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Franz Mehring 19140702 Eine verlorene Schlacht

Franz Mehring: Eine verlorene Schlacht

2. Juli 1914

[Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin) Nr. 74, 2. Juli 1914. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 639-641]

Nulla dies sine linea – kein Tag ohne einen Strich! kann die Genossin Luxemburg mit dem alten Lateiner sagen. Kein Tag, ohne dass ein so großmächtiger Mann wie der preußische Kriegsminister einen neuen Strafantrag gegen sie stellt.

Eigentlich ist dieser Feldzug des Kriegsministers eine Beleidigung seines Kriegsherrn. Eben hat der Kaiser in verbesserter Form ein Wort Bismarcks wiederholt, indem er sagte: Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst absolut nichts und niemanden auf der Welt. Es ist anzunehmen, dass der Kaiser zu diesen Deutschen auch den preußischen Kriegsminister zählt, aber insoweit trifft das geflügelte Wort nicht zu. So unzweifelhaft es immer sein mag, dass Herr v. Falkenhayn Gott fürchtet, so ist es nicht weniger unzweifelhaft, dass er auch die Genossin Luxemburg fürchtet.

Indem er sie mit einem Pfeilregen von Strafanträgen überschüttet, ist er natürlich weit entfernt von allen niedrigen Beweggründen, wie Hass, Rachsucht und dergleichen. Ihm solche Motive unterzuschieben, wäre eine wirkliche Kränkung eines so hoch stehenden Staatsmanns. Auf der andern Seite darf man allerdings auch nicht annehmen, dass er die Genossin Luxemburg mit seinen Anklagen bombardiert, um das von ihr verletzte Gesetz zu sühnen. Wäre Herr v. Falkenhayn von so reizbarem Rechtsgefühl, so wäre er längst gegen den gräulichen Duellunfug im Offizierskorps eingeschritten und zudem – bei den strengen Kompetenzbegriffen der preußischen Bürokratie – würde er sich hüten, seinem Kollegen von der Justiz ins Handwerk zu pfuschen.

Also – Herr v. Falkenhayn fürchtet die Genossin Luxemburg und will sie durch Mittel schädigen, über deren moralische Qualitäten wir uns jeden Urteils enthalten wollen. Aber wie man sonst immer über diese Mittel denken mag, so sind sie – was ein französischer Staatsmann für ärger als irgendeine sittliche Unzulänglichkeit erklärt hat – ein Fehler. Denn ohne Herrn v. Falkenhayn zu unter- oder die Genossin Luxemburg zu überschätzen, so muss man doch anerkennen, dass sie eine bessere Strategin ist als dieser treffliche Kriegsmann.

Als sie im Frühjahr dieses Jahres auf eine elende Denunziation hin zu einem Jahre Gefängnis verurteilt wurde, durch ein Urteil, dessen juridische Unfassbarkeit noch der Prüfung durch das Reichsgericht harrt, setzte sie ihre Agitation gegen das System des Militarismus mit verstärkten Kräften fort. Das entsprach den alten Überlieferungen, durch die die deutsche Sozialdemokratie groß und stark geworden ist. Dem Angreifer nur um so entschlossener entgegenzutreten, auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen, das ist die einzige Taktik, die der Ehre und Würde einer revolutionären Arbeiterpartei entspricht, die einzige Taktik, die ihren Sieg verbürgen kann.

Tat somit die Genossin Luxemburg das klügste, was sie tun konnte, so tat Herr v. Falkenhayn das unklügste, was sich in seiner Lage tun ließ, indem er an die Kautschukparagraphen des Strafgesetzbuches appellierte, um die Genossin Luxemburg nun doch lahm zu legen. Auf Anklagen, die vom Scheitel bis zur Zehe mit Gründen und Tatsachen gepanzert sind, damit zu antworten, dass man den Ankläger an Leib und Leben oder mindestens an seinem Geldbeutel zu schädigen sucht, hat noch nie in der Geschichte als das Zeichen einer gerechten Sache oder eines guten Gewissens gegolten. Vielmehr immer als das Zeichen des Gegenteils!

