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Franz Mehring 19000307 Die Revolte der Künstler

Franz Mehring: Die Revolte der Künstler

7. März 1900

[Die Neue Zeit, 18. Jg. 1899/1900, Erster Band, S. 737-740. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 241-245]

Es gereicht uns zur aufrichtigen Genugtuung, das harte Urteil, das wir am Schlusse unserer letzten Wochenschau über die deutschen Künstler gefällt haben, heute mildern zu können; nachdem die lex Heinze1 – ohne den Arbeitgeberparagraphen – hinter den Kulissen fix und fertig gemacht worden ist, haben sie sich doch noch dazu aufgerafft, um gegen das Attentat zu protestieren, das in jener gesetzgeberischen Missgeburt auf die Freiheit des künstlerischen Schaffens gemacht werden soll. Sie kommen sehr spät, aber sie kommen; einer Protestversammlung, die sie am vorigen Sonntag im Saale des Berliner Handwerkervereins abgehalten haben, sollen andere hier und auswärts folgen, und die berechtigte Genugtuung darüber verbietet, die protestierenden Reden allzu scharf unter die Lupe zu nehmen. Man kann nicht verlangen, dass gleich alles klappt, wenn die Künstler nach so langer und viel zu langer Säumnis sich endlich zum Kampfe entschlossen haben.

Zweierlei jedoch muss in dieser Beziehung angemerkt werden. Während die Spatzen auf den Dächern pfeifen, von welcher Stelle die polizeiliche Bedrängnis der Kunst und Literatur ausgeht, konnte sich ein Redner in der protestierenden Künstlerversammlung auch jetzt noch nicht versagen, höfische Bücklinge zu machen. Das war weder würdig noch verständig; eine Kunst, die sich selbst als höfische Kunst deklariert, hat weder die Macht, die Bedrohung durch den Polizeiknüppel abzuwehren, noch auch nur das Recht, dagegen zu protestieren. Hat es mit allem Mäzenatentum von jeher seine besonderen Haken gehabt, so ist der gegenwärtige Kaiser stets freimütig genug gewesen, um zu bekennen, dass er seines Hauses Verherrlichung als den Zweck der Kunst betrachtet; es gibt keine Beweise dafür, dass er einer Kunst, die ihre eigenen Wege geht, besonderes Interesse schenkt. Es ist selbstverständlich seine unanfechtbare Befugnis, seinen eigenen ästhetischen Geschmack zu haben, wie es die unanfechtbare Befugnis jedes anderen Menschen ist, einen anderen ästhetischen Geschmack zu besitzen als der Kaiser; niemand kann ihn tadeln, wenn er Hauptmanns Weber" als wertlos verwirft und Lauffs „Eisenzahn" bewundert, ebenso wie uns niemand tadeln darf, wenn wir Hauptmanns „Weber" bewundern und Lauffs „Eisenzahn" als wertlos verwerfen. Allein wenn der Kaiser aus seiner autoritativen Stellung heraus seine Ansicht über Kunst und Künstler kundgibt, wie es häufig geschehen ist, so ist der Kunst und den Künstlern die äußerste Zurückhaltung geboten, vorausgesetzt, dass es ihnen um Freiheit und Unabhängigkeit des künstlerischen Schaffens zu tun ist; hier sollte schon der böse Schein vermieden werden, und es schickt sich unter den obwaltenden Umständen nicht, gegen den Schutzmann an den Kaiser zu appellieren.

