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Franz Mehring 18940109 Die Helden des Schillerpreises (Auszug)

Franz Mehring: Die Helden des Schillerpreises

(Auszug)

9. Januar 1894

[In: Die Neue Zeit, 12. Jg. 1893/94, Erster Band, S. 450-452. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 324-326]

[…] So empfahl denn die Kommission für Verteilung des Schillerpreises, deren Vorsitzender Graf Hochberg ist, dem Kaiser einstimmig, den „Talisman“ des Herrn Fulda mit dem Preise zu bedenken. Der Kaiser aber zerriss das Votum, und der Kultusminister schickte die Fetzen an den Schriftführer der Kommission, Herrn Professor Erich Schmidt, mit der höflichen Erklärung zurück, Herr Fulda sei zu jung für die ihm zugedachte Ehre. Herr Fulda ist beiläufig drei Jahre jünger als der Kaiser; er ist somit, wie eine leichte Rechnung ergibt, drei Jahre älter, als der Kaiser bei seiner Thronbesteigung war.

Was nun den Schillerpreis anbetrifft, so erinnert er als altes Erbstück noch an die Zeit, da Preußen „moralische Eroberungen“ in Deutschland zu machen gedachte. Er wurde zu Schillers hundertjährigem Geburtstage gestiftet; er beläuft sich auf tausend Taler und wird alle drei Jahre für das in diesem Zeitraum erschienene beste Drama vergeben. Die Entscheidung darüber, welches jeweilig dieses beste Drama sei, steht einer Kommission zu, die aus einigen Hoftheater-Intendanten, dramatischen Dichtern und Professoren der Geschichte oder Literatur gebildet wird. Gustav Freytag, Paul Heyse, Heinrich v. Treitschke sitzen seit langem darin. Die Entscheidung bedarf formell der königlichen Bestätigung, die bis auf diesen neuesten Fall niemals versagt worden ist, so dass der Praxis wie dem Sinne nach die Kommission bisher souverän entschied. Bei seiner ersten Verteilung fiel der Preis für die „Nibelungen“ dem sterbenden Hebbel zu, der die Nachricht auf dem Totenbette mit dem resignierten Wort empfing: „Das ist Menschenlos. Bald fehlt uns der Wein, bald der Becher.“ Auch Anzengruber hat den Preis einmal erhalten. Im Allgemeinen wurde er an akademisch-korrekte Schultragödien verteilt; irgendeine fördernde Einwirkung auf das deutsche Drama hat er natürlich niemals gehabt. Wohl aber hat er gelegentlich arges Unheil gestiftet: So durch die Auszeichnung Albert Lindners, eines kleinen thüringischen Gymnasiallehrers, der ihn für eine schulgerechte Römertragödie erhielt und dadurch verlockt wurde, als dramatischer Dichter nach Berlin überzusiedeln, wo er elend untergegangen ist. Da die Kommission zur Verteilung des Schillerpreises hinter verschlossenen Türen tagt, so ist man auf Vermutungen angewiesen über die Gründe, die ihre Entschlüsse bestimmen. Aus sachlichen Gründen wäre nun schwerlich irgendwer auf die Annahme gekommen, dass diesmal Herrn Fuldas „Talisman“ die Ehre haben würde. Das Stück ist eine hübsch gereimte Dramatisierung eines bekannten Märchens von Andersen, des Märchens von des Königs neuem Kleide, das Dumme und Schlechte nicht sehen können und das folglich alle Welt sah, einschließlich des Königs, der es trug, bis endlich ein unschuldig Kindlein rief: „Der König hat ja gar nichts an.“ Das Drama ist nach seiner ersten Aufführung in der „Neuen Zeit“ – im vorigen Jahrgange Nr. 21 – besprochen worden1; wir nannten es damals „ein buntes Nichts, eine hübsche Spielerei“ mit einer versteckten, satirischen Spitze, welcher der vorsichtige Dichter gleich selbst die Spitze abbrach mit der Erklärung, er habe das Märchen schon vor sieben Jahren entworfen, also zu einer Zeit, wo er noch keinen Lorbeer und Kaiser Wilhelm noch keine Krone trug. Aber seinen großen Erfolg bei der satten Bourgeoisie verdankte das Stück neben seiner sozialen „Korrektheit“, die einen in den Königspalast verzauberten Korbflechter zu seiner schmutzigen Hütte mit dem reuigen Bekenntnisse zurückkehren lässt, hier wohne allein das wahre Glück, doch dem leisen Murren gegen die eigenwilligen Könige, die nicht auf den Rat ihrer Allergetreuesten hören wollen, und so lässt sich nicht die Vermutung abweisen, dass die Kommission zur Verteilung des Schillerpreises auch wegen dieser löblichen Tendenz ein menschlich Rühren empfunden und deshalb den „Talisman“ gekrönt habe, der selbst nach ihrem bisherigen bescheidenen Maßstabe auf eine so hohe Ehre keinen Anspruch hätte erheben können. Seien wir auch gegen borussische Hoftheater-Intendanten und Literatur-Professoren gerecht! Wir geben bereitwillig zu, dass weder „Charleys Tante“ noch Wicherts „Aus eigenem Rechte“ zu den Blütepunkten der zeitgenössischen Dramatik gehören; wir können es auch verstehen, dass loyal denkende Männer von dem schlecht unterrichteten an den besser zu unterrichtenden König appellieren möchten. Wollte die Kommission zur Verteilung des Schillerpreises ihren ästhetischen Gewissensbeklemmungen Luft machen, so war ihr gerade in diesem Zeitpunkt die Sache sehr leicht gemacht; sie brauchte nur Hauptmanns „Weber“ auszuzeichnen, und wenn diese Wahl die königliche Bestätigung nicht fand, einfach ihr Amt niederzulegen. Das wäre vom bürgerlichen Standpunkt aus eine ehrliche und männliche Handlungsweise gewesen. Was die Kommission jetzt getan hat, ist weder ehrlich noch männlich. Fuldas „Talisman“ zu krönen, wenn Hauptmanns „Weber“ vorlagen, das ist schon an und für sich eine ästhetische Blamage, wie sie nur Herr Erich Schmidt fertig bekommt. Die Tatze des Löwen ist doch am Ende zu unterscheiden von den Löffeln, mit denen ein munteres Häslein seine lustigen Kapriolen schneidet. Zudem aber – mit Kapriolenschneiden legt man überhaupt keine grundsätzlichen Proteste ein. Versucht man es dennoch, so darf man sich nicht wundern, wenn man bekommt, was man verdient: nämlich eine schallende Ohrfeige. Und steckt man die ruhig ein, so hat man obendrein zum Schaden noch ganz umsonst den Spott.

