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Franz Mehring 19041123 Literarische Rundschau (Eduard Fuchs. Die Karikatur der europäischen Völker vom Jahre 1848 bis zur Gegenwart.)

Franz Mehring: Literarische Rundschau

Eduard Fuchs. Die Karikatur der europäischen Völker vom Jahre 1848 bis zur Gegenwart.

23. November 1904

[Die Neue Zeit, 23. Jg. 1904/05, Erster Band, S. 290/291. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 181 f.]

Eduard Fuchs. Die Karikatur der europäischen Völker vom Jahre 1848 bis zur Gegenwart. Mit 515 Illustrationen und 65 Beilagen hervorragender und seltener Blätter in Schwarz- und Farbendruck. Berlin, A. Hofmann & Co. 484 Seiten. Eduard Fuchs, Ein vormärzliches Tanzidyll. Lola Montez in der Karikatur. Mit 90 Illustrationen und Beilagen. Berlin, Ernst Frensdorff. 138 Seiten.

Mit dem ersten dieser beiden Bände ist das große Werk über die Karikatur der europäischen Völker vollendet worden, das Eduard Fuchs mit außerordentlicher Mühe und tief eindringendem Verständnis geschaffen hat. Der erste Band, der in diesen Spalten wiederholt besprochen worden ist, reichte „vom Altertum bis zur Neuzeit"; der zweite, uns vorliegende Band, dessen erste Lieferungen ebenfalls schon an dieser Stelle angezeigt worden sind, umfasst wenig über ein halbes Jahrhundert, die paar Jahrzehnte seit der Februarrevolution von 1848, ohne dass sich dem Verfasser der Vorwurf machen ließe, den Stoff ungleich verteilt zu haben. Seine Disposition ergab sich sehr einfach daraus, dass die Karikatur im Leben der modernen Völker in ungleich höherem Maße eine Macht geworden ist, als sie es jemals früher in der Geschichte war.

Es ist unmöglich, auf dem engen Räume, über den wir hier nur verfügen können, einen auch nur annähernden Begriff von dem außerordentlichen Reichtum zeitgeschichtlich interessanter und künstlerisch wertvoller Spenden zu geben, den uns Fuchs in diesem zweiten Bande bietet. Er verwahrt sich, wie uns scheinen will, mit gutem Fug gegen das zweideutige Lob, das manche Kritiker seinem ersten Bande mit der Bemerkung gespendet haben, „das Material zu seiner Arbeit läge auf der Straße, man brauche es nur aufzuheben". Fuchs meint, wenn unter der „Straße" die Museen und Kupferstichkabinette gemeint seien, so sei das ein Irrtum. Dort fände sich das Allerwenigste. Es gäbe zur Zeit keine einzige öffentliche Stelle in Deutschland, wo systematisch auch nur das Wertvollste gesammelt würde, was es auf dem Gebiet der Karikatur gebe, und das Gute, was sich in öffentlichen Sammlungen finde, dürfe gewöhnlich nach Maßgabe der Statuten nicht reproduziert werden. Man müsse unter der Straße, auf der das Material aufzuheben sei, im wörtlichen Sinne die Straße verstehen. Auf der Straße, wie sie landauf landab durch ganz Deutschland, Holland, Belgien, England, Frankreich, Schweiz, Italien, Österreich läuft, hat Fuchs das Beste und das Meiste des in seinen beiden Bänden aufgehäuften Bildmaterials gesucht und gefunden.

Jedoch hat er sich sein Ziel höher gesteckt als auf eine bloße Sammlung der historisch und künstlerisch hervorragendsten Karikaturen. Er will die Karikatur als eine bedeutsame Erscheinung sowohl der Kultur- als der Kunstgeschichte nachweisen. Wenn er sie in dieser Beziehung auch manchmal überschätzen mag, so ist das ein natürlicher und unvermeidlicher Rückschlag auf ihre allzu lange Unterschätzung und mindert in keiner Weise sein großes Verdienst, auf einem wichtigen Gebiet der Kultur- und Kunstgeschichte die erste Bahn gebrochen zu haben. Im Ganzen und Großen hat er vortrefflich die schwierige Aufgabe gelöst, diese lange Reihe geist- und witzsprühender Karikaturen durch einen Text zu geleiten, der ihrer würdig ist, ergibt in charakteristischen Zügen die erste Geschichte der Karikatur, wie sie sich aus dem allgemeinen geschichtlichen Verlauf der Dinge entwickelt, von ihm abhebt und wieder auf ihn zurückwirkt. Wir möchten gerade diesen Gesichtspunkt hervorheben, da er in den bisherigen Besprechungen des glänzenden Werkes kaum genügend betont worden ist. Schade, dass sein Preis – jeder der beiden Bände kostet broschiert 15 Mark –, so gering er im Verhältnis zu dem Gebotenen sein mag, für Arbeiterbörsen unerschwinglich ist; Arbeiterbibliotheken, denen ihre Mittel gestatten, auch auf die Pflege des künstlerischen Geschmacks unter ihrem Lesepublikum bedacht zu sein, ist seine Anschaffung durchaus zu empfehlen.

Ein Nebenwerk zu dieser groß angelegten Leistung ist das „Vormärzliche Tanzidyll", worin Fuchs an einem interessanten Einzelbeispiel zu zeigen beabsichtigt, „dass die Karikatur Einblicke in die Zeit ihrer Entstehung und in den Charakter des Behandelten eröffnet, die in gleicher Weise ausführliche Geschichtswerke und gewissenhafteste Analyse oft nicht zu geben vermögen". Lola Montez in der Karikatur ist für diesen Zweck vorzüglich geeignet; um ihre Person bewegt sich eine höchst charakteristische Episode des vormärzlichen Despotismus, die in der Tat nur vom Griffel der Karikatur in erschöpfender und historisch würdiger Weise geschrieben werden kann. Konnte das große Werk gewissermaßen nur von Berg zu Berg schreiten, so steigt dies kleine ins Tal hernieder und zeigt an einem klassischen Falle bis ins einzelne und Einzelnste, was die Karikatur als kultur- und kunsthistorische Triebkraft bedeutet.

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