Franz Mehring 19020200 „Deutsches Bürgerbuch"

Franz Mehring: „Deutsches Bürgerbuch"

1902

[Aus dem literarischen Nachlass von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Herausgegeben von Franz Mehring, Zweiter Band, Stuttgart 1902, S. 362-364. Nach Gesammelte Schriften, Band 4, S. 189 f.]

Neben den „Rheinischen Jahrbüchern" gaben Leske und Püttmann das „Deutsche Bürgerbuch" heraus, dessen erster Band von Heß nicht mit Unrecht als „dummer Mischmasch" gekennzeichnet wurde. Er selbst war darin mit zwei Beiträgen vertreten, und Grün mit einem, mit einer langen Tirade über die Abstammung des deutschen Sozialismus von Feuerbach, dessen letzte Sätze man nach Grün nur zu verwirklichen brauche, um mitten im Sozialismus zu stehen.

Er meinte: „Wenn man Feuerbach nennt, so hat man die ganze Arbeit der Philosophie genannt, von Baco von Verulam bis heute, so hat man zugleich gesagt, was die Philosophie in letzter Instanz will und bedeutet, so hat man den Menschen als letztes Ergebnis der Weltgeschichte. Dabei geht man sicherer, weil gründlicher zu Werke, als wenn man den Arbeitslohn, die Konkurrenz, die Mangelhaftigkeit der Konstitutionen und Verfassungen aufs Tapet bringt." Es ist solch hohl tönendes Gerede, das wie in einem Brennspiegel alle Sünden des „wahren" Sozialismus zusammenfasst und den heißen Zorn erklärt, womit Marx und Engels diesen Sozialismus bekämpft haben, als er nicht zu bekehren war.

Neben Heß und Grün war im ersten Bande des „Deutschen Bürgerbuchs", sogar mit zwei Beiträgen, Karl Heinzen vertreten, der polternde Radikale, dem aller Sozialismus widerstand, und Jakob Venedey, die tränenselige Trauerweide, die ein schwatzschweifiges Kredo bekannte an die schöne große Zukunft Deutschlands, eine Zukunft der Freiheit und des Rechts, der Volkswürde und der Menschenachtung. Der weitaus beste Aufsatz dieses Bandes war die historische Darstellung des schlesischen Weberaufruhrs, die Wilhelm Wolff veröffentlichte.1 Sie würde, nicht minder als Wolffs „Schlesische Milliarde", einen Sonderabdruck lohnen, wie es denn auch wohl eine Ehrenpflicht der modernen Arbeiterbewegung wäre, Georg Weerths Aufsätze und Gedichte zu sammeln, von denen der erste Band des „Deutschen Bürgerbuchs" ebenfalls einzelne treffliche Proben enthält.

Erst im zweiten Bande kommt Engels mit einem leitenden Aufsatze.

Dieser Band erschien ebenfalls nicht mehr bei Leske in Darmstadt, sondern bei Heinrich Hoff in Mannheim und zeichnete sich, ähnlich wie der zweite Band der „Rheinischen Jahrbücher", vor dem ersten durch eine klarere und schärfere Haltung aus. Unter anderem brachte er aus der Feder Otto Lünings eine Besprechung des Buchs von Engels, aus der Feder des Herausgebers Püttmann eine Darstellung des Prozesses und der Lehren Babeufs und auch sonst noch manches nicht Uninteressante. Im Ganzen und Großen blieb das „Deutsche Bürgerbuch" aber auch in diesem Bande unter den „Rheinischen Jahrbüchern"; selbst der Aufsatz von Engels ist seinem eigentlichen Ursprung und Zweck nach nur eine Ankündigung der Bibliothek sozialistischer Schriftsteller, die Engels mit Marx und Heß herauszugeben gedachte; seinem weit überwiegenden Inhalt nach gibt er gewissermaßen zum Anbiss ein Fragment Fouriers über den Handel in deutscher Übersetzung2.

Jedoch so verhältnismäßig kurz die Bemerkungen sind, womit Engels die Übersetzung begleitet, so beleuchten sie hell genug die Stellung, die Marx und Engels im Jahre 1845 – aus diesem Jahre stammt der Aufsatz, wie sich aus einem seiner Sätze ergibt – zum damaligen deutschen Sozialismus einnahmen. Engels geht mit dieser „deutschen Theorie von der allerschlechtesten Sorte"3 gewiss scharf ins Gericht, aber es kommt ihm so sehr auf die Sache an und er will so wenig im schulmeisterlichen Sinne den Besserwisser spielen, dass er seine „eigenen Arbeiten"4 von seinem allgemeinen Verdammungsurteile keineswegs ausnimmt.

Es ist ein allzu bescheidenes Bekenntnis, denn Engels durfte sich ohne jede Überhebung über die damaligen deutschen Sozialisten erheben. Unter ihnen gab es keinen, der sich einer Leistung vermessen durfte, wie sie Engels eben in seinem Buch über die Lage der englischen Arbeiter vollbracht hatte. Aber desto beweiskräftiger ist diese persönliche Zurückhaltung gegen das schon in jener Zeit grassierende und heute noch nicht ausgestorbene Altweibergeschwätz, wonach Marx und Engels alles, was nicht genau in ihr Horn geblasen hätte, nieder zu säbeln geneigt gewesen seien.

1 Gemeint ist Wilhelm Wolff: Das Elend und der Aufruhr der Weber in Schlesien. In: Der Kasematten-Wolff, Weimar 1950, S. 34-61.

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