Aus diesem Dilemma sucht die bürgerliche Presse ihre geliebten Preisrichter vergebens zu reißen, indem sie ausführt, wenn die Kommission nicht alle drei Jahre neu ernannt würde, sondern etwa wie das Kapitel des bayrischen Maximiliansordens stets die gleiche bliebe, so würde wahrscheinlich ein gemeinsames Gesuch um Enthebung von dem so bedeutungslos gewordenen preisrichterlichen Amte die Folge gewesen sein. Das ist die reine Wortklauberei. Denn mag die formelle Ernennung der Mitglieder alle drei Jahre von neuem erfolgen oder nicht, worüber wir nicht näher unterrichtet sind, so sind es seit Jahrzehnten dieselben Personen, die als Preisrichter fungieren, und sie könnten ohne jede Anmaßung erklären: von nun an nicht mehr. Auf demselben Wege, auf dem der Bescheid des Kultusministers an Professor Schmidt in die Presse gelangt ist, hätte auch eine solche Erklärung in die Presse gelangen können. Und wir möchten sogar fast annehmen, dass jene Notiz diesen Weg gewandert ist. Nicht nur der heroische, aber mit wenn und wahrscheinlich gebändigte Anlauf spricht dafür, sondern noch mehr der darauf folgende Satz: „Möglich auch, dass die Einmütigkeit für einen Gesamtprotest einem ausdrücklichen kaiserlichen Bescheide gegenüber nicht zu erzielen gewesen wäre, da die amtliche Stellung es diesem oder jenem hätte illoyal erscheinen lassen.“ Den Stil beiseite, der wieder für Herrn Erich Schmidt spricht, aber das sind doch noch mal Helden. Dem Publikum gegenüber renommieren sie: wenn wir nur einen Degen hätten, wie wollten wir ihn führen! Und dem Kaiser erklären sie untertänigst: einem kaiserlichen Bescheide gegenüber stecken wir als loyale Männer den Degen ein.

Die Geschichte passiert ja nicht zum ersten Male; bei künstlerischen Preisausschreiben und Kunstausstellungen haben in den letzten Jahren wiederholt ähnliche Dinge gespielt. Ebendeshalb sind sie symptomatisch für die heutige Bourgeoisie und ihre geistigen Spitzen. Höchstens zu einer heimlichen kleinen Wadenkneiferei schwingen sich diese Leute einmal auf. Wenn sie dafür aber eine öffentliche Züchtigung erhalten, so schweigen sie und trollen sich. Und diese Liliputer wollen an dem Narrenseile ihrer „Bildung“ den Riesen Proletariat gängeln. Welch komische Anmaßung.

1 6. Februar 1893

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