Franz Mehring 19011030 Bruno Schoenlank

Franz Mehring: Bruno Schoenlank

Oktober 1901

[Die Neue Zeit, 20. Jg. 1901/02, Erster Band, Beilage zu Nr. 5. Nach Gesammelte Schriften, Band 4, S. 501-503]

Der Tod ist als ein Erlöser an das Krankenlager getreten, auf das ein zerstörendes Siechtum unseren Genossen Schoenlank gestreckt hatte. Die Trauer verstummt, wo sie doch nur klagen könnte, dass der entseelte Körper aufgehört hat zu vegetieren; nachdem soviel Feuer, soviel Geist, soviel Leben erloschen war, ist es wehmütiger zu sehen, dass ihre Hülle dauert, als dass sie zerfällt.

Umso freier und reiner steht das Bild des verblichenen Freundes vor uns. Er ist in einem Alter gestorben, das die Alten noch zur Jugend rechneten, wenig über vierzig Jahre alt, von denen nahezu die Hälfte dem Dienste der Partei gehört hat. In der Zeit ihrer ärgsten Bedrängnis hat Bruno Schoenlank sich ihr angeschlossen, kein verbummelter Student, der sich in die neue Welt rettete, weil ihm die Tore der alten Welt verschlossen waren, vielmehr reich ausgerüstet mit allem, was die deutschen Hochschulen an Wissensstoff bieten, ein Jüngling, dem in jeder Beziehung offen stand, was man in der bürgerlichen Welt eine „glänzende Karriere" zu nennen pflegt. Ihm aber leuchteten reinere Sterne, und an der Schwelle, die ihn ins Leben führen sollte, entschloss er sich, in Reih und Glied des kämpfenden Proletariats zu treten.

In Reih und Glied – denn im Anfang der achtziger Jahre hatte die deutsche Sozialdemokratie nichts zu bieten, was ein großes Talent hätte locken können, das nur von eitlen Trieben geleitet worden wäre. Von jenem Ehrgeiz, der sich im Dienste einer weltbefreienden Sache auszuzeichnen strebt, besaß auch Schoenlank seinen reichlichen Anteil, und welcher geborene Kämpfer wäre ohne diesen Ehrgeiz denkbar? Aber er war frei von jeder irdischen Rücksicht, als er den Schätzen dieser Welt den Rücken kehrte und, indem er sich in die deutsche Arbeiterbewegung warf, ein persönliches Los zog, das dunkel und gefahrvoll genug war. Er hat damals willig das schwerste Opfer gebracht, das ein wissenschaftlich befähigter und geschulter Kopf bringen kann: in drückender Tagesfron, unter der launischen Zensur des Sozialistengesetzes, in einem erbitternden Kleinkrieg mit untergeordneten Polizeischergen hat er sieben Jahre erst in München, dann in Nürnberg ausgeharrt, bis endlich das Ausnahmegesetz fiel, zu dessen Sturz er sich rühmen durfte ein gutes Teil beigetragen zu haben.

Er war frisch geblieben in dem Kampfe, der um Tod oder Leben, bis aufs Messer geführt worden war, in einem Kampfe, worin auch eine gediegene Bildung so leicht verwildert. Dank seinem unermüdlichen Fleiße hatte er immer noch Zeit gefunden, wissenschaftlich zu arbeiten; die Früchte dieser Arbeit finden sich reichlich in den ersten Jahrgängen der „Neuen Zeit", die in ihren Anfängen ihm viel verdankte, in erster Reihe die glänzenden Studien über die Fürther Quecksilberspiegelbeleger. Diese Studien zu einem Buche abzurunden, boten dann die langen Gefängnisstrafen, die Schoenlank sich im Dienste der Partei zuzog, willkommene Gelegenheit. Die Schrift erregte bei ihrem Erscheinen im Jahre 1887 beträchtliches Aufsehen, fand ihren Nachhall in den Verhandlungen des Reichstages und hat sogar die gemächlichen Gepflogenheiten der deutschen Bürokratie so weit angespornt, dass der Bundesrat eine Verordnung zum Schutze der Quecksilberarbeiter erließ.

