Franz Mehring 19050215 Friedrich Leßner

Franz Mehring: Friedrich Leßner

Februar 1905

[Die Neue Zeit, 23. Jg. 1904/05, Erster Band, S. 677-679. Nach Gesammelte Schriften, Band 4, S. 443-445]

In der vorigen Nummer der „Neuen Zeit" hatten wir die traurige Pflicht zu erfüllen, einem Veteranen der deutschen Arbeiterbewegung, der kurz vor Ablauf seines achtzigsten Lebensjahres gestorben war, ein Wort des Abschieds nachzurufen. In der heutigen Nummer dürfen wir einer erfreulicheren Pflicht nachkommen und einem anderen Veteranen des kämpfenden Proletariats unsere herzlichen Glückwünsche zu seinem achtzigsten Geburtstag senden.

Friedrich Leßner wurde am 27. Februar 1825 in Blankenhain im Großherzogtum Sachsen-Weimar geboren. Er lernte das Schneiderhandwerk und wanderte Ende März 1847 nach London aus. Dort trat er dem kommunistischen Arbeiterbildungsverein und dem geheimen Bunde der Gerechten bei. Er hat mit getagt, als am Ende desselben Jahres Marx und Engels diesem Bunde den Entwurf des Kommunistischen Manifestes als neues Programm vorlegten und in zehntägigen Debatten gegen alle Einwürfe verteidigten; er hat den Bund der Gerechten in den Bund der Kommunisten umwandeln helfen und als der Eifrigsten einer die Propaganda für die Ziele des Bundes betrieben, solange es dafür auch nur noch eine entfernte Möglichkeit gab.

So ging er nach Ausbruch der Märzrevolution mit Marx und Engels nach Köln, dann, als die „Neue Rheinische Zeitung" unterdrückt wurde, mit Schapper nach Wiesbaden, und als ihn im Juni 1850 von hier ein polizeilicher Ausweisungsbefehl vertrieb, nach Mainz, immer in unermüdlicher Agitation für die kommunistische Sache. Im Oktober 1850 wohnte er einem Kreistag des Bundes in Frankfurt a. M. bei und wurde von ihm nach Nürnberg gesandt, um die dortige Bundesgemeinde zu reorganisieren. Er hatte nur geringen Erfolg und kehrte etwas enttäuscht nach Mainz zurück, um in alter Weise fortzuwirken. Doch auch hier waren ihm die Verfolger nun bald auf den Fersen; im Juni 1851 wurde er verhaftet, wenige Wochen nachdem durch die Verhaftung Nothjungs in Leipzig die Polizei auf die Spur des Kommunistenbundes gekommen war. Man machte ihm erst den Prozess und verurteilte ihn zu einem Monat Gefängnis, weil er aus triftigen Gründen das Wanderbuch eines Kollegen für sich gebraucht hatte, verwickelte ihn dann aber in den berüchtigten Kommunistenprozess, durch den sich die preußische Regierung für immer mit unauslöschlicher Schmach bedeckt hat.

Noch ist unter den reichhaltigen archivalischen Sammlungen unseres Freundes Motteler das vergilbte Original der Anklageschrift gegen Leßner vorhanden. Sein Äußeres wird hier geschildert: „65½ Zoll (hessisch) groß, von mittlerer Statur, ovaler Gesichtsbildung und dunkelbraunen Haaren und Augenbrauen, hoher Stirn, braunen Augen, großer Nase, proportioniertem Munde, starken Zähnen, ovalem Kinn, mit einer kleinen Narbe über dem rechten Auge auf der Stirn." Die Anklage gegen ihn aber ging dahin, „im Laufe der Jahre 1848 bis 1851 zu Köln in Verbindung mit mehreren Personen ein Komplott gebildet zu haben, dessen Zweck war, die Staatsverfassung umzustürzen und die Bürger und Einwohner gegen die königliche Gewalt und gegeneinander zur Erregung eines Klassenkrieges zu bewaffnen". Was zur Begründung dieser schweren Anklage angeführt wurde, lief auf ähnlichen Lug und Trug hinaus, wie bei den anderen Angeklagten; ein Hauptbelastungsmoment war, dass bei Leßners Verhaftung in Mainz „eine förmliche kommunistische Bibliothek" in seiner Wohnung vorgefunden worden war.

