Franz Mehring 19020200 „Rheinische Jahrbücher"

Franz Mehring: „Rheinische Jahrbücher"

1902

[Aus dem literarischen Nachlass von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Herausgegeben von Franz Mehring, Zweiter Band, Stuttgart 1902, S. 354-362. Nach Gesammelte Schriften, Band 4, S. 180-188]

Noch ehe der „Gesellschaftsspiegel" im Juli 1845 das Licht der Welt erblickte, begannen in Darmstadt zwei andere Zeitschriften des deutschen Sozialismus zu erscheinen, im Verlage von C. W. Leske. Zuerst das „Deutsche Bürgerbuch", dessen erster Band schon Ende 1844 oder spätestens im Januar 1845 herausgekommen ist, dann die „Rheinischen Jahrbücher", deren erster Band nach dem Datum der Vorrede aus dem Mai 1845 stammt. Inhaltlich und speziell unter dem sozialistischen Gesichtspunkte haben die „Jahrbücher" den Vortritt, auch standen sie mit Marx und Engels in engerer Verbindung als das „Deutsche Bürgerbuch".

Kurz ehe Marx aus Paris vertrieben wurde, kam Leske zu ihm, um seine Mitarbeit zu gewinnen, in welcher Art, ergibt sich aus einem Briefe, den Heß am 17. Januar 1845 aus Köln an Marx richtete. Es heißt darin: „Ich habe Ihnen die angenehme Nachricht mitzuteilen, dass wir eine Vierteljahrsschrift bekommen, deren erster Band erscheinen wird, sobald Material für zwanzig Bogen da sein wird. Püttmann reiste deshalb nach Darmstadt und hat mit Leske einen sehr günstigen Vertrag abgeschlossen, der den besten Beweis dafür abgibt, wie sehr die sozialistischen Sachen in Deutschland jetzt gelesen werden. Es versteht sich, dass die Quartalsschrift rein sozialistisch wird und kein so dummer Mischmasch wie das Püttmannsche ,Bürgerbuch'. Püttmann selbst, der als Herausgeber ,unter Mitwirkung' von uns auf dem Titelblatt figurieren wird, ist eigentlich eine stumme Person in diesem neuen Drama und wird uns diejenigen Sachen, die nicht von uns ihm zugeschickt werden, zur Durchsicht respektive Zensur vorlegen. Er ist ein armer Teufel, der durch seine sozialistischen Triebe seine Stelle als Redakteur des Feuilletons der ,Kölnischen Zeitung' eingebüßt hat und dem man unter die Arme greifen muss, damit er sich mit seiner Familie erhalten kann. Er bezieht ein verhältnismäßig bedeutendes Honorar für die Quartalsschrift (40 Taler monatlich), und wir müssen sowohl seinetwegen wie der Sache wegen die neue Zeitschrift in Gang bringen. Ich versprach ihm, Sie zu bitten, dass auch Sie Ihre Mitwirkung und Ihren Namen der neuen Zeitschrift zusagen, und ich bitte Sie außerdem noch, auch dahin zu wirken, dass Herwegh und (wenn Sie es für gut finden) Heine dasselbe tun. Engels und ich haben bereits zugesagt. Grün wird es ohne Zweifel auch. So hätten wir Namen und Hauptmitarbeiter genug. Es haben sich auch schon viele sozialistische Talente im Stillen entwickelt, die in den ,Rheinischen Jahrbüchern' (Titel der Vierteljahrsschrift) auftauchen werden. Unser Bürgers dort wird hoffentlich auch mitarbeiten. In Westfalen und Schlesien (sogar in Berlin) sind jetzt Schriftsteller unserer Richtung, von denen es sich, nachdem wir ein Organ haben, zeigen wird, ob sie der Sache Ehre machen. Zunächst aber ist die Zeitschrift auf Sie, Engels, Grün und mich angewiesen, und ich ersuche Sie dringend, wo möglich gleich etwas von Ihren Arbeiten herzuschicken und Grün zu Gleichem zu veranlassen. Nach dem Vertrage, den Püttmann mit Leske abgeschlossen hat, werden die Beiträge mit mindestens 3 preußischen Louisdor pro Bogen" – 51 Mark –, „auf den Vorschlag Püttmanns aber mit 4 und mehr honoriert. Püttmann sagte mir nun für den ersten Band für Sie 4 Louisdor zu; er meint, man dürfe die Großmut des Buchhändlers nicht von vornherein zu sehr in Anspruch nehmen, da er allerdings im Anfange ziemlich viel riskiere. Man muss darauf rechnen, dass jeder Band regelmäßig, sobald er erschienen, verboten wird und, wenn auch nicht viele, Exemplare konfisziert werden. Der erste Band wird in einer Auflage von 3000 Exemplaren aufs Geratewohl verbreitet etc."