Aber wenn oft erst das Urteil der Geschichte dem Rechte zu seiner Ehre und der Gewalt zu ihrer Unehre verhilft, so geht mitunter doch auch schon in dieser unvollkommenen Welt der Krug nur so lange zu Brunnen, bis er bricht. Einige durchaus maßvolle Worte der Genossin Luxemburg über die Soldatenmisshandlungen, diesen argen Schandfleck des deutschen Heeres, zum Gegenstand einer Beleidigungsklage zu machen, das war ein Unterfangen, das dem Kriegsminister nicht gut bekommen ist. Worauf es abgesehen war, zeigte das verzweifelte Benehmen des Staatsanwalts, der sich offenbar in vollem Sicherheitsgefühl der Erwartung hingegeben hatte, dass in einem halben oder ganzen Stündchen die Sache zur vollen Befriedigung des Kriegsministers erledigt sein würde, und der sich mit Händen und Füßen gegen die Anträge der Verteidigung auf Beweisaufnahme sträubte. Fürwahr ein erbauliches Schauspiel! Nach der Absicht des Staatsanwalts sollte die Genossin Luxemburg verurteilt werden, weil sie nicht erweislich wahre Tatsachen zu Unehren des Militarismus behauptet habe, und die Prüfung dieser Tatsachen auf ihre Nichterweislichkeit bekämpft derselbe Staatsanwalt mit der ganzen Fülle seiner Beredsamkeit!

Darauf hat sich der Gerichtshof nun doch nicht eingelassen, und tausend Zeugen stehen bereit, den Schleier von den düstern Geheimnissen zu ziehen, die sich hinter den Mauern der Kasernen verbergen. Sicherlich wird jetzt noch alles aufgeboten werden, die Vernehmung dieser Zeugen ganz oder teilweise zu verhindern, aber auch wenn es gelingen sollte – und dann erst recht –, wird die Schlacht für den Kriegsminister verloren sein.

So erschreckend das System des Militarismus ist, so hat es ein französischer Schriftsteller – Claude Tillier in seinem „Onkel Benjamin" – mit köstlichem Humor also geschildert: „Sie nehmen dir einen Mann in der Kraft der Jugend, legen ihm ein Gewehr in die Hand, hängen ihm einen Tornister auf den Rücken, heften ihm eine Kokarde an die Stirn und sagen dann zu ihm: Mein Kollege Preußen hat gegen mich Unrecht, du wirst über seine Untertanen herfallen. Ich habe sie durch meinen Gerichtsdiener, den man Herold nennt, benachrichtigen lassen, dass du am ersten April die Ehre haben wirst, dich zu ihrer Abwürgung auf der Grenze zu zeigen, und dass sie sich zu deinem freundlichen Empfang bereitzuhalten hätten. Zwischen Monarchen ist man sich Rücksichten schuldig. Beim ersten Anblick wirst du vielleicht glauben, dass unsere Feinde Menschen sind, aber ich versichere dich, es sind keine Menschen, es sind Preußen; du wirst sie an der Farbe ihrer Uniform von der menschlichen Rasse unterscheiden. Bestrebe dich, deine Pflicht gut zu erfüllen, denn ich werde auf meinem Throne sitzend da sein, werde dich anblicken. Erringst du den Sieg, so wird man dich, sobald du nach Frankreich zurückkehrst, unter die Fenster meines Palastes führen; ich werde in großer Uniform herbeikommen und zu euch sagen: Soldaten, ich bin mit euch zufrieden. Seid ihr hunderttausend Mann, so wirst du den hunderttausendsten Anteil an diesen sechs Worten erhalten." So Claude Tillier.

Aber wenn der preußische Kriegsminister zum nächsten Vortrag bei seinem Kriegsherrn antritt, wird ihn schwerlich der Gruß empfangen: Exzellenz, ich bin mit euch zufrieden, obgleich dem Herrn v. Falkenhayn der ungeschmälerte Genuss der sechs Worte zustände.

gez.: F. M.

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