Nach einer qualvollen Untersuchungshaft hat dann Leßner die sechswöchigen Verhandlungen vor den Kölner Geschworenen mitgemacht, mit all den dramatischen Zwischenfällen, die durch Stiebers infames Meineidsystem herbeigeführt wurden. Am 12. November 1852 wurde er zu dreijähriger Festungsstrafe verurteilt, die er in Graudenz und Silberberg verbüßte. Während seiner Haft erschien das schwarze Buch der Polizei, das von den Polizeihalunken Wermuth und Stieber herausgegeben wurde und auch für Leßner einen ehrenvollen Artikel enthielt, der mit den Worten schloss: „Bemerkenswert ist noch, dass bei ihm, als er in Mainz verhaftet wurde, die größte bisher vorgekommene Sammlung kommunistischer und sonst aufrührerischer Druckschriften gefunden wurde. Der Untersuchungsrichter schildert ihn als ein nichtswürdiges Subjekt, das ohne alle Bildung ist, aber große Zungenfertigkeit besitzt, durch welche er sich besonders in Wirtshäusern und sonstigen Versammlungsorten des Proletariats Geltung zu verschaffen gewusst hat." Vielleicht ist diese entsetzenerregende Schilderung insofern zu Leßners Heil gewesen, als er durch „gnädigste Entschließung" des Großherzogs von Weimar von der nachträglichen Ableistung seiner Militärpflicht entbunden wurde. Diesen hochherzigen Entschluss, den der Weimarische Staatsminister v. Watzdorf am 17. Oktober 1855 der königlich-preußischen Festungskommandantur zu Silberberg mitteilte – eine amtlich beglaubigte Abschrift davon ist ebenfalls unter Freund Mottelers Papieren vorhanden –, scheint durch die Sorge hervorgerufen worden zu sein, dass ein so unheimlicher und zungenfertiger Hochverräter am Ende die Großherzoglich Weimarische Kriegsphalanx sprengen könne.

So ist denn Leßner, sobald er aus der Festung entlassen war, nach London zurückgekehrt, um wieder in engsten Verkehr mit Marx und später, als Engels nach London übersiedelte, auch mit diesem zu treten. Erst der Tod hat das Band der Freundschaft gelöst, das ihn mit beiden verknüpfte, und heute noch hängt Leßner mit der treuesten Dankbarkeit an diesen Männern, die ihm so unendlich viel gewesen sind. Allein auch er ist ihnen ein treuer Berater gewesen, einer von jenen Arbeitern, die sie in beständiger Fühlung mit dem Denken und Empfinden der proletarischen Massen hielten. Es ist klar und von Marx und Engels auch oft hervorgehoben worden, dass sie ohne solche Fühlung das, was sie für die Arbeiterklasse geleistet haben, doch nicht hätten leisten können.

Besonders einflussreich und notwendig wurde diese Tätigkeit Leßners in den Tagen der Internationalen, deren Kriegsjahre er von Anfang bis zu Ende ebenso getreulich in der vordersten Reihe mitgekämpft hat, wie die Kriegsjahre des Kommunistenbundes. Er ist von ihrer Gründung im Jahre 1864 bis zum Haager Kongress im Jahre 1872, der zwar noch nicht formell, aber tatsächlich ihr Ende war, Mitglied des Generalrats und meist auch Teilnehmer ihrer Kongresse gewesen, wo es seine Aufgabe war, in dem manchmal noch etwas babylonischen Gedankenwirrwarr die klare Auffassung des kommunistischen Prinzips zu vertreten, die ihm schon seit den Tagen des Kommunistischen Manifestes in Fleisch und Blut übergegangen war.

In seinen achtzig Lebensjahren hat Genosse Leßner keine irdischen Schätze sammeln können, und es mögen nicht viele Jahre darunter sein, in denen die Sorge um die tägliche Nahrung und Notdurft nicht an seine Türe geklopft hat. Aber fast sechzig davon hat er dem Kampfe um die Befreiung der Arbeiterklasse widmen können, und dies Bewusstsein darf ihn bei all der Bescheidenheit, die ihm eigen ist, an seinem Ehrentage doch mit stolzer Genugtuung erfüllen. Es ist ein beneidenswertes Los, und er hat es sich in unermüdlicher Arbeit redlich verdient.

Wir sind sicher, dass der Gruß, den wir dem an Kampf- und wohl auch an Lebensjahren ältesten Veteranen der deutschen Arbeiterbewegung zu seinem achtzigsten Geburtstag senden, in ihren Reihen einen lebhaften Widerhall finden wird.

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