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Franz Mehring 19140108 Monarchie und Sozialdemokratie

Franz Mehring: Monarchie und Sozialdemokratie

8. Januar 1914

[Sozialdemokratische Korrespondenz (Berlin) Nr. 4, 8. Januar 1914. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 604-607]

Nichts ist unerbittlicher als die Logik der Tatsachen. Die Hohenzollern haben immer hoch von ihrem Herrscherberufe gedacht, aber keiner seiner Vorfahren, auch Friedrich Wilhelm IV. nicht, hat seine monarchische Autorität so straff gespannt wie der gegenwärtige Kaiser. Und so ist es ein bemerkenswertes Zeichen der Zeit, dass diese Autorität nach den Bemühungen eines viertel Jahrhunderts von niemandem so andauernd angefochten wird wie von dem, der ihren Segen am ehesten begreifen sollte, da er ihre Wirkungen am genauesten beobachtet hat und sie dermaleinst selbst wahren soll, nämlich von dem deutschen Kronprinzen.

Seine Einmischung in die Affäre Zabern, die als solche feststeht, wenn auch über ihre Einzelheiten noch gestritten werden mag, reiht sich würdig seinen früheren Kundgebungen gegen die Regierung seines Kaisers, Herrn und Vaters an. Diese Regierung ist ihm noch immer nicht reaktionär genug; wie er einst von der Zuschauertribüne des Reichstags seinen Beifall spendete, als der biedere Heydebrand mit der junkerlichen Plempe rasselte, so haben es ihm jetzt die Säbelhelden von Zabern angetan. Geistig kennzeichnet sich diese Weltanschauung hinlänglich dadurch, dass Herr Paul Liman in Leipzig, der Mann mit doppelter Zunge, der Herold der kronprinzlichen Gedanken sein darf. Doch soll den Vorstößen des Kronprinzen deshalb keineswegs ein origineller Zug abgesprochen werden.

Die Kronprinzenfronde ist eine uralte Geschichte; sie gehört zur Monarchie wie die Träne zur herben Zwiebel. Und am Ende ist sie auch so ganz unverständlich nicht. Denn es ist ein herbes Los, mit 18 Jahren, wenn kaum der erste Flaum ums Kinn sprießt, schon reif zu sein für den schwierigen Herrscherberuf und dann all die sauer erworbene Weisheit in stiller Brust verstauben zu lassen, jahre- und jahrzehntelang und manchmal bis schon der Tod an die Türe klopft. Allein bisher hatten die frondierenden Kronprinzen die unverbrüchliche Gewohnheit, ihre zukünftige Herrschaft in rosigem Lichte strahlen zu lassen; der Kronprinzenliberalismus wurde sprichwörtlich, und er herrschte auch unter den Hohenzollern, vom Könige Friedrich des 18. bis zum Kaiser Friedrich des 19. Jahrhunderts. Hier nun bricht der gegenwärtige Kronprinz eine neue Bahn. Er hält sich an das biblische Wort von den Geißeln und den Skorpionen; er beschwört keine liberale Fata Morgana herauf, sondern meint einfach, kernig und schlicht, der Januschauer ist ein ganz anderer Mann als der Süßholzraspler Bülow, und mit Limans Schaumschlägerei lässt sich Bethmanns Philosophie von oben bis unten einseifen.

Darüber erbosen sich die bürgerlichen Freiheitshelden; dieselben Kumpane, die vor 50 Jahren, als der damalige Kronprinz Friedrich noch nach der alten liberalen Methode gegen den König Wilhelm frondierte, begeistert in die Harfen stürmten, „die von Gott so vielfach gesegnete Dynastie" habe nun einen Spross nach ihrem Herzen getrieben; dieselben Kumpane, die seit Jahren immer weiter nach rechts gerutscht sind und deshalb eigentlich nicht an den Kronprinzen das von ihrem Standpunkt aus unbillige Verlangen stellen sollten, dass er nach links marschiere. Diese Liberalen, die nicht schnell genug in die Knechtschaft stürzen können, sollten sich vielmehr angenehm berührt fühlen, wenn der Kronprinz ihnen verheißt, ihnen dermaleinst ein gestrenger Herr zu sein.

Aber die Konsequenz ist nun einmal ihre Sache nicht, und so soll der Reichstag ein kräftiges Wörtlein drein sprechen; er soll sich das persönliche Nebenregiment des Kronprinzen aufs entschiedenste verbitten. Du lieber Himmel! Hätten wir einen Reichstag, der wirklich ein bürgerliches Parlament wäre, so wären dem Kronprinzen die Angriffe, in denen er sich seit Jahren gefällt, längst gründlich verleidet worden; so aber wird ein bisschen parlamentarischer Spektakel, als Zeugnis dafür, dass die „Kerls" sich gründlich geärgert haben, den Januschauern und Limännern nur die Suppe würzen, die sie dem deutschen Michel eingebrockt haben.

