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Franz Mehring 19170429 An den Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Arbeiter- und Soldatenrates, Genossen Tschcheidse, Petrograd, Taurisches Palais

Franz Mehring: An den Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Arbeiter- und Soldatenrates, Genossen Tschcheidse, Petrograd, Taurisches Palais

29. April 1917

[Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung

Reihe II, Bd. 1, Dietz Verlag, Berlin 1958, S. 591-593. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 720-722]

Infolge äußerer Hindernisse kommen wir vielleicht mit unseren Glückwünschen und Brudergruß als letzte, obwohl wir unter den ersten erscheinen dürften, da unsere Richtung in Deutschland, genannt „Internationale", unter den schwierigsten Verhältnissen auf demselben Boden, mit denselben Mitteln und unter Anwendung der gleichen Taktik kämpft, wie sie von Euch angewendet worden sind, bevor die glorreiche Revolution Euren Kampf und Eure Anstrengungen mit dem Siege gekrönt hat. Wir unterlassen es, unserer Freude besonderen Ausdruck zu geben, da Euer Sieg unser Sieg ist, der Sieg jenes Teils des Proletariats aller Länder, der dem Sozialismus auch während der Kriegskrise Treue bewahrte.

Die Revolution in Russland gehört nicht nur zu den größten Ereignissen der Weltgeschichte. Noch viel wichtiger ist, dass die Rolle und Leistung des klassenbewussten russischen Proletariats in der Revolution eine Ehrenrettung und eine Sicherung des internationalen Sozialismus bedeuten. Sie zeigt, was das Proletariat auch in den kriegführenden Ländern vollbringen kann, wenn es unbeirrt den rücksichtslosen Klassenkampf gegen die Macht des Imperialismus führt. Sie verbürgt den Sieg des gestern noch scheinbar zur völligen Ohnmacht verurteilten Sozialismus in allen Kulturländern.

Die brennendste Aufgabe für uns alle ist gegenwärtig die Erkämpfung des Friedens, und ihr soll die geplante internationale Konferenz in Stockholm1 dienen. Als deutsche Sozialdemokraten protestieren wir sowohl aus prinzipiellen wie aus Zweckmäßigkeitsgründen aufs schärfste dagegen, dass die so genannte sozialdemokratische Mehrheit in Deutschland, d. h. die um den Parteivorstand gruppierten Regierungssozialisten, zu dieser Konferenz zugelassen wird. Wir lehnen jede Beteiligung an einer Beratung mit diesen Elementen ab und fordern unsere russischen Freunde und Gesinnungsgenossen dringend auf, im Interesse eines proletarischen Friedens wie auch der Wiedergeburt einer wirklichen sozialistischen Internationale ebenfalls die Zulassung der deutschen Mehrheit mit allen Kräften abzuwehren. Sie würde auf der Konferenz tatsächlich nicht den Sozialismus und nicht das deutsche Proletariat, sondern die deutsche Regierung und ihre Interessen vertreten. Soll das internationale Proletariat, wie Euer Aufruf „An die Völker der ganzen Welt" fordert und wie es auch unserer Überzeugung entspricht, die Sache des Friedens in die eigenen Hände nehmen, so kann es dies unmöglich in Gemeinschaft mit den kriegführenden imperialistischen Regierungen oder, was dasselbe ist, mit deren verkappten Vertretern tun, die bei sich zu Hause die geschworenen Gegner jeder selbständigen Massenaktion der Arbeiter sind und als Bollwerk ihrer Klassensolidarität mit der Bourgeoisie wirken.

Soll ferner die Internationale, die am Kriege zugrunde gegangen ist, durch die internationale Aktion des Proletariats für den Frieden zu neuem Leben auferweckt werden, so müssen von ihr von vornherein alle sozialimperialistischen Elemente ausgeschlossen bleiben, denn gerade der solidarische, auf internationaler Basis gegen den Imperialismus geführte Kampf wird und muss die Zentralachse, ja das Wesen der neuen Internationale bilden. Und schließlich würde die Zustimmung der russischen Genossen zur Zulassung der Herren Südekum, Scheidemann, Legien usw. zu der Stockholmer Konferenz einen schweren Schlag für den internationalen sozialistischen Gedanken in Deutschland und unsere gemeinsame Sache bedeuten. Indem sie als eine Anerkennung und Legitimierung dieser Herren durch den internationalen Sozialismus ausgelegt werden dürfte, würde sie auf den bereits weit fortgeschrittenen Klärungsprozess unter den deutschen Arbeitern in höchstem Maße verwirrend wirken. Wir sind fest überzeugt, dass die russischen Freunde ihren deutschen Gesinnungsgenossen diesen Schlag ersparen werden.

Das eben Gesagte bringt die Ansicht zum Ausdruck, die die Gruppe Internationale in Deutschland beseelt, und ich bin sicher, ebenfalls im Namen meiner im Gefängnis und Zuchthaus eingekerkerten Freunde, der Genossin Luxemburg und des Genossen Liebknecht, zu sprechen.

Für den Fall, dass äußere Hindernisse meinen Freunden und mir das Erscheinen auf der Konferenz unmöglich machen sollten, stelle ich hiermit fest, dass keine andere Delegation aus Deutschland dazu berufen ist, uns zu vertreten.

Wir geben Euch unsere heißesten Glückwünsche mit auf den Weg zu den neuen schweren Kämpfen, die Euer noch harren. Hoch die russische Revolution! Möge sie als Wegweiser dem internationalen Proletariat dienen!

Die Gruppe Internationale I. A.: Fr. Mehring

PS. Werter Genosse Tschcheidse! Ich bitte Sie, das vorangehende Schreiben dem Arbeiter- und Soldatenrat in öffentlicher Sitzung und auch an die Presse mitzuteilen.

1 Gemeint ist die vom holländisch-skandinavischen Komitee des Internationalen Sozialistischen Büros und vom Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten vorbereitete und nach mehreren zeitlichen Verlegungen zum 15. August 1917 einberufene internationale Konferenz aller Arbeiterparteien und -Organisationen. Die meisten der Zimmerwalder Bewegung angeschlossenen Parteien und Gruppen lehnten die Beteiligung an einer Konferenz mit den Sozialchauvinisten ab. Vertreter der Bolschewiki erklärten, sie zögen sich von der Zimmerwalder Bewegung zurück, falls die Teilnahme an dieser Konferenz beschlossen würde. Haase dagegen gab den Beschluss der Führung der USPD bekannt, sich an der Konferenz zu beteiligen. Die Internationale Sozialistische Kommission lehnte die Unterzeichnung des Einladungsaufrufes für die rechtssozialistische Konferenz ab. Da die englische und die französische Regierung den Delegierten aus ihren Ländern die Ausreise verweigerten, kam die Konferenz nicht zustande.

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