Marx ging auf den Plan mit großem Eifer ein, wie seine Briefe an Heine zeigen.1 Doch wie es ihm nicht gelang, diesen zur Mitarbeit anzutreiben, so hat er schließlich auch selbst keinen Beitrag für die „Rheinischen Jahrbücher" geliefert. Für den zweiten Band der Zeitschrift ließe sich seine Zurückhaltung aus dem Inhalt ihres ersten Bandes erklären, aber was ihn veranlasst hat, schon für diesen Band zu streiken, ist nicht mehr zu erkennen. Irgend etwas muss von Anfang an gehapert haben, denn die Namen „von uns" erschienen nicht auf dem Titelblatte, sondern die „Rheinischen Jahrbücher zur gesellschaftlichen Reform" wurden „unter Mitwirkung Mehrerer" von Hermann Püttmann herausgegeben, der nur in einer gelegentlichen Fußnote zur Vorrede bemerkte, dass „dieser Freund", nämlich Heß, „bei der Redaktion der wissenschaftlich gehaltenen Aufsätze sehr tätigen Beistand geleistet und auch für die Zukunft eine gleiche Mitwirkung zugesichert" habe. Die Vorrede selbst trägt manche Spuren einer ängstlich abstumpfenden Hand, und in dem Bande selbst fehlt die Besprechung der „Heiligen Familie", die Bürgers liefern sollte.

Engels hat auch keinen Beitrag für diesen ersten Band geliefert, wohl aber erscheint er darin in einem Bericht über die Versammlungen in Elberfeld, in denen er mit Heß und dem Maler Röttgen kommunistische Propaganda getrieben hatte. Die Versammlungen fanden am 8., 15. und 22. Februar 1845 im Zweibrücker Hof statt, und unter dem frischen Eindruck der letzten schrieb Engels an Marx : „Wir haben gestern im größten Saale und ersten Gasthof der Stadt unsre dritte kommunistische Versammlung abgehalten. Die erste 40, die zweite 130, die dritte wenigstens 200 Menschen stark. Ganz Elberfeld und Barmen, von der Geldaristokratie bis zur Épicerie [Krämerschaft], nur das Proletariat ausgeschlossen, war vertreten. Heß hielt einen Vortrag. Gedichte von Müller, Püttmann und Stücke aus Shelley wurden gelesen, ebenso der Artikel über die bestehenden Kommunistenkolonien im ,Bürgerbuch'. Nachher diskutiert bis ein Uhr. Das Ding zieht ungeheuer. Man spricht von nichts als vom Kommunismus, und jeden Tag fallen uns neue Anhänger zu. Der Wuppertaler Kommunismus ist une vérité [Mehring übersetzt: eine Tatsache], ja beinahe schon eine Macht. Was das für ein günstiger Boden hier ist, davon hast Du keine Vorstellung. Das dümmste, indolenteste, philisterhafteste Volk, das sich für nichts in der Welt interessiert hat, fängt an, beinahe zu schwärmen für den Kommunismus. Wie lang man dem Ding noch so zusehen wird, weiß ich nicht, aber die Polizei ist jedenfalls in der höchsten Verlegenheit, sie weiß selbst nicht, woran sie ist? Es ist übrigens doch ein ganz anderes Ding, da vor den wirklichen leibhaftigen Menschen zu stehen und ihnen direkt, sinnlich, unverhohlen zu predigen, als dies verfluchte abstrakte Schreibertum mit seinem abstrakten Publikum vor den ,Augen des Geistes' zu treiben."2

