Franz Mehring‎ > ‎Kunst und Kultur‎ > ‎

Franz Mehring 19020101 Die Rede des Kaisers über die Kunst

Franz Mehring: Die Rede des Kaisers über die Kunst

(Auszug)

1. Januar 1902

[Die Neue Zeit, 20. Jg. 1901/02, Erster Band, S. 419/420. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 246 f.]

[…] Ganz ähnlich wie mit der Kundgebung des Kaisers an den Ministerialdirektor Althoff steht es um die Rede, die der Kaiser an die Berliner Bildhauer gerichtet hat wegen der Pappelallee von Regentenstatuen im Tiergarten. Nichts kann anfechtbarer sein als die Ansichten über Kunst, die der Kaiser bei dieser Gelegenheit geäußert hat; immerhin ist es aber sein unbestreitbares Recht, ebenso gut wie jeder andere Mensch seine besonderen Ansichten über Kunst zu haben und auszusprechen. Ohnehin hatte er den Auftrag an die Berliner Bildhauer, jene Pappelallee herzustellen, aus eigener Tasche gegeben, und mag der Tiergarten dadurch auch nicht verschönert worden sein, so war dies Unglück immerhin zu ertragen; es gibt ungleich dringlichere Anlässe zu Anklagen und Beschwerden. Gleichwohl würden wir es vollkommen verstanden haben, wenn sich aus den bürgerlichen Klassen mit einer gewissen urwüchsigen Gewalt eine ästhetische Rebellion gegen das Mäzenatentum des Kaisers geltend gemacht hätte, allein was erleben wir auch hier wieder? Heimliches Ballen der Fäuste in der Tasche, raunendes Räsonnieren am Biertisch und bei den allermutigsten Helden das offene Geständnis. Ja, der Kaiser hat schon recht, das Protektorat über die deutsche Kunst zu beanspruchen, aber er soll unser Maecenas sein und nicht der Maecenas der anderen, dann wollen wir ihn verherrlichen, wie noch nie ein Maecenas verherrlicht worden ist.

Kein Zweifel, dass dies Geständnis vollkommen ehrlich ist. Zahlreiche Vorgänge der letzten Jahre haben reichliche Fingerzeige dafür gegeben, dass die „neue Kunst" dem Kaiser, wenn er anders nur ein gnädiges Wort für sie übrig hätte, mindestens so untertänig huldigen würde wie die „alte Kunst". Die „neue Kunst" hat ihre unzweifelhaften Meriten, die man ihr in keiner Weise zu schmälern braucht, wenn man übrigens der Ansicht ist, dass sie nur eine leidliche Episode in dem allgemeinen Verfall der bürgerlichen Kunst, aber keine Wiedergeburt dieser Kunst sei. Wäre sie das, so würde sie vor allem die faule Sehnsucht nach dem Mäzenatentum überwunden haben. In ihren kräftigen Zeiten hat die bürgerliche Kunst alles Mäzenatentum mit Recht als ein Symptom des Verfalls betrachtet. In der sozialdemokratischen Presse ist bereits das Kapitel aus Buckles „Geschichte der Zivilisation in England" abgedruckt worden, worin nachgewiesen wird, wie arm an großer Kunst das Zeitalter Ludwigs XIV. gewesen sei, aber schon fast hundert Jahre vor Buckle hat der Deutsche Meinhard dieselbe Beobachtung gemacht und sie zugleich auf das Zeitalter der Mediceer ausgedehnt, die ja noch berühmtere Mäzenaten gewesen sind als der Sonnenkönig. Von diesen Ausführungen Meinhards hoffte kein Geringerer als Lessing, „dass sie diejenigen endlich einmal zum Stillschweigen bringen möchten, die über den Mangel an Unterstützung so häufige und bittere Klagen führen und in dem Tone wahrer Schmeichler den Einfluss der Großen auf die Künste so übertreiben, dass man ihre eigennützigen Absichten nur allzu deutlich merkt". So dachten unsere Klassiker über das Mäzenatentum, und doch mussten sie gern oder ungern sein Joch tragen, da sie noch keine entwickelte bürgerliche Klasse hinter sich hatten.

Allein, wenn heute die bürgerliche Kunst nach fürstlichem Mäzenatentum drängt und giert, so zeigt sie dadurch den unheilbaren Verfall ihrer Klasse in ganz unwiderlegbarer Weise. Ein Glück immerhin, dass dieser Kampf um „ideale" Güter nicht schleierhafter ist als der Kampf der akademischen Winkelrieds um die gleichen Güter; unter der verschlissenen Phrasenhülle lugt die „eigennützige Absicht nur allzu deutlich" hervor.

Kommentare