Franz Mehring 19170703 Clara Zetkin-Zundel

Franz Mehring: Clara Zetkin-Zundel

3. Juli 1917

[Leipziger Volkszeitung Nr. 152, 3. Juli 1917. Nach Gesammelte Schriften, Band 4, S. 504-507]

Ein Gleisner, ein Meißner! So hieß es ehedem im heutigen Römischen Reich Deutscher Nation. Das arge Wort sollte die einschmeichelnde, höfliche, nachgiebige Art des obersächsischen Stammes verspotten, doch selbst als Spott traf es sehr daneben. Denn von jeher konnte Sachsen neben jeden Geliert einen Lessing, neben jeden matten und weichen Charakter einen entschlossenen und tatkräftigen Kämpfer stellen: welche Reihe ungestümer Kampfhähne von den Pufendorf und Thomasius, über den Lessing und Fichte bis zu den Richard Wagner und in seiner besonderen Weise auch Heinrich von Treitschke!

Eine echte Kampfnatur ist auch die Tochter des Landes, der wir heute zu ihrem sechzigsten Geburtstage unsere aufrichtigsten und herzlichsten Glückwünsche darbringen. Nur dass sie auch ihren Anteil an der anderen Art des sächsischen Stammes hat! Nicht an der zudringlichen Höflichkeit, die am Mann so leicht einen gleisnerischen Schein erweckt, sondern an dem echten Herzenstakte, der immer, bewusst oder unbewusst, nach dem Worte der griechischen Königstochter handelt: Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da. Diese unlösliche Verschmelzung von menschlicher Güte und menschlicher Leidenschaft macht das ganze Wesen unsrer Freundin aus: Ihr Hass gegen die Unterdrücker fällt zusammen mit ihrer Liebe für die Unterdrückten.

Clara Eisner ist eine geborene Sächsin, und in Leipzig hat sie sich für den Beruf der Lehrerin ausgebildet unter der Leitung Edith Schmidts, der sie vor etwa einem Dutzend Jahren in diesen Spalten einen dankbaren Nachruf gewidmet hat. Sie verriet frühzeitig eine reiche Begabung, namentlich auch in der Sprachenkunde. Am tiefsten aber ergriffen sie die großen Gedanken des Sozialismus, der in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sich in Sachsen rasch verbreitete. In ihnen fand ihr reiches Herz und ihr reicher Geist gleich innige Befriedigung. Aber sie vergaß nie das weise Nathanwort, dass andächtig schwärmen ungleich leichter sei als gut handeln, und sosehr sie in heißer Glut für die hohen Ziele des Sozialismus entbrannte, so studierte sie nicht minder eifrig und gründlich die Mittel und Wege zu seiner praktischen Verwirklichung: auch Praxis und Theorie standen bei ihr immer im glücklichen Gleichgewicht.

Unter dem Druck des Sozialistengesetzes war für die junge Kämpferin in Deutschland wenig zu tun. Sie ging ins Ausland, in die Schweiz, wo sie sich mit dem trefflichen Ehepaar Motteler innig befreundete und regen Anteil an dem Vertriebe des „Sozialdemokraten" in Deutschland nahm, dann nach Paris, wo sie mit Laura Lafargue, der Tochter von Karl Marx, nahe verkehrte und mit dem russischen Flüchtling Ossip Zetkin den Bund fürs Leben schloss. Der Tod des kränklichen Gatten löste die Ehe allzu früh, aber der jungen Witwe blieben zwei blühende Knaben. Wie dieser Natur alles immer im reichsten Maße zugemessen worden ist, so auch die Mutterschmerzen und die Mutterfreuden: die Mutterschmerzen, denn sie musste einen überaus harten und ^manchmal fast unerträglichen Kampf ums Dasein führen, um ihren Kindern gerecht zu werden; die Mutterfreuden, denn es gelang ihr, beide zu tüchtigen Männern zu erziehen, auf die sie mit Stolz blicken darf.

Die historische Wirksamkeit Clara Zetkins, die ihr ein dauerndes Denkmal in der modernen Arbeiterbewegung sichert, begann nach dem Fall des Sozialistengesetzes, der sie nach Deutschland zurückführte. Sie übernahm aus schwächlichen und verkümmerten Anfängen die „Gleichheit" und schuf aus ihr das mächtige Organ, das der internationalen Frauenbewegung des Sozialismus Halt und Richtung gab. Nicht als ob sie in der Leitung dieser Zeitschrift oder auch nur in der Frauenbewegung ihre unermüdliche Tätigkeit erschöpft hätte. Sie war immer da, wo sie nützen konnte, und keine Wahlkampagne, in der sie nicht eifrig mitgetan hätte! Aber Nerv und Wesen ihrer jahrzehntelangen Arbeit war doch, dass sie in ihr zur ersten Lehrerin und Leiterin der sozialistischen Fraueninternationale heranwuchs, als solche freudig anerkannt und begrüßt, wo immer proletarische Frauenherzen für die Befreiung ihres Geschlechts und ihrer Klasse aus den Fesseln unwürdiger Sklaverei schlagen.