Indessen kam die Polizei bald aus ihrer Verlegenheit heraus. Am 28. Februar erhielt der Oberbürgermeister v. Carnap von der Düsseldorfer Regierung den Befehl, weitere Verhandlungen im Zweibrücker Hof zu verhindern, nötigenfalls mit Polizeigewalt. Heß und Röttgen richteten einen Protest an den Oberbürgermeister, doch erhielten sie keine Antwort. Der Protest selbst wurde von Ruge wegen seines angeblich feigen Inhalts verspottet, und dieser Spott ist leider vor einigen Jahren von jenem russischen Sozialisten erneuert worden, der die unendliche Verachtung der Heß mit der unendlichen Bewunderung der Sombart zu verbinden weiß.3 Ich habe damals sogleich in der „Neuen Zeit" widersprochen und darauf hingewiesen, erstens, dass der Protest, wenn er vielleicht auch etwas geschickter hätte abgefasst sein können, doch nur die revolutionäre Tendenz im Heugabelsinne verwarf und übrigens durchaus würdig die kommunistische Tendenz vertrat, zweitens aber, dass Ruge wirklich der allerletzte war, der sich über die Feigheit anderer Leute vor der Polizei lustig machen durfte: als Lassalle zwanzig Jahre später die rheinischen Arbeiter wieder um die kommunistische Fahne sammelte, standen ihm Heß und Röttgen tapfer bei, während Ruge über den „vielfach angefaulten" Menschen Lassalle schimpfte und an seinem Teile zu Bismarck überlief.

Nunmehr finde ich auch in den Briefen von Engels an Marx, dass Engels mit dem Protest vollkommen einverstanden gewesen ist und ihn nur deshalb nicht unterzeichnet hat, weil er mehrere Tage in Köln und Bonn abwesend war. Er schreibt: „Heß und Röttgen haben protestiert. Nutzt natürlich nichts, aber die Leute werden aus der Haltung des Protests ersehen, dass sie uns nichts anhaben können. Heß ist wieder ungeheuer sanguinisch, weil alles sonst so famos abläuft und unsre Fortschritte wirklich ungeheuer sind, der gute Kerl macht sich nur immer Illusionen."4 Eine offiziöse Drohung mit einer gerichtlichen Klage erreichte nur, dass sich die drei Missetäter darüber lustig machten. Die Regierung werde sich wohl nicht darauf einlassen, meinte Engels, aber wenn sie es täte, so würde sie sich großartig blamieren. „Ohnehin waren die Staatsanwälte und das ganze Landgericht gegenwärtig, und der Oberprokurator hat selbst mitdiskutiert.5 Es ist denn auch keine Klage gekommen.

Für den Druck im ersten Bande der „Rheinischen Jahrbücher" hat Engels die beiden Reden, die er in den Elberfelder Versammlungen gehalten hatte, selbst bearbeitet, namentlich die zweite, die eingehend nachwies, dass die schutzzöllnerische Agitation, wie sie von List betrieben würde, die Katastrophe der großen Industrie nicht aufhalten könne. Freiländer wie Schutzzöllner huldigten damals schon dem Schwindel, den arbeitenden Klassen einzureden, dass ihre besondere Art der Profitjagd ein Allheilmittel für alle Leiden des Proletariats sei, obgleich List selbst als kapitalistischer Agitator aus seinem Herzen eigentlich keine Mördergrube machte, sondern offen gestand, dass leere Geldschränke ein weit größeres Übel wären als alles proletarische Elend. Marx und Engels waren in jener Zeit selbst der Ansicht, dass die deutsche Industrie höherer Schutzzölle bedürfe, um sich auf großer Stufenleiter zu entwickeln und die nötige Kraft zum Kampf mit dem König- und Junkertum zu gewinnen, aber desto näher musste es ihnen liegen, die unüberschreitbare Grenzlinie zwischen ihren und Lists Tendenzen zu ziehen. So wenig wie Lists Schutzzöllnerei mit sozialer, hatte sein Preußenhass mit politischer Emanzipation zu tun; eben jetzt erbot er sich in einem untertänigsten Schreiben an Friedrich Wilhelm IV., „mit Freuden jede Bürde zu tragen", die diese Majestät in ihrer Weisheit „zum Besten des Vaterlandes seinen Schultern aufzulasten für gut finden" sollte.