Der Arbeiterklasse ziemt es nicht, sich in den liberalen Trödel zu mischen. Sie steht über all dem kleinlichen Kram der bürgerlichen Parteipolitik, und sie weiß auch, dass monarchische Höfe die ewigen Stätten von Intrigen und Kabalen sind, die für den großen Gang der Geschichte wenig oder gar nichts bedeuten. Sie hat unter der Regierung des gegenwärtigen Kaisers schwer gelitten und ist trotz alledem rüstig vorwärts gekommen; wenn sie unter der künftigen Regierung des Kronprinzen noch schwerer leiden sollte, so wird sich ihr Vormarsch nur umso schneller vollziehen. Wie alle Tagesfragen, misst sie auch den Streit zwischen Kaiser und Kronprinzen an ihren bleibenden Prinzipien, und als grundsätzliche Gegnerin der Monarchie kann sie zweierlei daraus schöpfen: einen Antrieb und eine Hoffnung. Den Antrieb, die „Entmonarchisierung" der Massen um so kräftiger zu betreiben, und die Hoffnung, auf diesem Wege schneller vorwärts zu kommen als jemals früher.

Die innere Unhaltbarkeit des monarchischen Prinzips lässt sich nicht schlagender nachweisen als durch das Gebaren des Kronprinzen. Ein junger Mann, von dem die Welt nichts weiß, als dass er sich in den so genannten Gedankenkreisen der Alldeutschen bewegt, soll einmal, und vielleicht morgen schon, die Gewalt haben, über Krieg und Frieden zu entscheiden, die Gewalt, die Würfel über die Lose einer großen Nation zu werfen. Diese Vorstellung ist so niederziehend, dass sie aufklärend in den weitesten Schichten wirken kann. Aber freilich tut es diese Aufklärung nicht allein; sie ist eine unerlässliche Vorbedingung zur Lösung der monarchischen Frage, jedoch noch nicht diese Lösung selbst. Eine politische Herrschafts- und Unterdrückungsmaschine, wie die Monarchie ist und ihrem Wesen nach nur sein kann, stirbt nicht daran, dass ihre Unvernunft den Beherrschten und Unterdrückten noch so klar einleuchtet. Sie muss innerlich überlebt sein, damit man nach dem modischen Schlagwort das Fallende mit Erfolg stoßen kann.

Und in dieser Beziehung eröffnet der Streit des Kronprinzen mit der Regierung des Kaisers recht erfreuliche Aussichten. Sosehr die Kronprinzenfronde der Schatten der Monarchie ist, so war sie doch in Zeiten, wo die Monarchie als politische Organisation noch lebenskräftige Wurzeln hatte, nur ein flüchtig wechselnder Schatten. Die Kronprinzen muckten wohl auf, aber befahlen sich alsbald wieder in die Hand ihres gnädigen Herrn Vaters; über allem persönlichen Ehrgeiz stand ihnen das Ansehen der Monarchie. Sie handelten so in dem Selbsterhaltungstriebe, der eine noch lebensfähige Erscheinung der Geschichte immer richtig berät, und aus demselben Triebe heraus wiesen sie bei ihren jeweiligen Oppositionsversuchen in eine lachende Zukunft.

Anders die Fronde des gegenwärtigen Kronprinzen. Sie ist seit Jahren nicht totzukriegen, so zweifellos die stärksten Anstrengungen in dieser Richtung gemacht worden sind; sie begleitet die Regierung des Kaisers wie ein dunkler Schatten und weist drohend in eine gewitterschwangere Zukunft. Man kann sich kein besseres Zeugnis für die Tatsache wünschen, dass die innere Spannkraft der Monarchie unaufhaltsam erlahmt, und man entdeckt auch leicht den inneren Zusammenhang der Dinge. Es ist ein trügerischer Schein, wenn die Monarchie heute mächtiger zu sein scheint als je. Sie sieht nur so aus, weil die Klassenkämpfe, von deren noch unentschiedenem Schwanken sie lebt, gewaltiger sind als in irgendeiner Vergangenheit. Für die Monarchie ist es ganz gleich, ob die Bourgeoisie oder das Proletariat siegt; in jedem der beiden Fälle ist ihre Herrlichkeit dahin.

Wessen Sieg aber tatsächlich herannaht, zeigt das Bündnis des Kronprinzen mit der beschränktesten und rückständigsten aller deutschen Parteien, und die „Elenden", die er zu beschimpfen gesucht hat, erkennen gern an, dass er durch seine Fronde die tönernen Füße des Kolosses enthüllt.

gez.: F. M.

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