Erst vor wenigen Wochen hat der Kaiser wieder einmal die Entscheidung der Schiller-Preis-Kommission über die Auszeichnung des besten, im Laufe der drei letzten Jahre erschienenen Dramas kassiert. Man mag über den Schiller-Preis sonst denken, wie man will, und es wird sicherlich sehr wenige Leute in Deutschland geben, die ihm eine besondere oder gar eine förderliche Einwirkung auf die Kunst zutrauen, aber wenn er einmal verliehen werden soll, dann sollte es doch unter Formen geschehen, die darnach aussehen, als handle es sich dabei um eine nach künstlerischen Gesichtspunkten verwaltete Einrichtung. So war die Sache ursprünglich geplant; eine Kommission von neun literarisch bewanderten Mitgliedern sollte die Auswahl treffen und die königliche Bestätigung ihres Beschlusses reine Formsache sein, etwa wie ein von den gesetzgebenden Faktoren beschlossenes Gesetz erst durch die Unterschrift des Staatsoberhaupts die formelle Gültigkeit erhält. So ist unter dem alten Kaiser Wilhelm, der als preußischer Prinzregent den Schiller-Preis stiftete, immer verfahren worden, während unter dem gegenwärtigen Kaiser wiederholt der Fall eingetreten ist, dass er die Entscheidung der Kommission einfach umgestoßen hat. Es ist dabei keineswegs ausgeschlosssen, dass er gute Gründe gegen die von ihm beseitigten Beschlüsse der Kommission gehabt haben mag; in dem neuesten Falle handelte es sich um Hauptmanns „Versunkene Glocke", in einem früheren Falle um Fuldas „Talisman", in einem dritten Falle, wenn wir uns nicht irren, um Sudermanns „Ehre"; gegen eine nationale Auszeichnung aller dieser Stücke lassen sich gewiss mancherlei Bedenken erheben, und das formelle Recht des Kaisers, Beschlüsse zu verwerfen, die er für falsch hält und die dennoch zu unterschreiben ihn keine Vorschrift der Verfassung zwingt, ist auch nicht wohl zu bestreiten. Allein für die Mitglieder der Schiller-Kommission müsste ein solcher Zustand unerträglich sein; sie werden dadurch von Preisrichtern, die sozusagen ein nationales Ehrenamt zu verwalten haben, zu ganz unmaßgeblichen Supplikanten herabgedrückt, und da sollten Männer, die auf sich halten, doch wirklich wissen, was sie zu tun haben. Wollten sie die Würde der Kunst wahren, so hätten sie mit aller Ehrerbietung, die ihrer loyalen Gesinnung entsprechen mag, ihre Mandate niederzulegen, während sie tatsächlich, trotz der Note der Untauglichkeit, womit sie wiederholt heimgeschickt worden sind, jedes dritte Jahr wiederkehren, um eine Funktion auszuüben, die nach solchen Erfahrungen doch nur noch für den Ehrgeiz von Höflingen anziehend sein kann. Die Proteste der Künstler gegen die lex Heinze gewinnen jedenfalls dadurch nicht, dass sich einzelne Mitglieder der Schiller-Preis-Kommission dabei hervorzutun suchen; besser als durch die feurigsten Reden könnten diese Herren der Sache der Kunst nützen, wenn sie die ganz kleine Tat vollbrächten, auf ihre Sitze in einer Kommission zu verzichten, die um ihre künstlerische Selbständigkeit gekommen ist.

Hängt somit der Künstlerbewegung gegen die lex Heinze noch das Bleigewicht höfischer Rücksichten allzu stark an, so leiden auch ihre freimütigen Kundgebungen an einer gewissen Unklarheit. Ein bekannter Dramatiker sagte, bisher hätten sich die Künstler um die Händel dieser Welt nicht bekümmert, aber jetzt würden sie zu politischen Agitatoren gemacht, und sie würden nicht eher vom politischen Kampfplatz abtreten, als bis sie sich die Freiheit und den Frieden ihrer Werkstätten zurückerobert hätten. Man könnte daraus eine Art Gelöbnis herauslesen, dass die Künstler wieder gute Kinder werden und sich um die Händel dieser Welt nach wie vor nicht kümmern würden, wenn sie nur mit der lex Heinze verschont blieben, allein auch wenn man auf diese vielleicht zu boshafte Deutung verzichtet, so zeigt der ganze Rütlischwur doch in bedenklicher Weise, wie die neue Künstlerbewegung vorläufig noch ein etwas unbeholfenes Rekrutenexerzieren ist. Die Herren sollten doch wissen, dass eine Kunst, die ihres hohen Berufs würdig sein will, sich um die „Händel dieser Welt" gar sehr zu kümmern hat, sowenig immer vom Künstler verlangt werden darf, dass er ein „politischer Agitator" sein soll. Die Kunst muss mitten in den Bewegungen stehen, die ihre Zeit erschüttern, sonst steht sie nicht an ihrem richtigen Platze, und wir würden zu der gegenwärtigen Künstlerbewegung ein besseres Zutrauen haben, wenn sie von dem Attentat der lex Heinze den Anstoß empfinge, sich ein für allemal mehr um die Händel dieser Welt zu bekümmern, endlich einmal einzusehen, dass die Hemmnisse, die der Entwicklung der deutschen Kultur unausgesetzt in den Weg geworfen werden, auch die Kunst sehr nahe berühren, selbst wenn sie ihr nicht so unmittelbar auf die Zehen treten wie bei der Umsturzvorlage und der lex Heinze. Ehe nicht die ganze kulturfeindliche Tendenz der heute in Deutschland herrschenden Reaktion gründlich gebrochen worden ist, bleibt auch die Freiheit und der Friede der künstlerischen Werkstätten gefährdet, woran die Drohung der Künstler mit „politischer Agitation" nichts ändert. Diese etwas schiefgewickelte Form der künstlerischen Kriegserklärung wird den hartgesottenen Sündern der Reaktion schwerlich imponieren; soweit sie sich bisher darüber geäußert haben, nehmen sie die Künstleropposition durchaus nicht tragisch und beabsichtigen keineswegs, ihre Attentatsgelüste zu zähmen.

