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Franz Mehring 18911200 Der Kapitalismus und die Künstler

Franz Mehring: Der Kapitalismus und die Künstler

Dezember 1891

[Franz Mehring: Herrn Eugen Richters Bilder aus der Gegenwart, Nürnberg 1892, S. 43-45. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 222-224]

[…]

Inzwischen sind wir etwas weit von Franz, dem Musterknaben und Schwarzbein, abgekommen. Allein es ist auch nicht mehr viel über ihn zu sagen, als dass er aus lauterer Entrüstung über seine faulenzenden Kameraden schließlich ebenso, wie seine Braut Agnes Müller, den europäischen Staub von den Füßen schüttelt und nach Amerika übersiedelt, wo nach Voraussetzung des Dichters die kapitalistische Gesellschaft fortblüht.1 Hier stürzt sich das junge, inzwischen verheiratete Paar wieder mit Begeisterung in den Dienst des Kapitalismus und geht infolgedessen nach der glaubwürdigen Versicherung seines Sängers einer glänzenden Zukunft entgegen.

Mit ihm wandern auch die meisten Maler, Bildhauer und Schriftsteller aus. Uber die erstgenannten Künstler nur im Vorbeigehen ein Wort! Herr Richter behauptet von ihnen: „Von den Malern und Bildhauern war verlangt worden, dass sie ihre Kunstwerke nicht mehr dem reichen Protzentum zu Füßen legen, sondern nur der Allgemeinheit widmen. Das passt aber diesen Mammonsknechten nicht." Hören wir nun über die gleiche Frage wieder einen bürgerlichen Forscher, nämlich Schmoller, der in seiner Schrift gegen Treitschke schreibt: „Fragen wir heute unsere Künstler: alle edleren Naturen sind empört über die Geschmacklosigkeit, mit der jene Emporkömmlinge der Börse, jene überrasch reich gewordenen Industriellen, die Bilder nach der Elle, nach der Eitelkeit, nach dem Maße der darin angebrachten Nuditäten kaufen. Die großen Vorwürfe gibt stets der Staat, die Kirche und die Gemeinde der Kunst." Das ist schon vor siebzehn Jahren geschrieben; in welchem steigenden Umfange seitdem der Kapitalismus unter der Kunst und den Künstlern gewütet hat, weiß jeder, der diesen Dingen auch nur einigermaßen näher getreten ist. Jeder Künstler, der die Kunst um ihretwillen liebt, trachtet nach nichts so sehnlich, als von dem Fluche der „Mammonsknechtschaft" erlöst zu werden; es ist ernst strebenden Menschen glücklicherweise noch nicht gegeben, sich so wohl darin zu fühlen, wie Herr Richter in seinem kapitalistischen Rausche sich einbildet.

Und nun gar die Schriftsteller! Du lieber Himmel! Da malt Herr Richter einmal wieder mit sklavischer Naturtreue die kapitalistische Gegenwart ab, wenn er den Schriftstellern im Zukunftsstaate Neigung zur Auswanderung andichtet. Wenn sie sich zu Sophisten und Sykophanten des Kapitalismus herabwürdigen, so mag es ihnen ja heutzutage leidlich und, wenn sie dabei noch ein bisschen Talent aufzuwenden haben, ja sogar sehr gut gehen, aber wehe dem unglücklichen Tintenkuli, der in die Zügel des Kapitalismus zu knirschen, der in der kapitalistischen Presse gar nicht einmal eine freundliche, sondern nur eine objektive und sachliche Stellung zur Arbeiterbewegung einzunehmen wagt! Glied für Glied wird ihm im Leibe zerbrochen, und wenn er auf der Straße liegt, mag er melancholische Betrachtungen anstellen über Lassalles bitter wahres Wort: „O, unsere Polizei ist, man sage was man will, noch immer ein viel liberaleres Institut als unsere Presse." In der Tat – alle polizeilichen Scherereien sind ein sanftes Mailüfterl, verglichen mit dem infamen und schamlosen Gesinnungsterrorismus, den der Kapitalismus überall übt, wo immer er sich in der Literatur und Presse hat einnisten können.

Es widerstrebt uns, hier von persönlichen Erfahrungen zu sprechen, die auch insofern fürs Allgemeine gar nicht zutreffen, als wir glücklicherweise noch ein bisschen mehr können als Zeitungsschreiben und nicht nur der kapitalistischen Folter mit heilen Gliedern entronnen sind, sondern auch die Folterknechte, Herr Richter oben an, so zusammengedroschen haben, dass ihnen Hören und Sehen und insbesondere auch Sprechen vergangen ist.* Aber Herr Richter wird uns verstehen und aus seiner reichen Praxis noch gar manchen andern Fall als den unsern anführen können, wenn wir ihm sagen: der Hungerboykott, um die politische Überzeugung zu brechen, die nicht nach der Pfeife des Profits tanzt, das ist die Pressfreiheit des Kapitalismus. Und von diesem Standpunkte aus begreift Herr Richter vielleicht, dass die kapitalistische Gesellschaft doch nicht ganz auf den ehernen Säulen der Ewigkeit beruht, welche er ihr andichtet. Von diesem Standpunkte aus begreift er vielleicht, dass eine große Nation sich ihre geistige Nahrung doch auf die Dauer nicht nach seinen Profitinteressen oder nach den Profitinteressen seiner Freunde, der Lessing und der Freund und der Mosse und der Cohn und der Ullstein, zubereiten und zuschneiden lassen kann. Von diesem Standpunkte aus begreift er vielleicht, dass in einem so grotesken Satyrspiele das einst so reiche Geistesleben des deutschen Volks nicht enden darf, nicht enden kann und glücklicherweise auch nicht enden wird.

Und endlich – versöhnt es ihn nicht ein wenig mit dem Zukunftsstaate, dass die kapitalistische Gesellschaft schon soweit in ihn hineingewachsen ist, um uns diese für uns so angenehme und für ihn so lehrreiche Unterhaltung mit ihm zu ermöglichen? Nein, umgekehrt, wie Herr Richter die Sache dichtet, wird ein Schuh daraus: nur weil wir schon ein Stück Zukunftsstaat in der deutschen Presse haben, ist das freie Wort in der heutigen Gesellschaft noch ein wenig mehr als ein Echo von vorgestern. […]

1 Gemeint sind die Hauptfiguren aus Eugen Richters Schmähschrift „Sozialdemokratische Zukunftsbilder", gegen die Mehring seine Broschüre „Herrn Eugen Richters Bilder aus der Gegenwart" schrieb.

* In der Schrift: Kapital und Presse. Ein Nachspiel zum Falle Lindau. Von Dr. Franz Mehring. Berlin, bei Kurt Brachvogel 1891. Es sei dem Verfasser gestattet, auf diese Schrift ein für allemal hinzuweisen, falls die vorliegende Arbeit die kapitalistische Meute wieder gegen ihn entfesseln sollte.

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