In der Tat kamen Marx und Engels gleichzeitig auf den Gedanken, List zu kritisieren. „es ist merkwürdig", schrieb Engels in seinem Briefe vom 17. März an Marx, „wie ich außer mit der Bibliothek noch in einem andern Plan mit Dir zusammengekommen bin. Auch ich wollte für Püttm[ann] eine Kritik Lists schreiben – glücklicherweise erfuhr ich durch P[üttmann] Deine Absicht früh genug. Da ich den List übrigens praktisch fassen wollte, die praktischen Folgen seines Systems entwickeln, so werde ich eine meiner Elberfelder Reden (die Verhandlungen werden in P [üttmann] sehen Ding gedruckt), worin ich dies unter andern in kurzem tat, etwas weiter ausarbeiten – ich vermute ohnehin nach dem Bürgersschen Brief an Heß und nach Deiner Persönlichkeit, dass Du Dich mehr auf seine Voraussetzungen als auf seine Konsequenzen einlassen wirst."6 Dies ist nebenbei auch die letzte Erwähnung eines Beitrags von Marx für die „Rheinischen Jahrbücher"; gespendet hat er ihnen keinen, gleichviel was ihn daran gehindert hat.

So erhielt gleich der erste Band dieser Zeitschrift seinen geistigen Stempel durch Heß und Grün, und den deutschen Zeitgenossen ist schwerlich aufgefallen, was wir heute auf den ersten Blick sehen, wie sehr nämlich Engels mit seinen Elberfelder Reden7 alle anderen Mitarbeiter überragte. An die ökonomische Durchsichtigkeit und Klarheit seiner kommunistischen Auffassung reichte nicht einmal Heß, geschweige denn Grün heran. Heß gab außer seinen Elberfelder Reden, in denen die Idee des Kommunismus definiert wurde als „das Lebensgesetz der Liebe, angewandt auf das Sozialleben", einen Aufsatz über das Geldwesen, worin er das Christentum für die Theorie und die Logik des Egoismus, die moderne christliche Krämerwelt aber für den klassischen Boden der egoistischen Praxis erklärte. „Was der Gott fürs theoretische Leben, das ist das Geld fürs praktische Leben der verkehrten Welt: das entäußerte Vermögen des Menschen, ihre verschacherte Lebenstätigkeit." Seitdem Heß in den „einundzwanzig Bogen aus der Schweiz" seine „Philosophie der Tat" begründet hatte, mit scharfer und treffender Kritik der Steinschen Kompilation, mit mancher geistreichen Parallele zwischen dem Entwicklungsgange der deutschen Philosophie und des französischen Sozialismus, mit dem aufrichtigen Willen, über Feuerbach hier und Proudhon dort hinauszugehen, war er doch nicht recht vorwärts gekommen. Es fehlte ihm weder an Gaben noch an Fleiß und am wenigsten an Ehrlichkeit; manchmal schien es in dieser Zeit, als werde er der Dritte im Bunde von Marx und Engels werden, und doch hat er keine Arbeit hinterlassen, die einen dauernden Platz in der sozialistischen Literatur zu behaupten vermöchte. Heß war sowohl Philosoph wie Sozialist, aber diese Elemente mischten sich so unglücklich in ihm, dass der Philosoph dem Sozialisten und der Sozialist dem Philosophen den Weg vertrat. Sein Schifflein strandete wieder und wieder, man möchte sagen, im Angesichte des Hafens. Es klingt hart, aber es ist kaum übertrieben, wenn Marx meinte, was Heß in den „einundzwanzig Bogen" geschrieben habe, sei ganz mystisch und unbestimmt, aber anzuerkennen gewesen, allein diese Sachen seien durch ihre ewige Wiederaufwärmung, so noch in den „Rheinischen Jahrbüchern", als sie längst antiquiert gewesen seien, langweilig und reaktionär geworden.