Dass die lex Heinze abermals ganz unter den Tisch fällt, ist jetzt kaum noch zu hoffen, nachdem die ganze Machenschaft bereits fix und fertig geknetet worden ist. Hätten die Künstler sich sofort nach der zweiten Lesung erhoben, so würden sie eher einen durchschlagenden Erfolg erzielt haben. Auf dem Marsche nach dem noch nicht erreichten Ziele hätten sich die reaktionären Parteien eher zerstreut, als dass sie von dem bereits erreichten Ziele einen offenkundigen Rückzug antreten werden. Möglich aber ist sehr wohl, dass die Künstleropposition insofern einen sofortigen Erfolg erzielt, als die ihr missfälligen Paragraphen der lex Heinze in abgeschwächter Form angenommen werden. Das ultramontane Hauptblatt antwortet auf die Künstlerversammlung grob wie Bohnenstroh: „Seit wann darf man den Sauen nicht auf den Rüssel hauen, Wenn sie durch lautes Grunzen die Poesie verhunzen?" Aber die anderen Paten des traurigen Machwerks werden wohl nicht ganz so unbarmherzig sein, namentlich die Regierung nicht, die ganz gut weiß, was sie jener Indolenz zu danken hat, die bisher die Künstler den „Händeln dieser Welt" fernhielt. Auf der anderen Seite hat sie freilich auch allen Grund, das Zentrum bei guter Laune zu erhalten, das doch endlich einmal einen in ultramontaner Wolle gefärbten Triumph davonzutragen und seinen Wählern vorzudemonstrieren wünscht, dass es noch etwas mehr leisten kann als über den Stock zu springen, den ihm die Regierung vorhält. So hat die endliche Erhebung der Künstler allerdings eine Situation geschaffen, deren weiterer Entwicklung mit einiger Spannung entgegengesehen werden darf.

Ginge es nach unserem Willen, so würde die Opposition der Künstler einen sofortigen, und zwar so durchschlagenden Erfolg haben, dass die lex Heinze für immer in den Abgrund verschwände, aus dem sie nie hätte auftauchen sollen. So weit reicht unser Patriotismus auch, um zu wünschen, dass die deutsche Gesetzsammlung nicht mit Produkten bereichert werde, die in der gesitteten Welt nur ein Hohnlächeln hervorrufen können. Aber sollte das Unheil nicht mehr aufzuhalten sein, so mag auch in diesem Übel ein Geist des Guten wohnen. Ließe die Regierung auf den Einspruch der Künstler das Gesetz fallen oder bräche sie ihm auch nur die schlimmsten Giftzähne aus, so würde das ohnehin nicht geringe Selbstbewusstsein dieser Herren ins Unermessliche geschwellt werden, und sie würden sich noch mehr von den großen Kämpfen der Zeit abwenden, sich womöglich noch heftiger jenen kulturfeindlichen Tendenzen ergeben, in deren Dienste sie allzu lange gestanden haben. Bleibt ihnen dagegen die lex Heinze als Pfahl im Fleische, so ist es wenigstens nicht unmöglich, dass die gewissenhafteren Künstler auf die Seite gedrängt werden, wohin jede aufrechte und freie Kunst gehört. Dann werden sie auch bald besser manövrieren lernen, als sie in ihrer neulichen Versammlung manövriert haben, nicht als „politische Agitatoren", was zu sein durchaus nicht ihr Beruf und deshalb auch nicht ihre Pflicht ist, aber als ehrliche Künstler, die in rechtem Schritt und Tritt der vorwärtswehenden Fahne der modernen Kultur zu folgen wissen.

Das sind sehr weit ausschauende Hoffnungen, jedoch immerhin – man braucht sie nicht gänzlich zu unterdrücken, nachdem es die deutschen Künstler wirklich noch zu einer Revolte gebracht haben.

1 Lex Heinze wurde die am 25. Juni 1900 angenommene Novelle zum Reichsstrafgesetzbuch genannt, die durch einen Prozess gegen einen Berliner Zuhälter namens Heinze angeregt wurde. Die Novelle ergänzte und verschärfte die gesetzlichen Vorschriften gegen Kuppelei, Zuhälterei und gegen die Verbreitung unzüchtiger Schriften. Das Zentrum und die Konservativen versuchten, bei den Reichstagsdebatten auch Bestimmungen in die Novelle einzufügen, die zur weitgehenden Einschränkung der noch bestehenden literarischen und künstlerischen Freiheit geführt hätten. Diese reaktionären Machenschaften wurden durch den Protest weiter Kreise der Bevölkerung, besonders durch den Kampf der Sozialdemokratie, vereitelt.

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