Die Jahrgänge der „Gleichheit" sind das unvergängliche Denkmal Clara Zetkins. Sie standen durchweg auf der Höhe des sozialistischen Prinzips, wie denn in der Kenntnis der marxistischen Theorie wenige Lebende sich mit Clara Zetkin messen können und sicherlich keiner ihr darin überlegen ist. Aber sie verlor sich nie in unfruchtbaren Spintisierereien, die unter gelehrt tuender Maske gleichermaßen die Einsicht und die Tatkraft der Arbeiter schwächen. Diesen Unterschied begreifen freilich die Schulze und Müller nicht, die über die „Schwerverständlichkeit" klagen, womit Genossin Zetkin die „Gleichheit" redigiert habe und dafür den Scheidemännern ihren populären Kohl empfehlen, ganz wie einst Schulze-Delitzsch, der wahrhaftig wieder aus dem Grabe gestiegen zu sein scheint, sein breiartiges Gerede als Lassalle-Ersatz anpries. Nicht der geringste Vorzug der „Gleichheit" war, dass sie ihre Leserinnen nicht nur zum praktischen Handeln und theoretischen Erkennen, sondern nicht minder zum künstlerischen Schauen anregte: ihre Beiträge waren mit dem erlesensten Geschmack redigiert.

In diesen Jahren und Jahrzehnten lebte Clara Zetkin glücklich, so reich sie immer an Arbeit und Mühen und Sorgen waren, von denen ihre Gesundheit manchen harten Stoß erlitt. Welch schöneren Erfolg gab es für einen sozialistischen Kämpfer, als an dem großen Werke der Menschheitsbefreiung mit einem Erfolge zu arbeiten, den jeder neue Tag bestätigt. Und wenn sie keine Schätze sammeln konnte, wonach ihr Sinn nie gestrebt hat, so brauchte sie sich doch auch nicht mit der gemeinen Not des Lebens zu plagen. Ihre heranwachsenden Söhne machten ihr nur Freude; in zweiter Ehe hatte sie sich mit Friedrich Zundel verbunden, einem hochbegabten Künstler; ein Häuschen und Gärtchen auf einer Höhe bei Stuttgart bot das häusliche Behagen, das der geistigen Arbeit so günstig ist.

Dann brach die Katastrophe des 4. August herein. Ein furchtbarer Schlag, aber wie unsagbares Weh er unserer Freundin bereiten mochte, sie wankte unter den Trümmern nicht. Sie war unter den ersten, die ihre Stimme gegen den großen Abfall erhoben, und mit der Zähigkeit einer alterprobten Zeitungsschreiberin führte sie ihre Arbeit fort. Und sie hatte mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen! Jedoch trotz alledem -trotz einer schweren Erkrankung, die nun zwei Jahre dauert, trotz der Sorge um ihre Söhne, die beide als Ärzte im Felde stehen, trotz der Sorge um ihren Gatten, der seine Kraft im Dienste des Roten Kreuzes zermürbt hat, hielt Clara Zetkin tapfer den Posten, auf dem ihr Gewissen und ihre Pflicht auszuharren gebot. Und der Treuen blieben die Frauen treu, was denn wohl den letzten Anstoß zu der „lächerlichen Freveltat" gegeben hat, die die Scheidemänner an Clara Zetkin verübten, indem sie ihr das Gesindebuch mit dem Vermerk zusteckten: Entlassen wegen Ungehorsams und Schwerverständlichkeit. Nie hat beschränkter Sinn ein engeres Bündnis mit bösem Willen geschlossen!

Aber alle, denen der Sozialismus mehr ist als ein tönendes Erz und eine klingende Schelle oder als ein Mittel zur Karriereschnauferei, müssen nach ihren Kräften darauf bedacht sein, ein neues Schwert zu schmieden, das Clara Zetkin zur Ehre und zum Ruhme unsrer großen Sache führen kann. Und wir sind sicher, dass vor allem die Frauen dieser Sache gedenk sein werden. Der sechzigste Geburtstag Clara Zetkins soll ihr der Beginn einer zweiten Jugend werden; dieser Wunsch muss die Tat gebären, die unsrer großen Führerin neues Leben und frische Kraft spenden wird, den Kampf glorreich fortzuführen, den sie nun schon manches Jahrzehnt glorreich geführt hat.

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