen die Liberalen nur die Parole entgegenzusetzen: Unklar im Gefecht!, und damit werden sie abermals unter die Räder kommen.

Es sei denn, dass sie sich noch bessern, wozu sie glücklicherweise noch Zeit haben. Ist es ihnen ein unabweisbares Herzensbedürfnis, die alten Tiraden über die „sozialdemokratischen Utopien" usw. nochmals vom Stapel zu lassen, so mögen sie es nach ihrer Herzenslust tun; wenn ihnen diese Schlagworte wohl tun, uns tun sie nicht weh. Aber sie sollen endlich einmal sein, was zu sein sie sich ja mit besonderer Vorliebe rühmen, nämlich praktische Realpolitiker; sie sollen offen bekennen, dass sie ohne die Hilfe der Arbeiter das Junkertum nicht bezwingen können, und sie sollen deshalb diese Hilfe, die sie hintenherum doch gerne annehmen, nicht öffentlich mit allem sittlichen Pathos verleugnen. Das ist eine unehrliche und eine unweise Politik, weil sie das „rote Gespenst" heranzüchtet, das die Junker als Haupttreiber für ihre Hetzjagd brauchen. Und wie alle halbschlächtige Politik würde auch diese damit enden, dass die Liberalen die Zeche zu bezahlen hätten; wie ehedem die Kosten des Sozialistengesetzes, so würden sie die Kosten eines künftigen Staatsstreichs zu tragen haben.

Sie und nicht die Sozialdemokratie, die längst über das Maß hinausgewachsen ist, worin ihr junkerliche Staatsstreiche auch nur auf Jahre den Weg hätten verbauen können. Sie hat längst vor dem Junkertum „klar zum Gefecht" gemacht. Sie ist zu einem taktischen Wahlbündnis mit dem Liberalismus bereit, um die Macht des Junkertums zu brechen, aber sie ist auch bereit, ihre Pflicht zu tun, wenn der liberale Unverstand ihr den Weg ruhiger, wenn auch etwas langsamer Entwicklung versperrt und sie auf einen halsbrecherischeren, allein um vieles kürzeren Weg drängt. Sie wünscht keinen junkerlichen Staatsstreich, denn wozu die Blätter der Geschichte, die von ähnlichen Schandtaten schon über und über besudelt sind, noch mit einem neuen Frevel bedecken? Jedoch sie fürchtet ihn noch weniger, als sie ihn wünscht, denn sie weiß, dass er, wenn er schon einmal kommen soll, ihre Kraft weit schneller und stärker entwickeln wird, als unter normalen Umständen möglich sein würde.

Das ist immer so gewesen, und es kann auch niemals anders sein; deshalb salutieren wir gern den junkerlichen Schlachtruf: Klar zum Gefecht!

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