In der Geschichte der sozialen Wissenschaften wird dies Buch den Namen Schoenlanks dauernd erhalten. Er sagt in der Vorrede: „Die wirtschaftliche Detailuntersuchung hat die Bewegungsgesetze der modernen Produktionsweise an konkreten Fällen auf enger abgegrenztem Beobachtungsfeld zu erforschen. Wenn sie ins Einzelne geht, so tut sie es nicht aus Lust an der Kleinmalerei; getreu ihrer Aufgabe wendet sie die mikroskopische Methode an, um in der bunten Mannigfaltigkeit des ökonomischen Getriebes den treibenden Kräften nachzuspüren. Es gilt, mit rücksichtsloser Offenheit die Zustände zu schildern, wie sie sind, nichts zu vertuschen, selbst zu beobachten und aus den Quellen zu schöpfen … Die Bourgeoisie weicht jeder ernsthaften Erörterung der wichtigsten aller Probleme aus; sie wird empfindsam wie eine Mimose bei ungeschminkten Berichten über die Lage des werktätigen Volkes. Das Unternehmertum liebt es nicht, dass man ihm einen Spiegel vorhält, auch das Spiegel fabrizierende Unternehmertum nicht. Sein bürgerlicher Instinkt sagt ihm, dass wachsende Erkenntnis der gesellschaftlichen Missstände die fortschreitende Emanzipation der Arbeiterklasse bedeutet… Was ich Marx, was ich Engels, den genialen Bahnbrechern der modernen Wirtschaftsgeschichte, in theoretischer Beziehung verdanke, das sagt jede Seite dieses Buches." Die Schrift ist ein kleines Juwel nach Form und Inhalt. Sie steht an Glanz und Schärfe den empirischen Beobachtungen der besten bürgerlichen Arbeiten dieser Art, etwa den Monographien von Hans Emanuel Sax und Schnapper-Arndt, mindestens gleich, übertrifft sie aber alle durch die rücksichtslose Anwendung des prinzipiellen und theoretischen Maßstabs, womit die tatsächlichen Zustände gemessen werden müssen, um erschöpfend verstanden zu werden.

In den ersten Jahren nach dem Falle des Sozialistengesetzes schien es, als ob Schoenlank, der inzwischen nach Berlin übergesiedelt war, nicht Recht seinen sozusagen geistigen Schwerpunkt finden könne. Er arbeitete ein paar Jahre als Mitredakteur am „Vorwärts", gab eine zweite wissenschaftliche Schrift über soziale Kämpfe im Mittelalter heraus, wurde von den Breslauer Genossen in den Reichstag gewählt, aber so Dankenswertes er auf allen diesen Gebieten leistete, so erfüllte er doch nicht vollkommen die großen Hoffnungen, die auf ihn gesetzt wurden. Erst als ihn die Leipziger Genossen im Herbste 1894 zum leitenden Redakteur ihres Blattes ernannten, gewann er den Schauplatz, wo er seine eigentümliche Begabung frei und reich entfalten konnte.

Um es mit einem Worte zu sagen, so schuf Schoenlank in der „Leipziger Volkszeitung" das Ideal einer sozialdemokratischen Tageszeitung. Wie schlimm es damit nach dem Falle des Sozialistengesetzes aussah, braucht heute nicht verheimlicht zu werden; war es doch auch nicht die Schuld der Partei, wenn sie unter dem Sozialistengesetz nicht lernen konnte, wie die ihrer wachsenden Bedeutung entsprechenden Tageszeitungen zu schaffen seien. Es wird Schoenlanks Ruhm in der Geschichte der Partei bleiben, diese Aufgabe zuerst meisterhaft gelöst zu haben. Sein Ruhm und freilich auch der Ruhm der Leipziger Genossen, die nicht nur den rechten Mann zu finden, sondern ihm auch den rechten Platz zu schaffen wussten, in der richtigen Erkenntnis, dass jede tüchtige Kraft sich ausleben muss, wenn sie etwas Tüchtiges leisten soll, und dass alles kleinliche Dreinreden von Übel ist, selbst wenn es in diesem oder jenem einzelnen Falle berechtigt sein sollte. In seiner Leipziger Arbeit hat Schoenlank sich glücklich und wohl gefühlt; hier war er ganz in seinem Element, und wie manche Ernte hätte er noch heimgebracht, wenn ihm ein längeres Leben beschieden gewesen wäre!

In diesem Gedanken trauern wir doppelt um den verblichenen Freund, aber doch nicht mit jenem herbsten Schmerze, von dem Herwegh am frühen Grabe Georg Büchners sang. Bruno Schoenlank sinkt nicht unvollendet ins Grab. Alles Beste und Eigenste, was er leisten konnte, hat er, und sei es auch nur für eine allzu kurze Spanne Zeit, leisten dürfen im Dienste des großen Gedankens, dem sein Leben geweiht war, und die Spuren seines Wirkens leuchten fort in der Geschichte des proletarischen Emanzipationskampfes.

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