Über das äußere Leben von Heß hat Karl Hirsch vor einigen Jahrzehnten in einem alten Parteikalender berichtet, leider nicht sehr genau und teilweise selbst ganz unrichtig. Wie sich Heß geistig entwickelt hat, ist neuerdings von Koigen geschildert worden, nicht ohne manche feine Beobachtung; so sieht Koigen in den längst verstaubten Schriften von Heß den „ungeheuren Optimismus" leben, den Engels, der selbst alles andere eher als ein Pessimist war, im persönlichen Umgange mit dem „guten Kerle" spürte. Allein das wunderbare Farbenspiel philosophischer Schattierungen, das Koigen in dem Denker Heß entdeckt – Leibnizisch-Hegelianischer Spinozismus, eine Art Bruno Bauerschen Fichteanismus, Bauersche Extreme des Hegeltums, Positivismus aus Hegelscher Philosophie, Feuerbachianismus, ergänzt durch eine Art Schellingianismus, Psychophysiologismus, Solipsismus und wie all die verteufelten Ismen sonst noch heißen –, beweist am letzten Ende doch nur, dass eine einheitliche und klare Weltanschauung eben nicht die Sache des trefflichen Mannes war. Als Theoretiker war Heß mehr spitzfindig als scharfsinnig, und es ehrt ihn, dass er mit den „Rheinischen Jahrbüchern" seine theoretische Selbständigkeit aufgab und sich dem überlegenen Geiste beugte, den er in Marx erkannte.

Ganz anderen Schlages war Karl Grün. Wie Heß die „Philosophie der Tat", so begründete Grün den „wahren" Sozialismus, den er gleich im Beginn seiner sozialistischen Schriftstellerei als den Auferbauer des besten Lebenssystems proklamierte. Koigen irrt mit der Annahme, dass Marx und Engels das Stichwort des „wahren" Sozialismus erfunden hätten, um Grün und Konsorten zu verspotten, dagegen urteilt er so höflich wie treffend, und selbst noch höflicher als treffend, wenn er sagt, Grün sei der „Mann der Anhängerschaft" gewesen. Der „wahre" Sozialismus Grüns bestand in feuilletonistischen Seifenblasen, die bald blau, bald grau, bald rot schillerten; er war eine fortlaufende Reihe von Plagiaten an Feuerbach und Proudhon, an Heß und Marx und wer weiß wem sonst noch; gleich der Aufsatz Grüns im ersten Bande der „Rheinischen Jahrbücher" plagiierte nicht nur, sondern übertrieb ins Unsinnige, was Marx in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern" über die Menschenrechte ausgeführt hatte.

Dieser Aufsatz handelte über „Politik und Sozialismus". Er warf wieder wie Kraut und Rüben durcheinander, was von Marx eben ins reine gebracht worden war. Grün verhöhnte den Kampf der Liberalen um eine Konstitution: „Wer verlangt in Preußen die Konstitution? Die Liberalen. Wer sind die Liberalen? Leute in ihren vier Pfählen und einige Schriftsteller, die entweder selbst jene Pfähle besitzen oder deren Horizont nicht weiter reicht als der Wunsch jener ehrenwerten Haus- und Fabrikbesitzer. Sind diese Handvoll Besitzer samt ihren schreibenden Trabanten das Volk? Nein. Verlangt das Volk die Konstitution? Nicht im Traume – Hätte das schlesische Proletariat ein Bewusstsein und entspräche diesem Bewusstsein ein bestehendes Recht, so müsste es gegen die Konstitution petitionieren. Das Proletariat hat dazu weder Bewusstsein noch Recht; wir handeln also in seinem Namen. Wir protestieren." Es ist leicht einzusehen, wie viel gemeingefährlicher diese absprechenden Redensarten waren, als wenn Heß im „Gesellschaftsspiegel" ein allzu unwirsches Wort des Unwillens über die soziale Beschränktheit der politisch-liberalen Opposition äußerte. Etwa gleichzeitig erschien Grüns Buch über die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien, das in seiner gedankenlosen Oberflächlichkeit selbst dem Buche Steins eine Art wissenschaftlichen Reliefs verlieh.

