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Franz Mehring 19170217 Ein Schritt vorwärts

Franz Mehring: Ein Schritt vorwärts

17. Februar 1917

[Der Kampf (Duisburg), Nr. 37, 17. Februar 1917. Nach Gesammelte Schriften, Band 15, S. 703 f.]

Die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft hat sich endlich dazu aufgerafft, den Handschuh aufzunehmen, den ihr die „nationalsoziale Regierungspartei" hingeworfen hat. Unter ganz treffender Kennzeichnung dieser Partei beruft sie für den Monat März eine Konferenz aller oppositionellen Elemente, um sich organisatorisch zum Kampf gegen die antisozialistische und imperialistische Politik des Rumpfparteivorstandes und der Reichstagsfraktion zusammenzuschließen. Es ist ein Schritt, der längst hätte geschehen sollen. Aber wenn er spät getan wird, so doch noch nicht zu spät. So mag man das Vergangene einstweilen vergangen sein lassen, wenn es nun wirklich vorwärts geht, wenn die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft sich endlich für ein klares und unzweideutiges Programm entscheidet und hinter dieses Programm einen entschlossenen und unbeugsamen Willen setzt. Denn wenn der erste Schritt vorwärts nur getan würde, um dann wieder voller Bedenken und Halbheiten und Zweifel stille zu stehen, so wäre es freilich besser, er würde überhaupt nicht erst getan.

Wie im Kriege, so hat auch im Parteikampf die Verteidigung ihre Vorzüge, und es mag unter Umständen ganz richtig sein, wenn man den Gegner erst recht tief in den Sumpf tappen lässt. Jedoch noch hat es keinen Krieg und keinen Parteikampf gegeben, worin der Teil gesiegt hätte, der sich auf die Verteidigung beschränkte und nicht im richtigen Augenblick zum Angriff überzugehen wusste. Ist der Gegner in den Sumpf geraten, dann genügt es wirklich nicht, zu seiner Beschämung auf dem festen Lande allerlei korrekte Parademärsche auszuführen, sondern man muss wie ein Donnerkeil über ihn dreinfahren.

Es ist wohl begreiflich, dass vielen alten Genossen, denen die Partei zur wahren Heimat geworden ist, die Entscheidung schwer gefallen ist und schwer fällt, dass sie aus den Trümmern zu retten gesucht haben und suchen, was irgend zu retten ist. Allein alles auf der Welt hat seine Grenze. Reißt ihnen vandalische Zerstörungswut das Haus über dem Kopfe zusammen, dann darf ihre Anhänglichkeit an die alte Stätte ihres Wirkens nicht zur sentimentalen Schwäche werden, und sie müssen es verstehen, sich ein neues Heim zu schaffen, ein Heim unter festem Dach und Fach.

Was die bisherige Politik der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft am meisten gelähmt hat, ist der Mangel eines einheitlichen Programms. Es sind recht verschiedene Elemente in ihr vertreten, verschieden wenigstens, wenn nicht in den allgemeinen Grundsätzen des Sozialismus, so doch in dem Urteil über die brennenden Fragen des Tages, wie zum Beispiel in der Frage der Vaterlandsverteidigung. In alledem muss klare Bahn geschaffen werden. Nichts ist verhängnisvoller für eine Oppositionspartei, als wenn sie ihre Prinzipien verwischt oder ihnen auch nur ein Titelchen abdingen lässt, um ein paar schwächliche Elemente mehr bei der Fahne zu erhalten oder um die Fahne zu sammeln.

Das gilt schon von jeder bürgerlichen Opposition. Als in der preußischen Konfliktszeit die Fortschrittspartei das „ganze Land" hinter sich hatte, aber nur, um auch die Kranken, Lahmen und Schwachen hinter sich zu behalten, in ihrer Opposition immer zahmer wurde, zerstob sie am Tage der Entscheidung wie ein Haufen Sand. Und nun gar eine proletarische Oppositionspartei! Was ist vor dem Kriege bei den ewigen Zugeständnissen an den Revisionismus herausgekommen, als dass am Tage der Entscheidung der leere Tamtam der patriotischen Phrase die mahnende Stimme des sozialistischen Gewissens übertönte? Und die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft hat in ihrem kurzen Dasein doch auch manches Mal schon die Erfahrung gemacht, dass mit diplomatischer Pfiffigkeit verteufelt wenig auszurichten ist. Sie beantwortete den Raub des „Vorwärts"1 nicht mit der ehrlichen Aufforderung, das geschändete Blatt nicht mehr zu halten und zu lesen, sondern mit der ausgeklügelten Tiftelei, es zwar zu abonnieren, aber nicht zu bezahlen, und es scheint nicht, dass sie mit einer Parole, die nur durch irgendeinen weitläufigen Gedankengang verstanden werden konnte, besonderes Glück gehabt hat.

Die Massen sind immer nur durch einfache, klare, unzweideutige Grundsätze, sie sind immer nur durch eine entschlossene und vollkommen durchsichtige Taktik zu gewinnen. Daran hat es die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft zur Zeit allzu sehr fehlen lassen. Ihre Entschuldigungsgründe, die für ihr bisheriges Schwanken geltend gemacht werden können, sind durch die brutalen Gewaltstreiche des Rumpfparteivorstandes aus dem Wege geräumt. Nun muss es sich zeigen, ob sie auf Rhodus tanzen kann oder nicht.

Ist die Einberufung ihrer Konferenz von dieser Erkenntnis diktiert, wie wir hoffen, so kann sie ein Schritt vorwärts sein; im andern Falle würde sie zum letzten Schritt in den Abgrund werden.

gezeichnet

1 Gemeint ist, dass nach Bildung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft im Sommer 1916 der Rest-Parteivorstand der SPD den „Vorwärts" unter die Zensur eines seiner Mitglieder stellte (Stampfer), weil die Redakteure zu den Anhängern der Soz. Ag. gehörten. Als Anlass diente, dass der „Vorwärts" wieder einmal von der Zensur verboten worden war. 1917, nachdem die USPD formell gegründet worden war, wurden die bisherigen Redakteure entfernt und Stampfer zum Chefredakteur gemacht.

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