Auch als persönlicher Charakter stand Grün weit hinter Heß zurück. Nicht nur Marx, Engels und später Lassalle, sondern auch Bernays, Ewerbeck, Weydemeyer, Lüning urteilen sehr ungünstig über seine Persönlichkeit; der einzige, der ihm etwa noch die Stange hielt, war Proudhon, und auch dieser entschuldigte ihn mehr, als dass er ihn rechtfertigte. Da Grün tot ist und sich nicht mehr verteidigen kann, so müssen die einzelnen Beschuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden, auf sich beruhen bleiben; es genügt zu sagen, dass ihm von den verschiedensten Seiten vorgeworfen wurde, die „Ausbeutung der modernen Ideen", von der Proudhon sprach, mehr industriell als literarisch und politisch zu betreiben.

Im geistigen Gefolge von Heß und Grün traten nun im ersten Bande der „Rheinischen Jahrbücher", bald mehr dem einen, bald mehr dem andern nachtrachtend, Fr. Schmidt, R. Matthäi, H. Semmig und E. Weller auf; auch Meyen lieferte einen Beitrag über den Berliner Lokalverein für das Wohl der arbeitenden Klassen, mit manchem Detail über die Lage des Berliner Proletariats und mit nicht unberechtigtem Spotte über den Argwohn des Absolutismus gegen jenen Verein, aber auch mit wunderlichen Illusionen über die soziale Bedeutung der harmlosen Gesellschaft. Gediegene Arbeiten waren, wie immer, Georg Weerths Beiträge; neben ihnen rangierte eine heiter spottende Adresse der deutschen Arbeiter in London an den deutsch-katholischen Apostel Ronge; sie war unterzeichnet von H. Bauer, J. Moll, K. Schapper und A. Lehmann. Am Schlusse des Bandes wurde der deutsche Sozialismus durch eine Reihe von Dichtern vertreten, denen, mit der einzigen Ausnahme Weerths, des Gesanges Gabe nicht eben in melodischer Fülle beschieden war; darunter befanden sich der Herausgeber Püttmann und Theodor Opitz, der Bewunderer Bruno Bauers.

Die „Rheinischen Jahrbücher" sollten eine Vierteljahrsschrift sein, doch erschien ihr zweiter und letzter Band erst ein Jahr und mehr als ein Jahr nach dem ersten; seine Vorrede ist vom Juli 1846 datiert. Die gesetzlich garantierte Zensurfreiheit der Bücher über zwanzig Bogen hatte dem Unternehmer nichts genutzt. Wo das Recht versagte, half die Gewalt; ohne eine Spur gesetzlichen Anhalts verbot die großherzoglich hessische Regierung im Voraus dem Verleger die zensurfreie Publikation des zweiten Bandes bei Strafe von 500 Gulden, und die preußische Regierung erteilte ihm durch das Oberzensurgericht die Verwarnung, dass ein Debitsverbot seines sämtlichen Verlages erfolgen werde, falls er noch mehr solcher verwerflichen Bücher zu drucken wage. Auch wurde der Verleger gezwungen, die Buchhandlungen zu nennen, denen er Exemplare des ersten Bandes zugesandt hatte, und erhielt zu alledem eine Anklage wegen „Hochverrats" und „Verspottung der Religion" aufgehängt. Dieser See von Plagen widerstand er nicht und verzichtete auf den Druck des zweiten Bandes, wohl aber gab ihn Püttmann, der in die Schweiz geflohen war, in Bellevue bei Konstanz heraus.

Sein Inhalt hat durch die polizeilichen Verfolgungen nach der alten tröstlichen Erfahrung nur gewonnen. Er ist klarer und schärfer und nicht nur im polizeilichen Sinne des Wortes revolutionärer geworden, als der Inhalt des ersten Bandes war. Die Dichter sind verschwunden, und Püttmann spricht eine ganz wackere Prosa; „ja, wir sind Hochverräter, weil ihr Volksverräter seid". Grün konnte freilich auch jetzt nicht aus seiner Haut heraus, aber er orakelte wenigstens nicht mehr über Politik und Sozialismus, sondern über Theologie und Sozialismus, was viel unschädlicher war.

Dagegen ging Heß über seine unfruchtbaren Theorien hinaus zu einer praktischen Kritik der Verhandlungen, die in dem gesetzgebenden Staatskörper der Republik Waadt über die soziale Frage stattgefunden hatten. Er riss bereits jenem Staatsrat Druey, der im Jahre 1845 die Organisation der Arbeit in die Verfassung des Kantons Waadt aufzunehmen beantragte, um ein halbes Jahrzehnt später als Großkophta der eidgenössischen Polizei das Asylrecht der Schweiz an die europäische Reaktion zu verraten, das Löwenfell ab und erwies sich von seinem Vertrauen auf die helfenden Arme der „Geistesaristokratie" gründlich kuriert. Wie in Deutschland, so habe auch in der Schweiz gerade der gebildetste Teil des Volkes sich's angelegen sein lassen, die kommunistischen Ideen zu verbreiten. „Aber auch hier wird sich's zeigen, dass von dieser Seite in der Praxis auf keinen Erfolg zu rechnen ist. Es sind nur wenige Männer in der besitzenden Klasse, welche hochherzig genug sind, den ganzen Plunder, dem sie ihr Glück verdanken, von sich zu werfen und sich zur Idee des Kommunismus zu erheben, und wiederum nur die wenigsten unter diesen wenigen haben den Mut, die Feuerprobe der Praxis zu bestehen. Die meisten Kommunisten aus der Klasse der Bourgeoisie bringen es höchstens zu Vermittlungsversuchen und allgemeinen Phrasen, welche um so hohler werden, je mehr es sich um ein entschiedenes, prinzipielles Auftreten handelt; zu einem ernstlichen Bruche mit dem Bestehen bringt es nur das Proletariat." Auf den gleichen Ton waren die hauptsächlichsten Aufsätze des Bandes gestimmt: die Ehrenrettung Marats durch Ewerbeck, die prächtige Skizze Weerths über die Chartistenbewegung und namentlich der leitende Artikel, den Engels über das „Fest der Nationen" veröffentlichte8, über die Erinnerungsfeier, die englische, französische, deutsche, italienische, spanische, polnische und schweizerische Arbeiter am 22. September 1845 in London zu Ehren der französischen Republik von 1792 abgehalten hatten.

Mit scharfer Polemik gegen den „wahren" Sozialismus und seine „sämtlichen deutschen Theorien" feierte Engels die Verbrüderung der Nationen, wie sie allein möglich sei durch das Proletariat, das sich zum Kommunismus bekenne. In beredten kurzen schlagenden Sätzen zeigte er, wie man das „Unding" einer „rein politischen Demokratie" bekämpfen und dennoch das Erbe der großen französischen Revolution in den Sozialismus aufnehmen könne. Seitdem hat ihm ein halbes Jahrhundert bestätigt, dass die Demokratie heutzutage der Kommunismus ist. Jede Demokratie ist verkümmert, die nicht Kommunismus war, wie jeder Sozialismus und Kommunismus, der nicht Demokratie war.

1 Mehring meint die Briefe von Marx an Heinrich Heine vom 12. Januar 1845 und 24. März 1845. In: Ebenda, S. 434 u. 435.

2 Engels an Marx in Brüssel, 22.-26. Febr. [und 7. März] 45. In: Ebenda, S. 20/21.

3 Mehring spielt hier auf seine Kontroverse mit Peter Struve über die Einschätzung des Verhältnisses zwischen Lorenz Stein, Moses Heß und Karl Marx an. Siehe die Artikel „Politik und Sozialismus" und Stein, Heß, Marx" im vorliegenden Band.

4 Engels an Marx in Brüssel, 22.-26. Febr. [und 7. März] 45. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 27, S. 21/22.

5 Ebenda, S. 21. 183

6 Engels an Marx in Brüssel, 17. März 45. In: Ebenda, S. 26. 184

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